Konstruktionen für eine bessere Welt: Musiker-Darsteller in Häusermanns Theaterinstallation "Gang zum Patentamt", deren Handeln einer scheinbar zielgerichteten Intuition entspringt.

Foto: Thomas Aurin

Wien - Für gewöhnlich unterhalten die darstellenden Künste zu den Naturwissenschaften keine besonders herzlichen Beziehungen: Man ist - wiewohl sich beide brennend für die Schwerkraft der Verhältnisse interessieren - einander herzlich egal. Wenigstens dem Schweizer Theatermusiker und Regisseur Ruedi Häusermann ist daran gelegen, diesem bedauerlichen Umstand abzuhelfen: Seine magische, manchmal kindlich verträumte Bühneninstallation Gang zum Patentamt verwandelt das Theater Akzent in ein Zukunftslabor der besonderen Art: In ihm werden Technikideen der vorletzten Jahrhundertwende angedacht, mangels planerischen Ehrgeizes verworfen, ohne besondere Enttäuschung erst zum Schwingen, dann zum Verschwinden gebracht.

Auf der Ebene der Planungsarbeit handelt Häusermanns Komposition für vier wohlpräparierte Einhandklaviere und Perpetuum mobile von den Tüfteleien des Berliner Fantasten Paul Scheerbart (1863-1915): Dieser wagte sich an die Konstruktion einer Maschine, welche die Energie zur Unterhaltung ihres Betriebes aus sich selbst zu schöpfen gehabt hätte.

Zehn Schauspieler, hinter deren kauzig-unscheinbarer Kostümierung veritable Musiker versteckt sind, betrachten ein Pianino, das wie ein Stück Frachtgut an Transportseilen hängt. Mit schüchternen Fingern drücken die Damen und Herren Laboranten ein paar Tasten nieder. Das Klavier bewegt sich, die Gesetze der Schwingung gelangen zur Anwendung: Häusermann, der ein paar Texte von und zu Scheerbart eher wie Pflichtübungen nebenher absolvieren lässt, hat seine "Wissenschafter" in die Freiheit des Theaters entlassen.

Ab nun murmeln sie physikalische Steh- und Merksätze. Sie mimen Nachdenklichkeit und entlassen tontropfenweise Musik in das Klingeln der Zugseile und Radspeichen, in das Rotieren der Drahttrommeln, in das Scheppern der Holzböcke. Auf einer mehrstöckigen Landschaft aus Holzbuden und Dekompressionskammern (Bühne: Barbara Ehnes) wird voller Munterkeit ein utopischer Gesellschaftszustand herbeigeführt: Buchstäblich jeder Mensch taugt zum Spezialistentum. Man gebe einer Musikerin, einem Musiker ein Stück Kreide in die Hand, stelle sie oder ihn vor eine Schiefertafel: Schon entstehen die Umrisse eines Perpetuum mobile, mit dem die Menschheit ihre Energieprobleme im Wesentlichen gelöst haben dürfte. Häusermann ist der freundlichste, weil phlegmatischste Weltverbesserer, der sich denken lässt. Sein Zukunftsentwurf tönt und klackert, schwillt und ebbt ab.

Es gibt immer etwas zu schauen, zu entdecken, zu genießen in den Handreichungen dieser verschworenen Gemeinschaft von Käuzen. Ein Stück wie Gang zum Patentamt, ursprünglich im Berliner Hebbel-Theater am Ufer ersonnen, kommt ohne Handlung aus. Das ruhige Blut, das gewiss mit derselben Stockung fließt wie in den Gruppensitzungen Christoph Marthalers, ist ein ganz besonders belebender Saft. Noch heute Abend lässt er sich im Theater Akzent schlürfen. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe 30.5.2011)