Zwillinge, die mit Brachialhumor und politischem Einsatz überzeugen: die neuseeländischen Topp Twins werden im gleichnamigen Dokumentarfilm porträtiert.

Foto: Identities

Wien - Aus dem Lautsprecher tönt der Disco-Klassiker Love Is in the Air. Auf dem kleinen Tanzboden in einem Partyzelt legt eine kesse alte Dame mit ihrer Partnerin, die im Rollstuhl sitzt, dazu ein Tänzchen hin. An ihren gekonnten Bewegungen ist zu sehen, dass sie darin Routine hat - schließlich hat die Geschichte dieses Paares einst mit einem Tanz begonnen.

Edie und Thea: A Very Long Engagement haben Susan Muska und Gréta Ólafsdóttir ihr knapp einstündiges Porträt der beiden Frauen schlicht genannt. Einen wesentlichen Teil des Bildmaterials haben die Protagonistinnen selbst im Laufe ihrer mehr als vierzig Jahre währenden Lebenspartnerschaft hergestellt. Jetzt werden Dias auf den Wohnzimmerschrank projiziert, Edie und Thea kommentieren: "Ich liebe diesen Hosenschnitt: eng um die Hüften und unten weit."

Nicht nur wechselnde Moden, auch Reisen und (Familien-)Geschichten lässt man so Revue passieren. Auf energischen Zuruf werden unliebsame Personen (und schmerzliche Erinnerungen) zum Verschwinden gebracht. Und das Hochzeitsfoto, das in der Generation von Edie und Thea traditionellerweise am Anfang eines gemeinsamen Lebens stand, wird in ihrem Fall 2007 endlich auch noch nachgereicht.

Mehr Realismus

Das Wiener Queer Film Festival Identities 2011 findet im "Jahr eins nach der Gesetzwerdung der Eingetragenen Partnerschaft in Österreich" statt, die noch immer keine wirkliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Paare darstellt. Die Geschichte von Edie und Thea und ihrer "sehr langen Verlobung" eröffnet somit programmatisch zehn Spieltage, an denen - so Identities-Chefin Barbara Reumüller im Programmheft - nicht zuletzt die "real existenten Familien-, Beziehungs- und Identitätskonzepte für alle" sichtbar gemacht werden sollen.

Statt Melodrama scheint dabei auf der Leinwand mehr Realismus angesagt. Trotz der Differenz Ähnlichkeiten zu betonen, Parallelen zu ziehen und Alltag in den Vordergrund zu rücken, ist ein Trend, den etwa das US-Kino seit einiger Zeit forciert: Neben einer Reprise des Vorjahres-Überraschungserfolgs The Kids Are All Right ist unter anderem Prayers for Bobby zu sehen. Sigourney Weaver wandelt sich darin von der erzkonservativen Vorstadtmutter zur Aktivistin, nachdem ihr schwuler Sohn sich umgebracht hat. In Mike Mills' brandneuer, biografisch getönter Familienstudie Beginners, irritiert hingegen ein rüstiger Neo-Witwer (Christopher Plummer) seinen erwachsenen Sohn (Ewan McGregor) mit einem umgehenden späten Coming-out.

Größter Popularität erfreuen sich in ihrer Heimat Neuseeland die Topp Twins: Als Countryduo mit gnadenlosen Vokuhilas haben die lesbischen Zwillinge und Farmerstöchter in den 80er-Jahren begonnen. Längst füllen sie die größten Bühnen. Ihr rebellischer Geist und Brachialhumor sind ungebrochen. Der Songwriter Billy Bragg nennt sie eine "anarchistische Varieténummer", andere Weggefährtinnen geben Einblick ins politische Engagement der Schwestern, die gegen Atomkraft, für Landrechte der Maori oder für Gleichstellung Homosexueller auf die Barrikaden gingen.

"We are untouchable girls", singen die beherzten Schwestern. Der Dokumentarfilm The Topp Twins ist ein echtes Feel-Good-Movie (mit Musik und Tiefgang) und eine von vielen Österreich-Premieren im Programm.

Österreichische Festival-Beiträge gibt es auch: vom Queer-Trash-Klassiker Rote Ohren fetzen durch Asche (A. Hans Scheirl, Dietmar Schipek, Ursula Pürrer, 1991) bis zur Welturaufführung von Katrina Daschners Flaming Flamingos im Rahmen der Nouvelle Burlesque Brutal Trilogie. Nur queeren Familienfilme lassen hierzulande weiter auf sich warten. (Isabella Reicher/DER STANDARD, Printausgabe, 1. 6. 2011)