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Ein Wahlplakat für Goodluck Jonathan vom Februar dieses Jahres. Die Wahl zum Präsidenten hat er im April gewonnen.

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Der neue Präsident Goodluck Jonathan bei seiner Vereidigung als Präsident am vergangenen Sonntag.

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Zur Person: Esther Foluke Ogunfowora ist Gewerkschafterin des Nigeria Labour Congress (NLC), dem Dachverband der Gewerkschaften des Landes. Sie leitet ein Projekt, das Informations- und Bildungsarbeit zum Thema HIV/AIDS leistet. Zuvor war Esther Ogunfowora Vorsitzende der Women Commission des NLC und arbeitete zu Frauenrechten, Genderfragen, Gewalt gegen Frauen.

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Goodluck Jonathan hat die Präsidentschaftswahlen im April gewonnen. Er war der beste, der zur Wahl stehenden Kandidaten, sagt die Gewerkschafterin Esther Foluke Ogunfowora vom Nigerian Labour Congress (NLC) im Gespräch mit derStandard.at. Die Wähler hätten diesmal aufgrund der Überzeugungen der Kandidaten und nicht deren Parteizugehörigkeit entschieden. Die oft bemühte Konfliklinie zwischen dem überwiegend muslimischen Norden und dem christlich geprägten Süden hält Ogunfowora für politisch konstruiert.

Ogunfowora war auch Vorsitzende der Women Commission des NLC und hat in dieser Funktion zum Thema Frauenrechte gearbeitet. Eines der größten Probleme sei, dass es keine ausreichende gesetzliche Handhabe gebe, um Gewalt gegen Frauen vor Gericht bringen zu können. Ein entsprechender Entwurf würde im Parlament schon zehn Jahre auf einen Beschluss warten. Beim Thema sexueller Gewalt gegen Frauen stoße man auch schnell auf eine Mauer des Schweigens. Kaum jemand wagt über Vergewaltigungen zu sprechen, zu groß sei die Scham der Opfer, sagt Ogunfowora.

derStandard.at: Goodluck Jonathan hat die Präsidentschaftswahlen im April knapp gewonnen. Nach der Bekanntgabe seines Wahlsieges kam es zu Ausschreitungen. Nach Angaben von Human Rights Watch sind bis zu 800 Menschen gestorben. Wird es Jonathan gelingen die Situation wieder zu beruhigen?

Ogunfowora: Soweit ich das sehe, war Goodluck Jonathan der Beste unter den zur Wahl stehenden Kandidaten. Die Gewalt nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses brach überwiegend in den islamischen Bundesstaaten im Norden aus. Jonathans Herausforderer sah sich als Sieger im Norden, aber er hat die südlichen, christlichen Bundesstaaten niemals besucht. Goodluck hat das sehr wohl gemacht. Er war in jeder Region, egal ob Norden oder Süden. Er hat facebook für seine Kampagne genutzt und hat sich mit allen möglichen Interessensgruppen getroffen. Er hat sichergestellt, dass er in Kontakt mit der Bevölkerung kommt. Jonathan gehört einer Minderheit an. Normalerweise muss ein Kandidat einer der drei großen Gruppen angehören, um bei den Wahlen eine Chance zu haben. Diesmal war das zum ersten Mal anders. Zum ersten Mal wurden Leute aufgrund ihrer Überzeugungen gewählt. Es ging nicht nur um Parteizugehörigkeit. Auch die Wählerregistrierung war stärker als je zuvor. Das heißt für mich, dass die Menschen ihr Schicksal in die Hand nehmen wollen.

derStandard.at: Die Wahlbeobachter der Afrikanischen Union haben die Wahl auch zu einer der bisher fairsten erklärt.

