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Spermatozoen auf dem Weg zu ihrem Ziel. Die sexuelle Fortpflanzung ist eine komplizierte und aufwändige Angelegenheit und doch birgt sie große Vorteile gegenüber der ungeschlechtlichen Vermehrung.

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Grado - Die Entwicklung von zwei unterschiedlichen Geschlechtern, in der Folge Kampf um den Partner, die Befruchtung, Schwangerschaft, Geburt und Brutpflege - sexuelle Fortpflanzung ist eine komplizierte und aufwändige Angelegenheit. Allerdings hat sie einen gewaltigen Vorteil: Sie treibt die Evolution so schnell voran, dass Arten, die sich ihrer bedienen, neuen Gefahren und Umweltbedingungen früher und damit besser begegnen können.

"Es gibt Liebe, weil es Parasiten gibt", lautet das Fazit aktueller Forschungsarbeiten von Karl Grammer und Elisabeth Oberzaucher von der Abteilung für Anthropologie der Universität Wien. Sie stellten ihre aktuellen Erkenntnisse auf diesem Gebiet bei den 20. Ärztetagen der Österreichischen Ärztekammer in Grado (29. Mai bis 4. Juni) vor.

Evolution der Liebe

Das Thema des Festvortrages der Anthropologen: "Die Evolution der Liebe". Und die gibt es nicht ohne Grund, sie ist Teil von Evolution und Selektion. Grammer: "Süßwasserpolypen lassen sich ihre Kinder aus dem 'Knie' wachsen." Das sei wohl am einfachsten. Umgekehrt müsse es also einen Grund geben, warum sich die sexuelle Fortpflanzung entwickelt habe.

Elisabeth Oberzaucher: "Das Problem ist, dass wir in der Evolution schnell laufen müssen. Wir haben große Gegenspieler - Parasiten, Bakterien und Viren. Sie können sich so schnell anpassen. Das müssen auch wir. Die Mutationsrate (ohne sexuelle Vermehrung, Anm.) ist fixiert. Mit der sexuellen Fortpflanzung aber haben wir einen 'Turbo' (für die Anpassung, Anm.) erhalten."

Die Konsequenz: Bei sexueller Fortpflanzung wird jedes Mal das Erbgut der Partner durcheinander geschüttelt, neu arrangiert. Es entstehen viel schneller neue Varianten. Die werden per Selektion und größerem oder geringerem Fortpflanzungserfolg der entstandenen Individuen von der Natur ausprobiert, setzen sich durch oder verschwinden wieder. Im menschlichen Erbgut sind aber somit auch die Ereignisse von vier bis sechs Millionen Jahren Entwicklung gespeichert.

Nicht alles ist Wettbewerb

Der Anthropologe: "Wir sind die historischen Probleme unserer Art. Wir sind eine Anhäufung von Problemen und ihren Lösungen. Die Evolution kann nichts Neues schaffen. Sie bringt nur neue Konstellationen hervor. Ihre Lösungen sind nie perfekt. Wir sind nicht das Ergebnis perfekter Ingenieursleistung." Vielmehr würden Mutationen, natürliche Selektion, sexuelle Selektion und soziale Selektion die treibenden Kräfte sein. Und - da gibt es die kaum definierte Kraft einer Art "blinden Uhrmachers", der aus unheimlich vielen Bestandteilen versucht, eine Uhr zusammenzusetzen und es durch Zufall schafft.

Die Biologie ist dabei längst nicht alles. Rabiat-biologische Vererbungstheorien sind simpel, sonst nichts. Grammer: "Wir sind nicht nur auf Wettbewerb ausgelegt. Wir sind freundlich zu anderen Menschen. Das scheint sich ausgezahlt zu haben."

