Geht's um vermeintliche Ungerechtigkeiten, kommt Foglar mit dem Aufzählen kaum nach: "Die Arbeitnehmer tragen die Hauptlast der Konsolidierung, während die Gewinne explodieren."

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Standard: Herr Präsident, sind Sie ein Wutbürger?

Foglar: Nein. Ich betrachte die Dinge nüchtern und sehe deshalb, dass Regierung und Sozialpartner die Krise sehr gut bewältigt haben, was sich in einer der niedrigsten Arbeitslosenraten zeigt. Aber das hilft natürlich nicht jenen, die nach wie vor keinen Job haben. Und die Arbeitnehmer merken, dass sie die Hauptlast der Budgetkonsolidierung tragen, während ihre Löhne mit den explodierenden Gewinnen nicht mithalten.

Standard: Den vielzitierten "Stillstand" sehen Sie nicht?

Foglar: Nein, weil von Untätigkeit keine Rede sein kann: Denken Sie etwa an die Bankenabgabe, das Anti-Lohndumping-Gesetz, den Pflegefonds oder die 80 Millionen Euro extra für Bildung. All das wird gerne vom Tisch gewischt.

Standard: Sie klingen ja fast wie ein Regierungssprecher.

Foglar: Ich spreche aus der Sicht des Gewerkschafters, weil das Erreichte vielfach auf unseren Vorschlägen basiert. Aber natürlich wollen wir mehr Tempo bei der Bildungsreform, um das Konzept der Selektion in Hauptschüler und Gymnasiasten zu beseitigen. Und wir fordern eine Sozialmilliarde für Kindergarten, Pflege und das Gesundheitswesen.

Standard: Womit bezahlen?

Foglar: Wir brauchen ein stärkeres Wirtschaftswachstum ...

Standard: ... was ein frommer Wunsch ist ...

Foglar: ... und mehr Effizienz in der Verwaltung. Außerdem benötigen wir neue Einnahmen. Solange zwei Drittel der Steuereinnahmen aus Lohn- und Umsatzsteuer kommen, vermögensbezogene Steuern aber nur 1,4 Prozent ausmachen, kann man von Gerechtigkeit nicht sprechen. Also: Vermögen belasten, Arbeitseinkommen entlasten.

Standard: Diese Umschichtung bringt aber kein frisches Geld.

Foglar: Eine Finanztransaktionssteuer könnte EU-weit hunderte Milliarden für die Bildung bringen. Ich wünsche mir dabei so viel Tempo wie beim Kaputtsparen, mit dem in der EU die Abwärtsspirale derzeit beschleunigt wird.

Standard: Die ÖVP will Geld lieber durch Privatisierungen hereinholen. Ein taugliches Mittel?

Foglar: Nein. Nehmen wir die privatisierte Austria Tabak. In drei Jahren hatte der neue Eigentümer den Kaufpreis durch den Gewinn herinnen, nun sperrt er die letzte Produktion zu. Volksvermögen verschleudert, Jobs vernichtet - wo ist da die Erfolgsstory?

Standard: Anderen Unternehmen hat die Privatisierung gutgetan.

Foglar: Ja, die Voest ist zugegebenermaßen ein positives Beispiel. Aber wir haben nachgerechnet: Würde sich der Staat aus seinen Unternehmen auf einen Anteil von 25 Prozent zurückziehen, würden wir 300 Millionen an Dividende verlieren, aber uns durch Schuldenrückzahlung nur 254 Millionen an Zinsen ersparen. Das wäre ein Verlustgeschäft. Und die Gewinne würden die Privaten einstreifen, während die Allgemeinheit die Kosten in Form von verlorenen Arbeitsplätzen trägt.

Standard: Apropos Tabus: Sind Sie für ein Nulldefizit?

Foglar: Wenn, dann nur ohne starre Grenzen, als Richtmarke über einen Konjunkturzyklus hinweg.

Standard: Werden der Gewerkschaft im Falle des Falles nicht Sonderwünsche einfallen, die das verhindern?

Foglar: Das ist eine Unterstellung. Unsere Einfälle produzieren keine Defizite. Das war im aktuellen Fall die Krise, an der die Gewerkschaft sicher nicht schuld ist.

Standard: Das behauptet auch niemand. Aber für die Geldprobleme im Pensionssystem etwa trägt die Gewerkschaft Mitverantwortung - weil sie Reformen verschleppt hat.

Foglar: Stimmt nicht. Das System wurde laufend so verändert, dass es leistungsfähig bleibt.

Standard: Nicht ausreichend. Das Pensionsantrittsalter ist konstant niedrig, die Kosten steigen massiv.

Foglar: Da darf man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen und einen Obstsalat produzieren. Das Antrittsalter liegt ja nur wegen der hohen Zahl der Invaliditätspensionisten bei den berühmten 58 Jahren, ohne die sind es 62,5 Jahre. Es gibt also kein Pensionsproblem, sondern ein Gesundheitsproblem. Da kann man nicht einfach sagen: Wir haben zu viele Kranke, deshalb streichen wir die Pensionen. Deshalb werden Rehabilitation und gesundheitsfördernde Maßnahmen ausgebaut.

Standard: Ist ein Drittel aller Neopensionisten wirklich zu krank, um länger als bis 53 zu arbeiten?

Foglar: Das System ist streng, rund 60 Prozent der Anträge werden abgelehnt. Diesen Leuten zu unterstellen, sie würden tachinieren, weil sie von 600 bis 800 Euro Invaliditätspension träumten, ist widerlich. Da muss man die Gründe schon in der Arbeitswelt suchen: Jedes Jahr schrauben die Unternehmen die Zielvorgaben nach oben. Nach der Krise werden die gleichen Aufträge mit weniger Personal abgearbeitet.

Standard: Das ist die eine Seite. Die andere ist: Das System öffnet Türen in die Frühpension.

Foglar: Welche?

Standard: Die von Ihnen verteidigte Hacklerregelung, die gut qualifizierte Angestellte aus sicheren Jobs in die Pension lockt.

Foglar: 45 Jahre Arbeit sind genug, davon rücken wir nicht ab.

Standard: Obwohl die Lebenserwartung ständig steigt?

Foglar: Und wenn sie auf 100 Jahre steigt? Sollen dann noch die 85 Jährigen am Baugerüst stehen?

Standard: Die Hacklerregelung nützt Bauarbeitern eher selten.

Foglar: Unter wachsendem Druck stehen auch die Angestellten in den Büros - wie man an den hohen Burnout-Raten sieht.

Standard: Die "Presse" nannte Sie fast so trocken wie abgelegenes Brot. Was bringt Sie in Rage?

Foglar: Ungerechtigkeit. Etwa wenn Leistung mit Einkommen gleichgesetzt wird. Was daran leistungsgerecht ist, wenn ein Banker, der die Finanzkrise mitverursacht hat, das 40-fache einer einfachen Angestellten verdient, leuchtet mir nicht ein.

Standard: Sie sprechen oft im Dialekt. Gehört das zur Jobdescription?

Foglar: Ich bin gelernter Wiener und Werkzeugmacher - und will mich nicht verstellen. (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 30.5.2011)