Sinnfragen: Martina Pitterle (Recruiting-Chefin Accenture), Marie Ringler (Länderdirektorin Ashoka Österreich), Sören Buschmann (Strametz International), Psychotherapeut Arnold Mettnitzer und Romy Faisst, Gastgeberin des Jahresforums für die Personalwirtschaft (Business Circle). Alle Fotos: Regine Hendrich

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Sinnfragen sind längst kein philosophisches Randthema mehr, sondern wird Manager künftig stark beschäftigen. Mit diesem Postulat gingen die Diskutanten in das aktuelle Karrierenforum. Denn - ungeachtet der massiven Probleme auf den europäischen Arbeitsmärkten - "die gute alte Motivationsmaschine" arbeite nicht mehr, irgendein Wohlstandsversprechen werde weder geglaubt noch als zentraler Arbeitsinhalt begehrt, sagt Sören Buschmann, Chef der Personalberater Strametz International. Die Kinder der 68-er hätten sich durch gestyltes Spießertum stark von ihren Eltern abgewandt: Dominantes Thema der heutigen Leistungsträger (30 bis 45 Jahre) sei sichtbarer Perfektionismus. Substanzielle Illusionsverluste, verursacht durch die jüngste Krise, hielten aber auch die Jungen davon ab, dem Beispiel ihrer Eltern zu folgen und nach dem Motto "Arbeite jetzt recht viel, damit es dir später besser geht" zu leben.

Buschmann: "Gefühlte 50 Prozent der Studierenden steigen aus dem Spiel um Mehr aus." Auch weil der finanzielle Hintergrund es ihnen erlaubt, aber: Manager klagen zunehmend, dass Produktivität auch im Bereich einfacher Arbeiten nachlasse. Motivationsverlust "weiter oben" lässt sich nicht mehr mit Karrierekarotten und Geld stopfen. Gewinner sind Jobs mit "Sinn".Es gerät also viel durcheinander in Unternehmen. Dass es nicht nur um die sogenannten Jungen geht, berichtet Psychotherapeut Arnold Mettnitzer: Mit 40+ ziehen immer mehr Menschen, die in ihre Karrieren viel investiert haben "psychokriminalistische Bilanz": "Will ich das noch?" Meist dann nicht. Mettnitzer: "Meine Praxis ist voll von diesen Fragestellungen."

Segregation in der Gesellschaft

Marie Ringler, Länderdirektorin der weltweit größten Stiftung zur Förderung sozialen Unternehmertums, Ashoka, macht diese Phänomene an tiefen gesellschaftlichen Brüchen fest: Auch Privilegierte sähen zunehmendes Auseinanderklaffen, verstärkte Segregation in der Gesellschaft. Ringler: "Da ergibt sich die Frage: Was kann ich beitragen für eine bessere Welt?" Die Neurobiologie bestätige dies, so Mettnitzer - man könne eben nicht Belastendes sehen, ohne darauf zu reagieren - Spiegelneuronen ist das Stichwort dazu. Und: Die Grundbedürfnisse jedes Menschen seien nun einmal Verbundenheit und gelingende Beziehungen, zitiert er Gerald Hüther.

Mettnitzer: "Menschen wollen zeigen, was sie können, und zwar dort, wo sie dazugehören." In Europa ticke da mit dem gewaltigen Heer an jungen Arbeitslosen eine riesige Zeitbombe. Martina Pitterle, Recruiting-Chefin der Berater Accenture, stimmt mit dem Hintergrund sehr vieler Bewerbungsgespräche zu: "Es geht nicht mehr hauptsächlich um die eigene Optimierung und Maximierung, sondern vielmehr um eine starke Suche nach Sinn." Die Glaubenssätze von wegen "Jetzt verzichten, später mehr haben", das Motto vom Verschieben des guten Lebens, das sei nicht mehr Triebfeder der Generation Y, so Pitterle.

"Zeit der Oberflächlichkeit vorbei"

Romy Faisst, Inhaberin des Business Circle und Gastgeberin des jährlichen Jahresforums für die Personalwirtschaft, bestätigt mit einer Blitzumfrage unter ihren Kunden: Die sinnvolle Tätigkeit des Unternehmens verleiht Attraktivität als Arbeitgeber, Identifikation mit den Unternehmensinhalten lässt länger und mehr arbeiten. Gerechte Verteilung von Wohlstand und möglichst großer gesellschaftlicher Zusammenhalt werden in dieser Umfrage als Ideale genannt. Dies sei wohl auch ein Bild der Sehnsucht, so Faisst, aber: An der Buchungslage entsprechender Seminar- und Workshop-Angebote lasse sich auch ein handfestes Interesse an Reflexion als Umsetzung der Sehnsucht ablesen."Die Zeit der Oberflächlichkeit ist vorbei", so Buschmann.

Dass sowohl gesetzliche Rahmen als auch Unternehmenskulturen darauf noch nicht eingestellt sind, kann nicht bestritten werden. Was also tun? Wie kann jeder seinen Sinn finden? Ganz klar die Runde: nicht indem der Employer-Branding-Prospekt mit "Sinn" garniert wird. "Sinn servieren", so Pitterle, sei in der Werbung um neue Talente ein No go. Es gehe um Ermöglichen, ebenso wie beim Ermöglichen von Motivation. Da nun erste Erfolgsgeschichten sichtbar würden und flexiblere Modelle Schule machten, ist sie zuversichtlich. Außerdem: "Es hilft nichts, wir müssen alle flexible Möglichkeiten schaffen." Mettnitzer: "Wenn wir das nicht ermöglichen, dann werden Ersatzbefriedigungen gesucht."

Ringler fordert von Unternehmen ein, sich mit der "Königstugend Umgang mit Unsicherheit" in Tiefe auseinanderzusetzen, es gehe um soziales Lernen. Alle einig: Das "Problembewusstsein" sei vorhanden, der Druck groß - und die Bereitschaft zur Veränderung eingetroffen. (Karin Bauer, DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.5.2011)