"Männer sind teuer und schwierig herzustellen"

Das erste Problem: Für sexuelle Fortpflanzung bedarf es männlicher und weiblicher Wesen. Elisabeth Oberzaucher in Grado: "Männer sind teuer und schwierig herzustellen. Wir haben als Basis den weiblichen Embryo. Männer muss man umbauen." Erst unter dem Einfluss von Hormonen wird in der zweiten bis sechsten Gestationswoche festgelegt, ob da nun ein Mädchen oder ein Bub entsteht. Grammer: "Wenn der Vorteil nicht so hoch wäre, hätte die Evolution das nie in Kauf genommen."

Dabei haben Mann und Frau schwer an ihrem Geschlechterlos zu tragen. Oberzaucher: "Das weibliche Geschlecht muss die großen Gameten (Eizellen) produzieren. Für das weibliche Geschlecht sind die 'Kosten' größer - mit Schwangerschaft und Stillperiode. Frauen können diese 'Kosten' aber senken', indem sie Partner wählen, die ihnen helfen. 'Sie' weiß auch immer, wer ihre Nachkommen sind. Die Frauen schauen sich ganz genau an, auf wen sie sich einlassen." Bei der Fortpflanzung des Menschen herrscht aktive "Damenwahl".

Intelligenz und Größe

Das spiegelt sich - sprichwörtlich natürlich - in der Selektion des Partners. Grammer: "Männer legen Wert auf die Attraktivität, Frauen auf den Status und die Durchsetzungsfähigkeit ihres Partners." Studien in 60 verschiedenen Sozialkulturen hätten belegt: "Intelligenz spielt für Frauen die größere Rolle als für den Mann." Und: Weil offenbar größere Männer im Schnitt durchsetzungsfähiger, erfolgreicher sind, tendieren Frauen zu Männern mit mehr Statur. Ist er mehr als fünf Zentimeter kleiner als die Frau, klappt's demnach nicht. Ein um 25 Zentimeter größerer Mann sei für die Frauen offenbar das evolutionsmäßig beim Menschen etablierte Optimum.

Es geht nicht nur um Aussehen etc. Die Reproduktionsstrategien von Mann und Frau sind laut Grammer völlig unterschiedlich. Frauen handelten nach folgendem Motto: "Ich wähle, halte fest - und schaue weiter." Das Motto der Männer hingegen: "Viele anschauen und die Beste wählen." Dabei ist das Ziel wohl eine fixe Partnerschaft, welche eben möglichst einfach möglichst viele überlebende Nachkommen hervor bringt.

Das gehört ausprobiert, aber nicht zu oft und nicht zu lange. Die Forschungsergebnisse dazu, so der Anthropologe: "Im Durchschnitt werden zehn bis zwölf Partner getestet. Dann wird geheiratet." Auch hier zitierte der Wissenschafter ein schlagendes Motto: "Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach." - Zumindest, was den eigenen Reproduktionserfolg angeht. Und wenn das Ausprobieren beim Menschen weit über die Zahl von zehn oder zwölf potenziellen Langzeitpartnern hinaus geht, schmilzt die Chance auf eine lebenslange Bindung offenbar in Richtung Null.

Ovulation und Attraktivität

Der "Kampf der Geschlechter" bei allen diesen Dingen: Die Männer wollen laut den Anthropologen möglichst viel Nachkommenschaft und versuchen, die weibliche Sexualität zu dominieren. Der Trick des weiblichen Geschlechts beim Menschen: Offenkundig sind die fruchtbaren Tage der Frau für den Partner nicht. Doch die Milliarden Jahre lange Erfahrung der Evolution schlägt auch hier einem simplen System ein Schnippchen. Grammer: "Frauen werden zum Zeitpunkt der Ovulation attraktiver."

Das erfolgt allerdings "unterschwellig" und lässt sich laut wissenschaftlichen Reihenuntersuchungen mittlerweile mit großen Datenmengen belegen. Ein Beispiel: Intuitiv finden Menschen bei oberflächlich gleich aussehenden Reihenbildern vom Gesicht einer Frau heraus, welches der Fotos am Tag des Eisprungs gemacht wurde. Und all der Aufwand, um durch schnelle Rekombination der Erbinformationen bessere Abwehrkräfte gegen Parasiten, Bakterien und Viren zu haben. (red/APA)