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Foto: APA/BODO MARKS

Berlin/Wien/Kiel - Der EHEC-Erreger hat im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein das dritte Todesopfer gefordert. In einem Krankenhaus im Kreis Herzogtum Lauenburg in Schleswig-Holstein starb am Samstag eine 84 Jahre alte Frau an der schweren Komplikation HUS, dem hämolytisch-urämischen Syndrom, wie ein Sprecher des Kieler Gesundheitsministeriums berichtete. Eine 38 Jahre alte Frau ist am Donnerstagabend in einem Kieler Krankenhaus an HUS gestorben. Eine 87-Jährige starb in Hamburg. Damit sind bislang neun Menschen nach einer EHEC-Infektion gestorben.

Die 38-Jährige in Kiel habe keine Vorerkrankungen gehabt und sei am Freitag vor einer Woche schwer krank ins Krankenhaus eingeliefert worden, teilte eine Sprecherin des Kieler Städtischen Krankenhauses am Samstag mit. Derzeit würden noch neun mit dem EHEC-Erreger angesteckte Patienten behandelt, zwei von ihnen lägen mit HUS auf der Intensivstation. "Die Frau wurde einige Tage zuvor bereits in einem sehr kritischen Zustand bei uns eingeliefert", sagte die Krankenhaussprecherin. Erst am Freitag hatte sich die Zahl der Infektionen mit dem aggressiven Durchfallerreger in Schleswig-Holstein auf 248 mehr als verdoppelt.

Die 87-jährige Frau im Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf starb nach einem Bericht des "Hamburger Abendblatts" in der Nacht zum Samstag. Von der Klinik war zunächst keine Bestätigung zu erhalten.

In Lebensgefahr

Mehrere Menschen schwebten weiter in Lebensgefahr, zudem erkrankten binnen eines Tages in Deutschland weitere 60 Patienten an der schweren Komplikation HUS - so viele wie sonst binnen eines Jahres. "Wir müssen aufgrund der steigenden Zahlen immer noch von einem dynamischen Geschehen ausgehen", hieß es aus dem niedersächsischen Gesundheitsministerium in Hannover.

Von einer EHEC-Epidemie wollte man beim Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin noch nicht sprechen. Der Ausbruch sei noch zu regional und dauere nicht lange genug an, sagte eine Sprecherin. Bisher wurden - binnen etwa einer Woche - insgesamt rund 1000 bestätigte und EHEC-Verdachtsfälle registriert. Normalerweise werden in Deutschland im gesamten Jahr etwa 900 Infektionen mit den Bakterien gemeldet.

Möglicher Verdachtsfall in Oberösterreich

In Oberösterreich gibt es einen möglichen EHEC-Verdachtsfall. Ein deutscher Schauspieler, der in Linz arbeitet, wurde am Freitag mit Symptomen ins Linzer AKh eingeliefert, sagte die Sprecherin des Krankenhauses Astrid Petritz am Samstag. Es sei aber lediglich ein Verdachtsfall, ob es sich tatsächlich um den EHEC-Keim handle, sei noch nicht bestätigt. Der Mann war vor einigen Tagen zu Besuch bei seiner Mutter in Deutschland und verzehrte dort eine Gurke, so Petritz. Als er wieder nach Oberösterreich zurückkehrte, trat plötzlich schwerer Durchfall auf. Der Schauspieler musste stationär im Krankenhaus aufgenommen werden.

Die beiden anderen, tatsächlich an EHEC erkrankten deutschen Urlauber waren am Samstag bereits am Weg der Besserung. Einer der beiden konnte das Krankenhaus bereits wieder verlassen und befand sich bereits auf dem Weg nach Hause, berichtete Thomas Kvicala, Sprecher von Gesundheitsminister Alois Stöger.

Kapazitätsgrenze erreicht

In Hamburg erreichten die Kliniken wegen der zahlreichen EHEC-Fälle die Kapazitätsgrenze bei der Versorgung der Patienten. "Für mich ist diese EHEC-Welle viel ernster als die Schweinegrippe", sagte Reinhard Brunkhorst, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie. Vor allem gesundheitsbewusste Frauen seien betroffen. "Es ist absolut schockierend, wenn man eine Patientin Anfang 30 hat, die kaum noch sprechen kann und Krampfanfälle hat."