Ogunfowora: Erstmals gab es elektronische Wählerregistrierung. Das hat allerdings die Bundesstaaten im Norden benachteiligt. Es leben zwar mehr Menschen im Norden als im Süden, aber die Frage ist, wie viele haben sich registriert. Außerdem war die Opposition im Norden in vier Parteien zersplittert. Auch wenn sie gemeinsam vielleicht die Mehrheit haben, haben sie die Stimmen auf die verschiedenen Kandidaten aufgeteilt.

derStandard.at: Einige Analysen des Gewaltausbruches verweisen darauf, dass sich hier frustrierte junge Menschen Luft machen. Der Norden liege wenn es um Entwicklung, Bildung und Arbeitsplätzen geht immer noch weit hinter dem Süden. Ist das ihrer Meinung nach eine richtige Einschätzung?

Ogunfowora: Nicht zu hundert Prozent. Ja, der Norden liegt was Bildungschancen betrifft weit hinter dem Süden. Das ist aus einer historischen Perspektive verständlich. Bildung kam aus dem Süden. Im Süden und Südwesten ist die Regierung verpflichtet Ausbildungsmöglichkeiten kostenlos anzubieten. Das ist seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 so. Im Norden ist das nicht der Fall. Bei vielen Kindern in einer Familie ist es nicht leicht, allen eine gute Ausbildung zukommen zu lassen.

derStandard.at: Ist der Konflikt zwischen Muslimen im Norden und Christen im Süden eine tatsächliche Konfliktline oder werden durch Religion nur andere Bruchlinen – soziale und wirtschaftliche – überlagert?

Ogunfowora: Ja, der Norden ist muslimisch und der Süden christlich. Aber das war lange Zeit kein Problem. Die Entscheidung aus den unterschiedlichen Religionen eine Konfliktlinie zu konstruieren, war eine politische. Ich bin im Norden geboren, meine Eltern sind aus dem Südwesten, aber ich bin im Norden zur Welt gekommen und dort aufgewachsen. Ich spreche Hausa besser als meine Muttersprache. Während meiner Jugend war es kein Thema wer welche Religion hat. Das hat sich mittlerweile verändert und ich erkenne diese Region zum Teil nicht wieder. Die Ursache für diese Veränderung ist aber die Politik.

derStandard.at: Zwölf Bundesstaaten im Norden haben zumindest zum Teil die Sharia als geltendes Recht eingeführt. Was sagen Sie zu dieser Entwicklung?

Ogunfowora: Nigeria ist ein säkularer Staat. Wenn ich mich weigere unter den Regeln der Sharia beurteilt zu werden, gilt dieses Recht für mich nicht. Ich habe erst einen nigerianischen Bundesstaat besucht in dem die Sharia gilt. Ich habe keinen Unterschied zu meinen vorherigen Besuchen festgestellt. Also habe ich mit den Leuten gesprochen und sie haben erzählt dieser Konflikt wäre politisch konstruiert. Wenn man mit den Menschen spricht wird klar, dass sie anders darüber denken, als die Politiker das vorgeben. Es geht eigentlich um andere Themen: Ein gemeinsamer Feind, egal ob Muslim oder Christ ist die Armut. Und Armut kennt deine Religion nicht. Darüber sollten wir uns den Kopf zerbrechen, um den folgenden Generationen eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Die Ressourcen sind da. Es gibt genug für alle.

derStandard.at: Das Militär war in Nigeria lange Zeit an der Macht. Könnten sich die Militärs wieder an die Macht putschen, wenn die Situation sich nicht bessert?

Ogunfowora: Keine Chance! Der letzte Präsident vor Goodluck Jonathan musste wegen der Behandlung einer schweren Krankheit das Land verlassen. Das wäre in der Vergangenheit eine Möglichkeit für das Militär gewesen, ein entstehendes Machtvakuum auszufüllen. Aber sie haben das nicht genutzt. Sie haben auch den Rückhalt in der Bevölkerung verloren. Was auch immer passiert, die Leute sind mittlerweile der Meinung, wie schlecht die Demokratie auch funktionieren mag, sie ist besser als eine Militärregierung.

derStandard.at: Die Ölvorkommen in Nigeria sind groß. Warum profitieren das Land und die Bevölkerung nicht mehr davon?

