Warschau - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg hat Polen zu einer Schadenersatz-Zahlung von 45.000 Euro an eine Mutter verurteilt, der über Wochen die pränatale Untersuchung ihres Kindes verweigert wurde. Außerdem muss Polen die Gerichtskosten von rund 15.000 Euro tragen. Polen habe gegen den Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoßen, der Folter und unmenschliche Behandlung verbietet, so der Gerichtshof.

Die heute 38-jährige brachte 2002 ein Kind mit dem Turner-Syndrom, einem Gen-Defekt, zur Welt, woraufhin ihr Mann sie verließ. Schon nach der Ultraschall-Untersuchung in der 18. Schwangerschaftswoche war sie auf diese Gefahr hingewiesen worden. Die Frau versuchte acht Wochen lang bei insgesamt 16 Ärzten, eine Genanalyse vornehmen zu lassen. Einer der Mediziner verweigerte die Untersuchung mit dem Hinweis, er wolle nicht einem Schwangerschaftsabbruch Vorschub leisten. Als die Ergebnisse einer Genanalyse die Krankheit des Kindes bestätigten, verweigerten Ärzte die Abtreibung mit Hinweis auf die fortgeschrittene Schwangerschaft.

Der Gerichtshof fällte seine Entscheidung im Hinblick auf das polnische Abtreibungsrecht, das einen Abbruch in bestimmten Fällen zulässt, darunter bei einer schweren Behinderung des Kindes. Die RichterInnen erklärten außerdem, die MedizinerInnen hätten die Frau über den Zustand des Kindes informieren müssen - gleich, welche Entscheidung sie danach fällen würde. "Bei uns ist Abtreibung zwar in manchen Fällen zulässig, aber es gibt keine Regeln zur Überprüfung, wann ein solcher Fall vorliegt", kommentierte Ireneusz Krzeminski von der Akademie der Wissenschaften gegenüber der Zeitung "Rzeczpospolita". (APA)