EHEC-Keime sind eine besonders gefährliche Form des Darmbakteriums Escherichia coli. Der Erreger ist vor allem deshalb gefährlich, weil nach Expertenangaben rund 10 bis 100 der winzigen Bakterien ausreichen, um den Durchfall auszulösen. Bei anderen Infektionen sind um ein Vielfaches mehr Erreger nötig, damit es zur Erkrankung kommt. Das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS) ist eine schwere EHEC-Verlaufsform, bei der giftige Stoffwechselprodukte des Bakteriums zu Nierenschäden führen können.

Neue Behandlung

Mediziner in Hamburg setzen im Kampf gegen das lebensgefährliche HUS auf eine neue Behandlung. Sechs EHEC-Infizierte mit Komplikationen bekämen im Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) derzeit einen speziellen Antikörper, sagte der Mediziner Rolf Stahl am Samstag.

Der Antikörper Eculizumab soll gegen das akute Nierenversagen bei HUS wirken, wie das "Hamburger Abendblatt" berichtet. Ärzte und Wissenschafter aus Heidelberg, Montreal und Paris berichten im Fachblatt "New England Journal of Medicine" über die erfolgreiche Behandlung von drei Kleinkindern mit diesem Antikörper. Die Kinder waren im vergangenen Jahr nach EHEC-Infektionen an HUS erkrankt.

Spanien: Keine Betriebe geschlossen

Die spanischen Behörden haben Informationen der EU-Kommission dementiert, wonach zwei Agrarbetriebe in Südspanien wegen EHEC-Verdachts vorübergehend geschlossen worden seien. In den beiden Betrieben in den Provinzen Almeria und Malaga seien lediglich bestimmte Mengen von abgeernteten Gurken vorsichtshalber sichergestellt worden, die möglicherweise mit den in Deutschland aufgetretenen EHEC-Infektionen in Verbindung stehen könnten, teilte das Gesundheitsministerium der Region Andalusien in der Nacht auf Samstag in Sevilla mit.

Die Produktion in den beiden Betrieben sei in keiner Weise gestoppt worden. Die EU-Kommission hatte am Freitag mitgeteilt, die Betriebe seien vorübergehend geschlossen worden. Experten entnahmen in den Agrarbetrieben Boden-, Wasser und Produktproben. Diese werden derzeit analysiert. In Spanien gab es nach Angaben der Madrider Regierung bisher keine Fälle von EHEC-Erkrankungen.

Zur Wehr gesetzt

Einer der betroffenen Erzeuger in Spanien, Frunet Bio in Algarrobo (Málaga), setzte sich gegen den Verdacht zur Wehr, EHEC-verseuchte Gurken ausgeliefert zu haben. Er äußerte den Verdacht, seine Gurken seien beim Sturz einer Palette während des Transports zum Hamburger Großmarkt verunreinigt worden - und nicht schon auf seinem Hof. Mehrere deutsche Fachleute hielten die Sturz-Theorie für Unfug.

Aus Spanien und den Niederlanden wurde unterdessen heftige Kritik an den Veröffentlichungen deutscher Behörden zu EHEC-Quellen laut. Man habe bei der Europäischen Union (EU) eine Beschwerde gegen die deutschen Berichte eingelegt, teilte das Madrider Agrarministerium mit. Deutschland habe gegen EU-Regeln verstoßen, sagte der Staatssekretär Josep Puxeu. Die Behörden hätten zuerst die Presse unterrichtet und nicht - wie vorgeschrieben - die Instanzen der EU. Dadurch drohten der spanischen Landwirtschaft große Verluste.

Auch für viele Landwirte im Norden Deutschlands wird das Ergebnis der Untersuchungen in jedem Fall zu spät kommen: Sie sind gezwungen, tonnenweise Gemüse wegzuwerfen - kaum jemand mag es noch kaufen.

Entwarnung bei Lidl

Entwarnung gab unterdessen der Lebensmitteldiskonter Lidl: Laut internen Untersuchungen sind diese Woche zwar in Tirol und Vorarlberg spanische Salatgurken verkauft worden, diese stammen laut Lidl aber nicht aus den verseuchten Chargen. Das Gemüse wurde dennoch bereits am Donnerstag aus dem Handel genommen, die Kunden wurden informiert. (APA)