Standard: In Wien fand gerade der Life Ball statt. Die mediale Aufmerksamkeit liegt bei Aids-Charitys mehr auf Promis und weniger auf den schockierenden Fakten wie etwa, dass in Südafrika 17,8 Prozent aller Erwachsenen zwischen 15 und 49 Jahren mit HIV infiziert sind.

Waldenberger: Das ist eine der höchsten HIV-Raten der Welt, ja. Aber was die Aufklärung und das Wissen über das Virus und die Krankheit selbst angeht - nicht nur im südlichen Afrika, auch hierzulande - stehen wir nach mehr als 20 Jahren noch immer auf einem sehr niedrigen Level.

Standard: Ist das eine Kritik an Events wie dem Life Ball?

Waldenberger: Nein. Aber bei all den Einnahme-Rekordergebnissen und der Schrillheit des Balls, habe ich nicht den Eindruck, dass er breitere Teile der Gesellschaft für das Thema sensibilisiert. Die Aufmerksamkeit muss auch nach dem Ball auf dem Thema bleiben. Die Dramatik in Südafrika ist das Resultat der Apartheidspolitik. Der reiche Norden und auch wir haben eine Verantwortung, wir haben diese Unrechtssysteme indirekt lange mitgetragen. Historisch betrachtet gibt es eine Art Bringschuld. Es mag naiv klingen: Aber die positive Entwicklung der Zukunft der Welt hängt auch von Afrika ab. Tatsache ist, dass in Österreich kaum jemand die Dimensionen begreift. In Südafrika leben fast sechs Millionen Infizierte. Das ist rund ein Fünftel aller HIV-positiven Menschen weltweit. Und zu fast 100 Prozent ist es ein Problem der Schwarzen. Ich erwarte mir von der internationalen Gemeinschaft, dass sie dem Rechnung trägt.

Standard: Was macht die Situation in Südafrika so dramatisch?

Waldenberger: Was Südafrika von anderen afrikanischen Staaten unterscheidet, ist die Tatsache, dass die Regierung Aids lange ignoriert hat. Vor allem Präsident Nelson Mandelas Nachfolger Thabo Mbeki verbreitete, dass es Aids nicht gibt. Man hat keinerlei Maßnahmen gesetzt und auch nicht aufgeklärt. Pharmafirmen und NGOs haben auf die katastrophalen Zustände aufmerksam gemacht und davor gewarnt, dass die Situation unkontrollierbar wird. Egal, mit welchem Interesse sie das gemacht haben. Mbeki nahm Ende der 1990er-Jahre internationale Hilfe in Form von Medikamenten einfach nicht an, bezichtigte die Firmen, dass weiße Nazi-Wissenschafter Experimente an der "schwarzen Rasse" vornehmen würden. So kam alles noch einmal in einen kontraproduktiven Apartheiddiskurs. Mbekis Gesundheitsministerin Manto Tschabal-Msimang hat behauptet, das Virus sei eine Erfindung des Westens, man solle Rote Rüben und Knoblauch essen, dann würde man es nicht bekommen. Das alles hat tausende Südafrikaner das Leben gekostet. Mandela selbst hatte einen Sohn, der an Aids gestorben ist, er hat diese Tatsache aber lange verschwiegen.

Standard: Aids in Südafrika ist also ein komplexes Problem, resultierend aus Armut, Unwissenheit und Versäumnissen der Politik?

Waldenberger: Insgesamt ist Südafrika in einem Dilemma: HIV/ Aids bremst die Entwicklung des Landes. Diese fehlende wirtschaftliche Entwicklung führt dazu, dass sich die Seuche weiter stark verbreitet. Südafrika hat wichtige Jahre in der Aids-Aufklärung verschlafen. Jetzt wird es noch einmal dauern, bis sich etwas zum Positiven wendet.

Standard: Haben Sie deshalb diesen Film über HIV/Aids in Südafrika gemacht?

Waldenberger: Die Idee entstand im Vorfeld der Fußball-WM. Mit unserer Initiative "name*it - positive media" versuchen wir auf andere Art auf Probleme in der Welt aufmerksam zu machen. Fußball funktioniert dabei als Medium sehr gut. Wir haben während der EURO 2008 im Kosovo einen Film gedreht (Peace Kicking Mission) und während der Fußball-WM ein Web-Portal zu Südafrika gemacht. Es war nie mein Ziel, einen Film über Aids zu machen, aber als ich 2009 nach Südafrika kam, war mir schnell klar: HIV/Aids ist das omnipräsente Thema.

Standard: Fußball spielt im Film eine Rolle?

Waldenberger: Nur indirekt. Unsere Protagonistin gründete einen Fußballklub in einem Township. Dort findet Aufklärung statt. Kinder wissen nur wenig darüber. Aber es soll kein Film über das Elend sein, sondern im Gegenteil, wir zeigen positive Initiativen der Zivilgesellschaft.

