Mit ihrem neuen Album im Gepäck tritt Madeleine Peyroux am 4. Juli beim Jazz Fest Wien in der Staatsoper auf.

Foto: Universal

Madeleine Peyroux "Standing on the Rooftop" (Emarcy/Universal, ab 7. Juni im Handel)

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Ihre aktuellen Interviews anlässlich des Erscheinens des Albums Standing on the Rooftop hat Madeleine Peyroux in Paris, also in jener Stadt gegeben, in der sie mit Straßenmusikern erstmals als Sängerin öffentlich in Erscheinung getreten war. Als 13-Jährige war Peyroux, geboren in Athens, Georgia, und aufgewachsen in New York und Südkalifornien, mit ihrer Mutter in die französische Metropole übersiedelt. Die Musik einer Édith Piaf oder eines Serge Gainsbourg hat denn auch neben klassischen US-amerikanischen Singer/Songwritern Eingang ins Repertoire der Interpretin gefunden, die im Verlauf ihrer Karriere zunehmend selbst als Songautorin aktiv werden sollte. Seit dem Erscheinen ihres Debütalbums Dreamland (1996) hat ihre Stimme und Phrasierungskunst viele vor allem an eine der großen weiblichen Jazz-Ikonen erinnert - eine nicht unproblematische Assoziation, wie die Musikerin im Gespräch mit derStandard.at erklärt.

derStandard.at: Sie wurden sehr oft mit Billie Holiday verglichen. Stört Sie das mittlerweile?

Peyroux: Es stört mich nicht, wenn es als Kompliment gemeint ist. Als ich entdeckt wurde, war es sicher die größte Schwierigkeit, einen Weg zu finden, wie man mich präsentiert. Die Antwort lautete ungefähr: "Du verstehst dich auf Billie Holiday, also werden wird dich so präsentieren." Ich bin mir nicht sicher, ob das der richtige Weg ist, das hat mehr mit Verkaufsstrategien und Medienarbeit zu tun. Es gibt keine weitere Billie Holiday! Ich habe großen Respekt vor ihr und finde, sie ist nach wir vor essentiell für ein Verständnis von Jazz.

derStandard.at: Stimmt es, dass Sie in Paris entdeckt wurden?

Peyroux: Ich habe mit Straßenmusikern in Paris gespielt, bin mit ihnen aber auch auf Tour gegangen. 1990 oder 1991 haben wir im Herbst einige Monate in New York gespielt. Am letzten Abend, bevor wir nach Hause flogen, habe ich mit dem Bandleader Danny Fitzgerald in der kleinen Rodeo Bar gespielt, die es heute noch gibt. Nachher kam ein Gentleman, Yves Beauvais von Atlantic Records, mit seiner Visitenkarte zu mir. Ich dachte mir aber nichts weiter dabei und flog am nächsten Tag nach Paris zurück, ohne zu begreifen, dass er bereits ein paar Mal gekommen war, um mich in New York singen zu hören. Ich bin dann als 17-Jährige weiter in Paris als Straßenmusikerin und in einem Club aufgetreten.

Als 18-Jährige besuchte ich wieder New York, blieb dort hängen und fand eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, wieder von Yves Beauvais, dass er mich gehört habe und ein Demo mit mir machen wolle. Wir nahmen dann sechs bis acht Songs von mir und meiner Gitarre in einem Studio auf. Dann ging ich erneut nach Paris zurück, als er mir erklärte, dass er einen Vertrag mit mir unterzeichnen wolle. Er hat mich rausgebracht, Yves Beauvais, ein Franzose, der in New York lebte und für einige Jahre der Protégé von Ahmet Ertegün (legendärer Gründer und Chef von Atlantic Records, Anm.) war. Er hat mich unter Vertrag genommen und Dreamland mit Greg Cohen co-produziert und mich auf Tour geschickt. Dabei hat er manchmal selber den Laster gesteuert oder seine Sekretärin geschickt. Das war eine wilde Zeit!

derStandard.at: Bob Dylan, dessen Karriere ebenfalls in New York ihren Ausgang nahm, ist gerade 70 geworden. Auf ihrem neuen Album Standing on the Rooftop covern Sie bereits zum zweiten Mal einen Dylan-Song, dieses Mal I Threw It All Away. Hat Dylan Sie beeinflusst?

Peyroux: Ja, natürlich. Er ist einer meiner liebsten Songwriter!

derStandard.at: Auf dem neuen Album finden sich neben Cover-Versionen auch wieder eigene Songs. 

Peyroux: Mein letztes Album, Bare Bones (2009), war das erste, das in erster Linie aus eigenen Songs bestand. Es war ein Traum von mir, selber Songs zu schreiben, seit ich gesungen habe, also seit meiner Kindheit. Ich bekam positives Feedback, und habe die Arbeit an eigenen Songs jetzt mit Standing on the Rooftop fortgesetzt. Auf dem neuen Album passt für meinen Geschmack erstmals alles zusammen.

derStandard.at: Aus ihren Songs zu schließen, sind Sie kein Fan von autobiografischen Songs, in denen alles offensichtlich ist.

Peyroux: Nein, das mag ich nicht. Meine Songs sind zwar einfach und speisen sich aus alltäglichen Erfahrungen. Mir ist es aber auch wichtig, dass eine gewisse poetische Vagheit bzw. die Doppelbedeutung von Wörtern erhalten bleibt. Damit etwas bedeutungsvoll ist, muss es auch universell sein. Songwriting ist eine humanistische Angelegenheit.

derStandard.at: Für zwei Songs haben sie mit dem ehemaligen Rolling Stone Bill Wyman zusammengearbeitet.

