Dieter Behr, DI Landschaftsplanung, Experte des Europäischen BürgerInnenforums für Landwirtschaft und Migration

Foto: Lisa Bolyos

Standard: Man solle nicht länger auf Spanien schauen, fordert die andalusische Agrarministerin Clara Aguilera. Ist alles in Ordnung beim spanischen Gemüseanbau?

Behr: Nein, man soll genau hinschauen und soll hinterfragen, unter welchen Voraussetzungen im Plastikmeer von Almería - so nennt man die 40.000 Hektar Anbauflächen unter Folien - produziert wird. Dort arbeiten etwa 100.000 bis 150.000 migrantische Arbeiterinnen und Arbeiter unter Bedingungen, die so schlecht sind, dass dort auch in Krisenzeiten kein Spanier arbeiten will.

Standard: Welchen Status haben diese Menschen im "Plastikmeer"? Sind sie Saisonarbeiter oder Tagelöhner?

Behr: Es sind Tagelöhner, die morgens an der Straße stehen und warten, bis sie ein Bauer holt, oder sie leben direkt zwischen den Folienhäusern in selbstgebauten Plastikverschlägen. Die meisten kommen aus Nordafrika, Senegal, Mali, ein Teil auch aus Osteuropa und Lateinamerika. Viele von ihnen haben keine Papiere und sind dadurch den Arbeitgebern völlig ausgeliefert.

Standard: Wie ist die soziale Akzeptanz?

Behr: Seit 2000, als es zu rassistischen Ausschreitungen gegen die Migranten kam, versuchen wir die strukturellen Verbindungen zwischen rassistischer Gewalt und ökonomischer Ausbeutung aufzuzeigen. In der Region herrscht Segregation. Viele der Migranten finden keine Wohnungen in Dörfern oder Städten, sie müssen in Plastikhütten im Anbaugebiet leben.

Standard: Wie viel verdient ein Gemüsearbeiter?

Behr: Laut Kollektivvertrag müsste er 44 Euro pro Tag bekommen. In Wirklichkeit sind es 20 bis 30 Euro. Die Situation hat sich 2008 verschlechtert und jetzt durch den Verdacht, dass der Keim Ehec über spanische Gurken übertragen wurde, nochmals verschärft.

Standard: Wie wirkt sich die "Gurkenkrise" auf die Arbeiter aus?

Behr: Aus neuesten Informationen von der SOC-SAT, der andalusischen Landarbeitergewerkschaft, wissen wir, dass viele Gurkenproduzenten ihre Kulturen aus den Folienhäusern geräumt haben. Es werden keine Gurken mehr produziert, weil sie die Ware nicht mehr verkaufen können. Auch bei Tomaten ist der Absatz schlecht. Das letzte Glied in der Produktionskette sind die Landarbeiter, auf die wirkt sich das am stärksten aus, sie haben keine Arbeit.

Standard:Spanien fordert Entschädigung für die Bauern. Könnte das die Situation verbessern?

Behr: Man kann davon ausgehen, dass die Arbeiter nicht davon profitieren werden. Die wenigsten sind regulär beschäftigt.

Standard: Ist die Situation der Landarbeiter in Almería ein Einzelfall in Europa?

Behr: Spanien ist ein Extremfall. Aber leider ähneln sich die sozialen Bedingungen in der europäischen Gemüseindustrie. Die industrielle Landwirtschaft funktioniert nach der Logik des billigsten Preises - die Erzeugerpreise werden immer weiter gedrückt. Die Supermarktketten kaufen dort ein, wo am billigsten produziert wird. Damit wird eine soziale und ökologische Abwärtsspirale in Gang gesetzt.

Standard: Womit wir bei der Macht der Konsumentinnen und Konsumenten wären.

Behr: Wir haben Macht, denn Druck auf die Importeure wirkt. In der Schweiz reagierte beispielsweise die Supermarktkette Coop auf Kundenproteste. Der spanische Coop-Lieferant, ein großer Biobetrieb, der seinen Arbeitern Überstundenlöhne und Abfindungen verweigerte, musste auf Druck der Schweizer die Arbeitsbedingungen verbessern. (Jutta Berger, DER STANDARD; Printausgabe, 3.6.2011)