Eurasier-Hündin Bolita vom Kleinbodenbach und ihr Mensch Kurt Kotrschal: "Hunden sind Menschen wichtiger als andere Hunde. Das ist der Unterschied zu den Wölfen."

Foto: DER STANDARD/Matthias Cremer

Standard: Bei "Wien wörtlich" suchen unsere Gesprächspartner einen Ort aus, der für sie besonders wienerisch ist. Was ist wienerisch an der Hundewiese im Prater?

Kotrschal: Hundewiesen sind typisch wienerisch, Prater ist typisch wienerisch, die Auseinandersetzung und Kommunikation über Hunde ist typisch wienerisch. Hunde sind eines der wichtigsten Themen in der Stadt, Tierschutz detto. Das kann manchmal auf die Nerven gehen, meistens ist es aber sehr nett.

Standard: Sie erforschen seit Jahren die sozialen Beziehungen zwischen Menschen und Tieren. Wie lässt sich die Beziehung der Wiener zu Hunden beschreiben?

Kotrschal: Das ist schwer zusammenzufassen. Das Spektrum ist groß. Aber im Wesentlichen sind es nette Beziehungen, Hunde und ihre Besitzer agieren oft synchronisiert und geben aufeinander acht. Und es gibt Beziehungen, wo das eben nicht der Fall ist, wo die Flexi-Leine die Aufmerksamkeit ersetzt. Dabei fällt auf, dass Wien an sich schon eine hundefreundliche Stadt ist. Es heißt ja auch oft, dass die Beziehungen zwischen Hundebesitzern und Nicht-Hundebesitzern angespannt seien. Das stimmt eigentlich nicht, ich als Hundebesitzer werde immer nur nett angeredet.

Standard: Ist die Einstellung der migrantischen Bevölkerung zu Hunden eine andere als jene der einheimisch wienerischen?

Kotrschal: Das ist eine interessante Frage. Man kann immer wieder die Beobachtung machen, dass es besonders bei der ersten Generation von Zuzüglern mit muslimischem Hintergrund sehr große Skepsis und Angst vor Hunden gibt. Aber man hat den Eindruck, dass das in der zweiten und dritten Generation anders wird und dass die Migranten dann ebenfalls Hunde haben. Man hätte erwarten können, dass die Hundefreundlichkeit in Wien mit dem Anstieg der migrantischen Bevölkerung abnehmen würde - das ist aber definitiv nicht passiert.

Standard: Es heißt oft, Hunde würden zu sehr vermenschlicht. Ist das ein Problem?

Kotrschal: Nein, das ist nicht das Kernproblem. Man kann Hunde über- oder unterfordern, man kann sie überfüttern oder ihnen zu wenig Bewegung geben. Aber es ist sicher nicht falsch, mit Hunden zu reden - und ob er im Bett schläft, ist eine persönliche Entscheidung. Die meisten Hunde schlafen halt gerne im Bett. Aber es schadet nicht. Wir haben einen sehr guten Vergleich zwischen Hunden und Wölfen. Die sind einander sehr ähnlich, was ihr soziales Verhalten betrifft, nur sind Wölfe unabhängiger, das merken wir in unserer Wolfstation in Ernstbrunn. Obwohl unsere Wölfe gut sozialisiert sind und gerne mit uns arbeiten, brauchen sie uns nicht wirklich. Bei Hunden ist das anders: Denen sind Menschen wichtiger als andere Hunde. Das ist der Clou: Hunde sind sehr menschennah geworden, ich würde fast sagen: Nichts Menschliches ist ihnen fremd.

Standard: Immer wieder werden Kinder von Hunden schwer verletzt. Wer ist schuld: Hundehalter, die ihre Viecher nicht im Griff haben, oder Eltern, die ihre Kinder fremde Hunde streicheln lassen?

Kotrschal: In letzter Konsequenz immer die Hundehalter. Die müssen so etwas unter allen Umständen verhindern. Aber genauso wie im Straßenverkehr, wo ich die Straßenverkehrsordnung auch dann einhalten muss, wenn ich zu Fuß gehe, ist es im Umgang mit Hunden. Selbst wenn ich keinen habe, muss ich den richtigen Umgang mit Hunden in Grundzügen kennen. Schon zu meiner eigenen Sicherheit. Man braucht sich vor fremden Hunden nicht zu fürchten, man überfällt sie aber auch nicht mit Liebe und Umarmung. Es gibt Programme, wo Menschen-Hunde-Teams in Schulen und Kindergärten gehen und das trainieren, zum Beispiel die des IEMT (Institut für Interdisziplinäre Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung): Kinder müssen keine Angst vor Hunden haben, aber sie müssen wissen, dass man fremde Hunde nicht angreift.

Standard: Es passiert aber auch immer wieder in Familien, wo Kind und Hund einander gut kennen.