Peyroux: Bill Wyman ist ein ziemlich interessanter Typ (lacht). Vor ein paar Jahren war er beim Jazz Festival in Nizza, ursprünglich um B. B. King zu sehen, und kam nach meinem Auftritt am selben Tag backstage, um sich vorzustellen. Ich konnte das zuerst nicht wirklich glauben, erfuhr dann aber, dass er mir einen Song geschickt hatte, von dem er glaubte, dass ich ihn covern könnte. Da ich bereits dabei war, neue Songs zu schreiben, habe ich ihn dann gefragt, ob er an einer Zusammenarbeit interessiert wäre. Das hat geklappt, und wir haben uns in London für eine ganze Woche getroffen. Er hatte bereits viel Material angesammelt, und wir haben daran weiter gearbeitet. Wir hätten viel mehr als zwei Songs rausbringen können, da er so viel schreibt.

derStandard.at: Wie schon auf ihrem Debütalbum Dreamland (1996) ist auch auf Standing on the Rooftop der von seiner Zusammenarbeit u.a. mit Tom Waits bekannte Gitarrist Marc Ribot mit dabei. Hat er den Sound des Album beeinflusst?

Peyroux: Sehr sogar! Marcs Sound ist sofort erkennbar, und doch kann man ihn nicht festmachen. Er war sehr offen und an unseren Ideen interessiert. Es gibt sehr unterschiedliche Songs mit verschiedenen Sound-Landschaften auf dem Album. Das Spannende war, während der Arbeit im Studio zu entdecken, wie sich die Songs entwickeln würden, mit Marc und einer kleinen Gruppe an sehr individualistischen und gleichzeitig großzügigen Musikern. In diesem Sinne war es ein sehr improvisiertes Album, andererseits ist es nicht sehr jazzy. Aber wir haben es auf die Art gemacht, wie wir es wollten, und ich bin glücklich damit.

derStandard.at: Sie haben dieses Mal mit einem neuen Produzenten Craig Stewart (Cassandra Wilson, k.d. Lang, Norah Jones) zusammengearbeitet.

Peyroux: Wir haben uns bereits Monate vor den Aufnahmen getroffen und klare Ideen hinsichtlich mancher Songs entwickelt, während wir bei anderen keinerlei Ahnung hatten (lacht). Ich wollte von den Rhythmen, vom Groove, dem was man pocket nennt, ausgehen, und dann schauen, welche atmosphärischen Klangfarben man hinzufügen kann und wie das schließlich mit meiner Stimme zusammengeht. Manchmal habe ich mich um einen modernistisch-minimalistischen Ansatz, eine Fusion des Minimalismus von Steve Reich und populären amerikanischen Songs bemüht. 

derStandard.at: Ein Song, den sie einer ungewöhnlichen Behandlung unterzogen haben, ist Robert Johnsons viel gecoverter Blues-Klassiker Love in Vain.

Peyroux: Das hatte mit der grundsätzlichen Art zu tun, mit der wir an das Album rangegangen sind. Uns war der Umgang mit der Zeit und den verschiedenen Sound-Schichten sehr wichtig. Wir haben versucht zu orchestrieren, was Robert Johnson auf sechs Saiten geschaffen hat. Wir haben den Song am fünften Studio-Tag in letzter Minute und ohne Gitarre aufgenommen. Glenn Patscha spielt darauf ein sehr seltsames pump organ.

derStandard.at: Es wird immer schwieriger, Alben zu verkaufen. Kümmert Sie der Geschäftsaspekt der Musik?

Peyroux: Ich bin keine Geschäftsfrau und komme lieber mit weniger aus als mich mit Finanzangelegenheiten herumzuschlagen. Nichtsdestoweniger ist es ziemlich offensichtlich, dass die Musikindustrie bei der Umstellung von analog auf digital viele Fehler gemacht hat. Einer war die Gier: Es konnte so viel Geld in kurzer Zeit gemacht werden, indem alte Platten wiederveröffentlicht wurden, ohne dass es die Plattenfirmen wirklich etwas gekostet hat. Jetzt gibt es den Rückschlag und Konsequenzen auch für jene, die schon vorher durch die Finger schauen mussten.

Wenn es um illegale Downloads geht, ist es sicher am Besten, sich vor Augen zu führen, dass hier jemand nicht bezahlt wird. Das sollte man im Bewusstsein haben. Dennoch würde ich es nicht notwendigerweise Diebstahl nennen. Als ich als Teenager Musik hören wollte, konnte ich es mir nicht leisten, eine Platte zu kaufen. Die einzige Möglichkeit, alte und neue Musik zu hören, bestand darin, dass mir jemand eine Kopie auf Kassette machte. Deswegen ist es wichtig, dass zu begreifen, dass junge Leute zuerst Musik kennenlernen und etwas darüber erfahren müssen, bevor sie Konsumenten werden. Ich denke, es muss auch gratis verfügbare Musik geben, damit das nächste Mal jemand zurückkommt, um etwas zu kaufen. Die Kids haben das Problem der Umstellung nicht, sie wachsen mit Downloads auf, ob gratis oder nicht.

derStandard.at: Bevorzugen Sie es, im Studio aufzunehmen oder live zu spielen?

Peyroux: Ich habe Spaß daran, ins Studio zu gehen, es ist aber mit viel Druck verbunden, vor allem wenn eine Menge Geld im Spiel ist. Live zu spielen ist hingegen eine sehr intuitive, organische Angelegenheit. Beides sind gangbare Wege, aber was mich wirklich definiert, ist es Konzerte zu spielen. (Karl Gedlicka, derStandard.at, 5. Juni 2011)