Istanbul - Die türkische Justiz hat zum zweiten Mal binnen weniger Tage ranghohe Offiziere der Streitkräfte wegen Putschverdachts in Untersuchungshaft nehmen lassen. Wie die Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi (AA) am Freitag meldete, erging Haftbefehl gegen den Kommandanten der Luftwaffen-Akademie, General Ismail Tas, sowie drei weitere Offiziere. Vor wenigen Tagen war der Chef der türkischen Kriegsakademie, General Bilgin Balani, in Untersuchungshaft gekommen. Wegen mutmaßlicher Beteiligung an einem Umsturzplan mit dem Codenamen "Vorschlaghammer" (Balyoz) sitzen damit bisher zwölf Offiziere in Haft. Der Plan lieferte 2003 ein Szenario dafür, wie mit Anschlägen Chaos ausgelöst werden sollte, um ein Eingreifen der Streitkräfte zu provozieren.

Die zivile Staatsanwaltschaft in Istanbul ermittelt zudem wegen einer Reihe weiterer mutmaßlicher Umsturzpläne in den Reihen der Armee, die der islamisch-konservativen Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan misstrauisch gegenübersteht. Insgesamt stehen fast 200 aktive und pensionierte Offiziere vor Gericht. Den noch lebenden Verantwortlichen des Militärputschs vom September 1980 drohen nach der Streichung der sie schützenden Verfassungsbestimmungen Strafverfahren. Der heute 93-jährige Anführer des Putschs, Ex-General Kenan Evren, der bis 1989 türkischer Staatspräsident war, und das seinerzeitige Juntamitglied Ex-General Tahsin Sahinkaya (86) sind dieser Tage von einem Staatsanwalt in Ankara zu Vernehmungen vorgeladen worden.

Nach dem Putsch gegen die Regierung des Ministerpräsidenten Süleyman Demirel, der ebenso wie sein Gegenspieler, der damalige Oppositionsführer Bülent Ecevit, und die übrigen Parteiführer eingekerkert wurde, gingen die Militärs besonders brutal gegen Linke, Intellektuelle und Kurden vor. 650.000 Menschen wurden verhaftet, zehntausende gefoltert und hunderte hingerichtet. Ermöglicht wurden die nunmehrigen Ermittlungsverfahren durch die von der Erdogan-Regierung initiierte Volksabstimmung über eine weitreichende Verfassungsreform im vergangenen Jahr. Dadurch wurde eine Schutzklausel abgeschafft, die von den Militärs in die in ihrem Auftrag ausgearbeitete Verfassung von 1982 eingebaut worden war. (APA)