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Chodorkowski muss noch bis 2016 in Haft bleiben.

Foto: APA/EPA/Igor KharitonovV

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Straßburg - Spektakuläre Niederlage für den schärfsten Gegner des russischen Regierungschefs Wladimir Putin: Der Ex-Ölmagnat Michail Chodorkowski (47) ist mit einer Klage in Straßburg gegen russische Willkürjustiz gescheitert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wies am Dienstag diesen Teil seiner Grundrechtsbeschwerde, dass das Strafverfahren gegen ihn politisch motiviert gewesen sei, ab.

Allerdings erkannten die sieben Richter einstimmig zwei Verletzungen des Verbots unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung an. Dabei geht es um die Bedingungen der Untersuchungshaft Chodorkowskis und um seine Behandlung im Gerichtssaal.

Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit

Das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Europäischen Menschenrechtskonvention wurde aus mehreren Gründen verletzt: wegen der Umstände der Festnahme des einstigen Chefs des zerschlagenen Ölkonzerns Yukos, wegen der Dauer seiner Untersuchungshaft und wegen Verfahrensmängeln in Verbindung mit der Untersuchungshaft.

Der Europäische Gerichtshof verurteilte die russische Regierung wegen der "erniedrigenden" Behandlung Chodorkowskis im Gerichtssaal. Die Vorführung des Kremlkritikers 2005 in einem Käfig habe ihm ein Gefühl der Unterlegenheit vermittelt, befanden die Straßburger Richter am Dienstag.

Das Menschenrechtsgericht kritisierte auch die Bedingungen der Untersuchungshaft des heute 47-Jährigen. Der Chef des später zerschlagenen Ölkonzerns Yukos habe 2005 zwei Monate unter "unmenschlichen und entwürdigenden" Bedingungen verbracht. Er sei in einer weniger als vier Quadratmeter großen Zelle mit "entsetzlichen" sanitären Anlagen untergebracht gewesen.

Auch die Festnahme des Geschäftsmannes sei "unrechtmäßig" gewesen, da sie unter anderen Vorzeichen geschah, als zunächst angegeben. Chodorkowski sei als Zeuge festgenommen und schon Stunden später angeklagt worden, und zwar mit einer 35 Seiten umfassenden Anklage. "Die Geschwindigkeit, mit der die Ermittlungsbehörden handelten, lässt vermuten, dass sie auf eine solche Entwicklung vorbereitet waren", befanden die Richter.

Sie rügten auch die Länge der Untersuchungshaft, die zweimal ohne Gründe verlängert wurde. Ein Antrag auf Berufung wurde erst einen Monat und neun Tage später geprüft. Außerdem hatten die Anwälte nicht genug Zeit, die 300 Seiten lange Anklageschrift zu lesen und konnten nicht frei mit ihrem Mandanten reden. All dies verstoße gegen die Menschenrechtskonvention.

Entscheidender Punkt abgelehnt

Den für Chodorkowski entscheidenden Punkt, nämlich einen politischen Hintergrund des Verfahrens, lehnten die Richter aber ab. Es gebe zwar einen solchen Verdacht, aber es fehlten die wasserdichten Beweise, begründete der Gerichtshof seine Entscheidung. Die Behörden müssten auch gegen Regierungskritiker vorgehen können. "Der politische Status garantiert keine Immunität", befanden die Richter.

Der Gerichtshof sprach dem inhaftierten Kremlkritiker ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro zu. Die Entscheidung ist nicht endgültig; gegen sie kann Berufung beantragt werden. Dieses Urteil betrifft den ersten Strafprozess gegen Chodorkowski, bei dem er 2005 wegen Betrugs, Veruntreuung und Steuerhinterziehung zu acht Jahren Straflager verurteilt worden war.

Die Anwälte Chodorkowskis äußerten sich einerseits zufrieden über das Urteil, das eine "beeindruckende Liste von Menschenrechtsverletzungen" anerkannt habe. Zugleich reagierten sie enttäuscht, weil die Klage gegen russische Willkürjustiz gescheitert war. Der russische Vertreter beim Menschenrechtsgericht kündigte Berufung an.

Menschenrechtler kritisierten die Abweisung der Klage des Kremlkritikers. Der erste Moskauer Prozess gegen Chodorkowski sei "ohne jede Frage" und "ganz offensichtlich" politisch motiviert gewesen, sagte die Moskauer Chefin der Organisation Human Rights Watch (HRW), Tatjana Lokschina, am Dienstag.

Chodorkowski, einer der reichsten Männer des Landes, war 2003 in seinem Flugzeug auf der Landebahn in Sibirien festgenommen worden. 2005 wurde er wegen Steuerhinterziehung zu acht Jahren Haft verurteilt, in einem zweiten Prozess wegen Betrugs noch einmal zu sechs Jahren. Seine Gesamtstrafe wurde vor einer Woche in einem Berufungsverfahren um ein Jahr auf 13 Jahre verringert.

Vorzeitige Haftentlassung

Chodorkowski und sein ebenfalls inhaftierter Geschäftspartner Platon Lebedew beantragten am Montag unterdessen erneut ihre vorzeitige Haftentlassung. In ihren Anträgen an ein Moskauer Gericht wiesen sie darauf hin, dass sie bereits mehr als die Hälfte ihrer Strafen verbüßt hätten und das Strafrecht in dem Fall eine Aussetzung der Reststrafe auf Bewährung zulasse. Ein Gericht in Moskau prüft den Antrag. Die Bitte Chodorkowskis sei eingegangen und werde geprüft, sagte die Sprecherin des Moskauer Stadtgerichts, Anna Ussajewa, am Dienstag nach Angaben der Agentur Interfax.

In dem Fall Chodorkowski scheinen auch Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Putin nicht einer Meinung zu sein. Während Putin im vergangenen Jahr sagte, der "Dieb" müsse im Gefängnis bleiben, sieht Medwedew in einer Freilassung kein Problem für die Gesellschaft. (APA)