Kotrschal: Das ist soziale Gewalt von Hunden Kindern gegenüber. Auch hier sind Hunde den Menschen sehr ähnlich: Die größte Gefahr für Leib und Leben geht in vielen Familien nicht vom bösen Straßenräuber aus, sondern von den liebsten Anverwandten. Hunde gehören dazu. Wenn hier Fehler passieren, kann es eng werden.

Standard: Welche Fehler?

Kotrschal: Ein Hauptfehler ist, Hunde und Kinder alleine zu lassen. Man darf einen Hund nie mit einem Kind unter fünf Jahren in einem Raum alleine lassen, nicht einmal fünf Minuten, auch nicht, wenn es der liebste Hund ist. Bei Leuten, die ihre Hunde als Babysitter verwenden, kräuseln sich mir alle Fingernägel. Es haben schon Dackel Kinder getötet und gefressen. Und man darf Hunde und Kinder nicht eklatant ungleich behandeln, denn Hunde sind eifersüchtig. Sie erkennen Ungleichbehandlung. Eifersüchtige Hunde sind gefährlich, dazu kommt noch der Futterschüssel-Effekt. Wenn ein Rottweiler im Garten frisst, und es kommt ein Kind auf ihn zugestolpert, darf man sich nicht wundern, wenn der Hund schon mal aggressiv reagiert.

Standard: Beim letzten Vorfall ist ein Rottweiler über den Zaun gesprungen und hat das Kind im Gesicht arg verletzt.

Kotrschal: Wenn ich einen Rottweiler halte, muss ich wissen, dass ich keinen Gartenzaun mit 1,20 Meter Höhe haben darf. Weil Rottweiler Hunde sind, die leicht anspringen. So etwas versteh ich nicht, das ist ja fahrlässig.

Standard: Am 1. Juli tritt der Hundeführschein für bestimmte Kampfhunde-Rassen in Kraft. Wie stehen Sie dazu?

Kotrschal: Prinzipiell positiv. Da hat die Politik einmal einiges weitergebracht. Der Hundeführschein bringt Halter dazu zu bedenken, dass Hunde Umgangsformen brauchen, wenn man sie auf die Menschheit loslässt. Und auch die Hundegack-Geschichte scheint jetzt endlich auf einem guten Weg zu sein. Ich habe nie verstanden, warum Hundehalter das nicht wegräumen. Da macht Stadträtin Sima relativ viel richtig, mit dieser Kombination aus Angebot und Strafe. Es gibt bereits Bezirke, wo die Stimmung kippt und Leute zu Outlaws werden, wenn sie den Haufen nicht wegräumen. Wenn das passiert, hat man es geschafft. Jetzt darf man nicht nachlassen.

Standard: Der Hundeführschein wird vielfach kritisiert, weil er auf bestimmte Rassen einschränkt - und etwa der Schäferhund nicht bei jenen ist, für die man einen solchen Schein braucht. Zu Recht?

Kotrschal: Die Rasseliste halte ich auch für problematisch - denn wo fängt man an, wo hört man auf? Die meisten Bisse verursachen immer noch Schäferhunde. Dass diese Rasse nicht auf der Liste ist, ist schlicht der politische Einfluss der Schäferhund-Besitzer. Der Verband hat immerhin 3000 Mitglieder, die haben das verhindert.

Standard: Was sagt die Hunderasse über den Hundehalter aus? Stimmt das Vorurteil, dass Kampfhunde meistens Besitzer mit geringem Selbstwertgefühl haben?

Kotrschal: Das würde ich so nicht pauschalisieren. Aber es fällt schon auf, dass oft relativ kleine Männer mit relativ großen Rottweilern herumlaufen ... Natürlich, und das muss man jetzt auch gar nicht heruntermachen: Ein Hund ist eindeutig die Verlängerung des eigenen Egos. Allein dass man einen Hund hat, sagt etwas über seinen Besitzer aus. Und man weiß heute, dass Menschen, die mit Hunden unterwegs sind, wesentlich stärker von anderen über diese beurteilt werden als etwa über Kleidung. Hunde sind also für Menschen sehr interessant und werden stark zur Einschätzung ihrer Besitzer herangezogen. Ist man also mit einem sympathischen Hund unterwegs, kommt man besser an als wenn man mit einer Kampfmaschine daherkommt.

Standard: Oft hört man, speziell von älteren Menschen, Hunde seien ihnen lieber als jeder Mensch. Das nennen Sie sozial kompetent?

Kotrschal: Na ja, Menschen werden im Alter neurotischer. Hunde übrigens auch - die werden ängstlicher und unsicherer, genauso wie ihre Menschen. Die sitzen dann gemeinsam etwas höher auf der Neurotizismus-Achse, das passt dann wieder gut zusammen. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 4./5. Juni 2011)