Eine Mutter will mit ihrer 14-jährigen Tochter wegziehen. Der Vater ist nicht grundsätzlich gegen den Wegzug. Was ihn stört, ist die Tatsache, die auch das Jugendamt festgestellt hat, dass die in prekären Verhältnissen lebende Kindesmutter keine Auskunft darüber geben will, wovon und wie sie mit dem Kind am fremden Ort zu leben gedenkt. Der Vater stellt daher einen Antrag auf Obsorge bis sichergestellt ist, dass die Mutter am neuen Ort in geregelten Verhältnissen lebt.

Verstand aus- und Experte eingeschaltet

Das Gericht schaltet einen psychologischen Experten ein, der die Auswirkungen dieses Umzuges auf das Kindeswohl beleuchten soll. Grundsätzlich, das ist seine spezielle Methode, redet der Experte nur mit beiden Betroffenen gemeinsam. Vierzig Minuten sitzt dieser Experte da und stellt lauter Fragen, die alle im Akt schon beantwortet sind. Vor Ende der Sitzung trägt der Experte der Mutter noch auf, Nachweise über Beschäftigung, Wohnung und Schulbesuch der Tochter beizubringen. Ohne die könne er nämlich nicht feststellen, ob das Kind in seiner neuen Umgebung gefährdet ist.

Den Ausführungen der Mutter beim Psychologen entnimmt der Vater, dass die Mutter eigentlich gar nicht wegziehen will. Und wenn das Kind da bleibt, wo es ist, gibt es auch kein Problem mehr. Deshalb zieht er 48 Stunden später, also am nächsten Arbeitstag, per E-Mail seinen Obsorgeantrag zurück, den das Gericht postwendend an den Psychologen weiterleitet und das Gutachten abbestellt. Drei Wochen später erhält der Vater trotzdem ein fertiges Gutachten, eine Rechnung über annähernd 1.200 Euro und die Aufforderung, Stellung zu beziehen.

Wissenschaftliche Erkenntnisse und ein umgekehrter Guttenberg

Das angeblich nach neuesten, wissenschaftlichen Erkenntnissen verfasste Gutachten umfasst 19 Seiten. Der weitaus größte Teil davon besteht aus der Abschrift des Akteninhaltes, ein kleinerer Teil aus der Übertragung des handschriftlichen Sitzungsprotokolls und dazu ein Literaturverzeichnis, das den unbedarften Laien in frommem Schauder erstarren lässt. Ganze elf Werke aus der einschlägigen Literatur sind angeführt und daraus genau zwei Stellen zitiert - eine Umkehrung des guttenbergschen Verfahrens quasi -, die geradezu als fundamentale Grundlage der Basis jeglicher psychologischer Erkenntnis stehen könnten:

1) "Wenn die Eltern sich streiten, leidet das Kind" und 2) "Je älter ein Kind ist, umso entscheidungsfähiger ist es auch." Der Kern der Geschichte handelt aber nicht vom Inhalt des Gutachtens, es geht um die merkwürdigen Umstände, die zu dessen Erstellung führten.

Kritische Beweiswürdigung

"Es ist offensichtlich, dass der Sachverständige sein Gutachten ohne die verlangten Nachweise gar nicht erstellen konnte. Ich vermute daher, dass dieses Gutachten nicht den verfahrensgegenständlichen Fragen sondern einzig und allein den pekuniären Interessen des Gutachters dient", so schrieb der von psychologischer Schröpfung bedrohte Vater und merkte dazu an, dass er trotz seiner Geringschätzung der psychologischen Weisheiten nur jenen Teil der Kosten des Experten nicht zu bezahlen gedenke, der nach der Abbestellung angefallen sei, rund 800 Euro.

Einen Monat später kommt die Antwort des Gerichts mit der Kostenvorschreibung in voller Höhe. Es sei eine "Tatsache", so der Richter, "dass das Gutachten bereits fertig war, als es abbestellt wurde.

Jeder Jusstudent im 1. Semester lernt, dass derjenige, der eine Tatsache behauptet, diese auch beweisen muss. Das gilt immer vor Gericht, bloß hier nicht. Niemand kann feststellen, ob der Psychologe sein Gutachten vor oder nach der Abbestellung geschrieben hat, aber jeder weiß, dass kein Sachverständiger ein Gutachten schreibt, bevor er die wesentlichen Unterlagen beisammen hat. Und man muss kein Nick Knatterton sein, um zu sagen: "Kombiniere, der wollte halt noch schnell ein wenig Cash generieren."

Und dann wundern sich die Standesvertreter der Richterschaft, wieso das Image der Justiz unten durch ist. (Leser-Kommentar, Günther Frick, derStandard.at, 30.5.2011)