Die Debatte um die Nachfolge von Dominique Strauss-Kahn im Internationalen Währungsfonds dominiert derzeit die Frage, ob weiterhin - wie seit seiner Gründung im Jahr 1944 - ein Europäer die Leitung innehaben soll, oder ein/e Vertreter/in eines Entwicklungslandes. Diese Diskussion verstellt jedoch den Blick auf eine kritische Auseinandersetzung mit der Ära Strauss-Kahn. Unter seiner Führung wurde in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, der IWF vollziehe einen ideologischen Wandel und die Zeit der einseitigen marktradikalen Ausrichtung sei zu Ende. Wie berechtigt ist diese Einschätzung?
Die Hauptaufgabe des IWF ist es, Länder mit Finanzierungsproblemen durch Kredite zu unterstützen. Vor allem in Finanzkrisen - etwa in der Asienkrise in den 1990er-Jahren - agiert der IWF als "lender of last ressort", wenn kein anderer Akteur mehr bereit ist, Kredite zu vergeben. Ein Abkommen mit dem IWF ist zumeist Voraussetzung für Kredite von anderen Gläubigern, was seine Verhandlungsmacht weiter erhöht.
Seit Jahrzehnten wird der IWF bei der Erfüllung seiner Aufgabe kritisiert: Die "Hilfspakete" des IWF sind an strenge Bedingungen gebunden - Zinserhöhungen und Sparpakete, die die ökonomischen und sozialen Folgen der Krisen verschärfen, sowie an weitreichende neoliberale Reformen wie Arbeitsmarktflexibilisierung oder Privatisierungen, die weit über das ursprüngliche Mandat des IWF hinausgehen. Die betroffenen Länder leiden oft noch viele Jahre nach den Krisen an den verheerenden sozialen und ökonomischen Folgen dieser Politiken.
Gefährdete Legitimation
Aufgrund der fatalen Erfahrungen mit den IWF-Programmen begannen Ende der 1990er-Jahre jene Länder, die es sich leisten konnten, wie Brasilien oder Russland, ihre IWF-Kredite vorzeitig zurückzuzahlen. Außerdem erhöhten sie ihre Devisenreserven, um gegen Finanzkrisen gerüstet zu sein und nicht die Konditionalitäten des IWF erfüllen zu müssen. Die Kreditvolumina des IWF sanken drastisch - von 91 Milliarden auf zehn Milliarden Dollar innerhalb von vier Jahren - und damit auch die Legitimation der Institution. 2007 hatte nur noch die Türkei ausstehende Kredite in einem nennenswerten Ausmaß.
Der Beginn der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 veranlasste die G-20, den IWF zurück auf den Plan zu rufen. Die Mittel wurden drastisch aufgestockt und erreichten 2011 erneut 84 Milliarden Dollar - mit zusätzlich zugesagten Krediten in dreifacher Höhe. Erstmals seit der Nachkriegszeit zählen nun wieder Länder in Europa zu seiner Klientel - sie machen mittlerweile 60 Prozent des IWF-Kreditvolumens aus.
Rhetorisch hat der IWF - insbesondere seit dem Amtsantritt von Strauss-Kahn - Kreide geschluckt. Auch aus der Forschungsabteilung kamen ungewohnte Töne. So wurde etwa der Einsatz von Kapitalverkehrskontrollen als legitimes wirtschaftspolitisches Instrument bezeichnet - nachdem die Kapitalverkehrsfreiheit lange Jahre ein Mantra aller Programme gewesen war.
Ein genauerer Blick auf die Länderebene zeigt jedoch, dass die Rhetorik kaum Eingang in die konkreten Programme gefunden hat. Auch wenn die Zeitspannen etwas flexibler sind und ein kleiner Teil der Kredite ohne Konditionalitäten vergeben wurde, setzt die große Mehrheit der IWF-Programme weiterhin auf prozyklische Politiken, d. h. Sparprogramme und "interne Abwertungen" durch Lohn- und Pensionskürzungen.
Diese "Sanierungsmaßnahmen" verschärfen die Rezession wie in den baltischen Staaten oder in Griechenland, Irland und Portugal. In Lettland reduzierte sich die Wirtschaftsleistung in zwei Jahren um ein Viertel - ein ökonomisches und soziales Desaster. Dies steht in krassem Gegensatz zu den expansiven, antizyklischen Wirtschaftspolitiken in den USA und den Kernländern der EU, mit denen die ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Finanzkrise gelindert wurden.
Kontrollen nur als Ausnahme
Obwohl der Vorstoß im Bereich der Kapitalverkehrskontrollen zu begrüßen ist, sind auch hier keine großen Sprünge zu erwarten. Diese Kontrollen werden nur in Ausnahmefällen und selbst dann nur vorübergehend "erlaubt" und sind an strenge Bedingungen gebunden.
Bei der Stimmrechtsstruktur gibt es weiterhin eine extreme Schieflage. Die USA und die EU weigern sich, die Stimmrechtsverteilung an die geänderten realen wirtschaftlichen Kräfteverhältnisse anzupassen. Der IWF agiert weiterhin primär im Interesse ausländischer Gläubiger für eine möglichst schnelle Wiederherstellung der Schuldendienstfähigkeit und nicht im Interesse der Länder und ihrer Bevölkerung für eine nachhaltige ökonomische und soziale Entwicklung.
Solange die Stimmverteilung und die ideologische Ausrichtung der Institution gleich bleiben, wird auch eine neue Direktorin / ein neuer Direktor aus einem Entwicklungsland keine substanzielle Änderung bewirken können. Aber ein positives Signal wäre es allemal. (Karin Küblböck, Cornelia Staritz, Kommentar der anderen/Der Standard, Print-Ausgabe, 27.5.2011)