Ogunfowora: Dabei ist Öl nur eine der vielen Ressourcen, die Nigeria hat. Es gibt beispielsweise noch viele andere Bodenschätze, die noch gar nicht abgebaut werden. Die derzeitige Situation haben sicherlich unsere nationalen Politiker zu verantworten. Aber auch die Internationale Gemeinschaft trägt ihren Teil dazu bei. Internationale Konzerne fördern in Nigeria Öl. Die Raffinerien sind allerdings nicht in Nigeria. Und dann wird das Öl wieder an uns zurück verkauft. Das kann man den jeweiligen Firmen auch nicht vorwerfen. Sie verfolgen eben ihre eigenen Interessen. Aber wir müssen beginnen dasselbe auch zu machen – Nigerias Interessen verfolgen. Einige Bundesstaaten packen jetzt den Stier bei den Hörnern und planen eigene Raffinerien zu bauen.

derStandard.at: Sie waren und sind auch in Projekten für Frauenrechte aktiv. Was sind Ihrer Meinung nach die drängensten Probleme für Frauen in Nigeria?

Ogunfowora: Das wichtigste für mich ist, Mädchen zu ermutigen, in die Schule zu gehen. Nicht alle Mädchen haben die Möglichkeit eine Schule zu besuchen und sehen Ausbildung auch oft nicht als wichtige Sache in ihrem Leben.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Gewalt gegen Frauen zu stoppen. Es liegt seit mehr als zehn Jahren einen Gesetzesvorschlag, der Gewalt gegen Frauen unter Strafe stellen würde beim Parlament. Bis heute gibt es dazu keinen Beschluss. Hier bräuchte es mehr Frauen im Parlament und viel mehr Ressourcen für Lobbying.

Die Gewalt gegen Frauen ist überall: Wenn Männer keine Verantwortung für die Familien übernehmen, bleibt alle Arbeit an den Frauen hängen. Es gibt viele alleinerziehende Frauen und der Vater auch finanziell nichts beiträgt. Und es gibt keine ausreichende gesetzliche Möglichkeit, die Männer dafür zur Verantwortung zu ziehen – auch nicht für Männer, die Frauen schlagen.

derStandard.at: Wie groß ist das Problem der sexuellen Gewalt gegen Frauen?

Ogunfowora: Darüber wird seitens der Betroffenen meist geschwiegen. Eine meiner Kolleginnen hat in einer weiterführenden Schule eine anonyme Umfrage zu diesem Thema gemacht. Sie hat gefragt, ob die Mädchen vergewaltigt wurden, wenn ja, wie oft und von wem. Ihre Ergebnisse sind erschütternd: Fast 70 Prozent der Mädchen, die an der Umfrage teilgenommen haben, sind zumindest einmal vergewaltigt worden. Und: Sie haben nie jemandem davon erzählt. Die Täter waren zum Teil Polizisten oder Familienmitglieder.

Ich hatte einmal einen Fall einer Fünfjährigen, die vergewaltigt wurde. Es fragten sogar Polizisten die Mutter, warum sie sich denn so anstelle. Sie solle doch Geld als Entschädigung akzeptieren und die Sache auf sich beruhen lassen.

Wegen der Scham die mit einer Vergewaltigung für das Opfer immer noch verbunden ist, will niemand darüber sprechen. Die Frauen und Mädchen erzählen nicht mal ihren Familien und Freunden davon. Man stößt hier immer wieder auf eine Mauer des Schweigens. Hier muss sich das Bewusstsein ändern. Das ist noch ein langer Weg.

derStandard.at: Sie leiten ein Bildungs- und Informations-Projekt zu HIV/AIDS. Können Sie ihre Arbeit ein wenig beschreiben?

Ogunfowora: Ich arbeite für ein Gewerkschaftsprojekt bei dem das Ziel ist, das Bewusstsein und das Verständnis für HIV/AIDS am Arbeitsplatz zu erhöhen. Wir machen Schulungen mit Arbeitern und Gewerkschaftsvertretern, um sie für dieses Thema zu sensibilisieren. Wir versuchen auch die Communities außerhalb des Arbeitsplatzes zu erreichen und das gesellschaftliche Stigma, das oft mit HIV/AIDS verbunden ist, zu reduzieren. (mka, derStandard.at, 31.5.2011)