Standard: Sie zeigen ein Afrika, das Touristen nicht kennen. Wie haben Sie einen Zugang gefunden?

Waldenberger: Unsere Protagonistin Primrose habe ich zufällig bei einer Taxifahrt kennengelernt. Über Fußball sind wir ins Gespräch gekommen, und so habe ich von ihrer Mission gegen HIV/ Aids erfahren. Sie war meine Eintrittskarte. Es war schwierig, Vertreter des Establishments vor die Kamera zu bekommen. Nach viel Zittern hat sich ein Sprecher des Gesundheitsministeriums bereiterklärt, Auskunft zu geben.

Standard: Diese Primrose ist also Streetworkerin?

Waldenberger: Nicht offiziell. Sie hat sich engagiert, als ihr Mann an Aids gestorben ist. Er war notorisch untreu. Das ist ein Schicksal, das viele Frauen in Südafrika teilen. Polygamie ist mit ein Grund für die Verbreitung des Virus. Ihre Töchter waren damals noch klein, Primrose wollte sie schützen, ihnen die Zusammenhänge erklären. Sie ist in ihrem Township schnell zu einer Art Ombudsfrau geworden. Sie organisiert Jugendklubs, Fußballspiele und Tanzkurse, alles ohne finanzielle Unterstützung und bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Dafür mit Erfolg. Das ist beeindruckend.

Standard: Kämpft sie nicht auf verlorenem Posten?

Waldenberger: Irgendwo müssen die Leute ansetzen. Wenn aber Präsident Jacob Zuma sagt, eine heiße Dusche nach dem Sex helfe gegen HIV, hat das Folgen. Als Präsident ist er Rolemodel. Er lebt aber in einer polygamen Ehe, hat 20 Kinder mit vier Frauen.

Standard: Vertreter der Kirche hingegen rufen zu Monogamie und Enthaltsamkeit vor der Ehe auf. Bedeutet das nicht einen christlichen Werte-Imperialismus?

Waldenberger: Die sogenannte ABC-Regel (Abstain, Be Faithful, Condomize; Abstinenz, Treue, Kondome, Anm.) ist ein Weg von vielen, der Problematik zu begegnen. Diese Position klingt erst konservativ oder gar reaktionär, erreicht aber breite Teile der Bevölkerung. Das ist angesichts der Lage vielleicht sogar hilfreich. Und darum geht es. Die Freikirchen und die traditionellen Heiler haben enormen Einfluss, auch auf Junge. Teenager-Schwangerschaften sind weitverbreitet. In den "Shebeens" (Bierhallen), sitzen sogenannte "Sugar Daddys", ältere Männer, die mit jungen Frauen schlafen und in der Verbreitung von HIV eine verheerende Rolle spielen. Junge Frauen müssen aufgeklärt werden, dass sie trotz Virus ein gesundes Baby zur Welt bringen, es sogar stillen können, wenn sie ihre Medikamente nehmen. Das ist gesellschaftlich betrachtet ein Hebel, der heute auch von der Regierung verfolgt wird.

Standard: Laut Ihren Erfahrungen: Wollen heute HIV-Infizierte Medikamente nehmen?

Waldenberger: Je besser die Aufklärung, umso eher sind die Menschen bereit dazu. Aber in Kwa Zulu Natal, der am stärksten betroffenen Provinz Südafrikas, gibt es noch große Vorbehalte. Dort ist die Macht der traditionellen Wunderheiler noch enorm stark. Die Leute sind teils ungebildet. Aus diesem Unwissen entstehen seltsame Mechanismen: Menschen, die ihre Medikamente unregelmäßig einnehmen, weiterverkaufen, oder daraus Drogencocktails mixen. Ich denke, man muss die Heiler ins Boot holen, mit ihnen kooperieren. Der Versuch einer Integration findet gerade an der Universität in Durban im Fachbereich Traditional Medicine statt. Seit zwei Jahren werden Wunderheiler aus den ländlichen Gebieten eingeladen. Auch Südafrika hat die brisante Lage langsam erkannt und geht innovative Wege in der Bekämpfung.

Standard: Im Film haben die Menschen dennoch eine relativ pessimistische Meinung zur Zukunft.

Waldenberger: Seit 2010 läuft ein nationaler Gesundheitsplan. Von rund 5,8 Millionen HIV-Positiven in Südafrika bekommen 900.000 Antiretrovirale Medikamente (ARV), rund 500.000 davon sind über Projekte der Entwicklungszusammenarbeit finanziert - vor allem mit Geldern aus den USA. Durch die Wirtschaftskrise sind die Mittel für Entwicklungshilfe aber fast halbiert worden. Das heißt, dass Südafrika seinen ambitionierten Plan, noch 2011 80 Prozent aller HIV-Infizierten auf ARV zu bringen, sicher nicht wird umsetzen können. (Karin Pollack, DER STANDARD Printausgabe, 28.05.2011)