Kleiner Denker, große Herausforderungen: Im Kapstädter Township Khayelitsha leben laut Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Menschen. Hier geht's zur Ansichtssache "Kinder in Khayelitsha"

Foto: Tanja Zach

Lusta, die eigentlich Nompulelo Mange heißt, wohnt seit 1995 in Khayelitsha. Der Ortsname steht in der Sprache der Xhosa für "Neues Zuhause".

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Verwandte vor Lustas Haus im Stadtteil Harare - unmittelbar vor dem Zaun hat es einmal eine Schießerei zwischen Drogenbanden gegeben.

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Gemeinsam mit einer Freundin hat Lusta (l.) das Mzamo EduCare Centre gegründet und aufgebaut.

Foto: Ferdinand Zabransky

Mittlerweile werden in der Vorschule 65 Kinder zwischen zwei und sechs Jahren ganztägig betreut und in den Fächern Englisch, Musik sowie Hygiene- und Gesundheitserziehung unterrichtet.

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Improvisations- und Innovationsfähigkeit sind im Township immer wieder gefragt, bei der Ausstattung gilt: "Einfach, aber effizient."

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Lustas Hauptmotivation: Ihre knapp vierjährige Tochter "Sunshine" soll in einer zufriedeneren, sichereren und gebildeteren Umgebung aufwachsen.

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Wenn der Wind im Sommer den Staub in den Straßen und Vorhöfen von Khayelitsha aufwirbelt, dann hat das auch etwas Gutes: Er putzt so richtig durch, vertreibt die stehende Hitze und sorgt zumindest für etwas Kühlung. Darum wird die Brise, die vom Tafelberg durch die Tiefebene der Cape Flats hinwegbläst, auch "Cape Doctor" genannt.

Lusta ist auch so eine, die ihre Gegend gesund macht, allein schon wenn sie auf die Straße tritt. Eigentlich heißt die 35-jährige Südafrikanerin ja Nompulelo Mange, aber das wissen in ihrer Wohngegend nur die wenigsten. Wir befinden uns übrigens in Harare, aber nicht in der Hauptstadt von Simbabwe, sondern in einem Stadtteil von Khayelitsha, dem am schnellsten wachsenden Township Südafrikas mit geschätzten 1,5 Millionen Menschen.

Khayelitsha steht in der Sprache der Xhosa für "Neues Zuhause" und befindet sich gut 25 Kilometer von der City Hall in Kapstadt entfernt, von deren Balkon Nelson Mandela am 12. Februar 1990 seine erste Rede in Freiheit gehalten hatte. Lusta war damals 14 und lebte noch 1.000 Kilometer weiter östlich in der südafrikanischen Provinz Eastern Cape, ganz genau in Whittlesea bei Queenstown. 1995 kam sie nach Khayelitsha, ihre Mutter war bereits seit 1991 dort.

120 Euro Lohn im Monat, 28 für den Schulbus

Lusta fing 1996 als Tellerwäscherin in einem Restaurant an, sie sprach fast nur Xhosa, kaum Englisch und kein Afrikaans - Letzteres ist in und um Kapstadt (Western Cape) noch immer ein Vorteil bei der Jobsuche. Heute leitet sie ihre eigene Vorschule mit 65 Kindern aus der Umgebung ihres Hauses. Im EduCare Centre Mzamo, das sie gemeinsam mit einer Freundin gegründet und aufgebaut hat, werden Zwei- bis Sechsjährige ganztägig betreut - mit einem Stundenplan, auf dem Englisch, Musik sowie Hygiene- und Gesundheitserziehung stehen. Ein österreichischer Beitrag steckt auch in dem Projekt.

Ironie des Schicksals bei der Anlage aus Wellblechplatten, die inklusive Küche eingerichtet wurde: Eine staatliche Förderung von 5.000 Rand pro Monat (rund 500 Euro) wird nur bei gemauerten Häusern bewilligt. Eine Riesensumme, wenn man bedenkt, dass Lusta für einen Job in einem Garden-Shopping-Centre jahrelang gerade einmal 120 Euro im Monat verdient hatte. Allein 28 Euro gingen damals für die Bus-Tickets drauf, damit ihre Tochter Zikhona eine Schule in Mitchell's Plain besuchen konnte. Das ist das benachbarte Townhsip, in dem mehrheitlich die weiterhin als "Coloureds" bezeichnete Bevölkerungsgruppe lebt - insgesamt 1,8 Millionen Menschen.

Sechs Frauen im gemauerten Vierzimmerhaus

"Bildung ist das Allerwichtisgte, alles andere kommt danach", sagte Lusta im Februar 2010 mit ernsthafter Miene. Damals standen die Sterne nicht wirklich günstig: Sie hatte keine Arbeit, kaum Geld, musste für drei Mädchen sorgen und hatte noch eine Cousine und eine Freundin in ihrem einstöckigen Vierzimmerhaus zu Gast. Dennoch strahlte die heutige Schulleiterin auch damals eine Herzlichkeit aus, mit der es wohl nur ihre Unbeugsamkeit aufnehmen kann.

"Ich kann immer noch überleben, und die Kinder geben mir ein Hochgefühl", meinte sie zu dieser Zeit. "Mein Herz wird so glücklich sein, wenn sie eine abgeschlossene Ausbildung haben. Selbst wenn ich sterben würde, könnte ich dann in Frieden ruhen." Und das ist in keinster Weise pathetisch aufgebauscht, sondern beinhart an der Realität: 2003 war Lustas Schwester gestorben, woraufhin sie deren drei Kinder bei sich aufnahm (zwei sind mittlerweile zurück am Eastern Cape). Im Jahr darauf starb auch noch ihre Mutter. 

"Bilde dich!"

Wie sich all das bewältigen lasse? Die Jungunternehmerin greift dafür auf einen Spruch ihrer Großmutter zurück: "Wenn eine Herausforderung kommt, nimm' diese an und lass' dich nicht hängen." Und immer wieder habe die Granny hinzugefügt: "Bilde dich!" Das nimmt die zweifache Mutter bis heute wörtlich - sie hat nun eine Ausbildung zur Pädagogin begonnen, um ihre Position in der Vorschule Mzamo auch offiziell zu untermauern.

Improvisations- und Innovationsfähigkeit sind sowieso Lustas besondere Stärken, und eben diese Talente will sie ihren Schützlingen weitervermitteln: "Um die Chancen der Kinder auf einen zukünftigen Arbeitsplatz mit geregeltem Einkommen und dem damit einhergehenden sozialen Frieden zu erhöhen, müssen sie von klein auf, noch vor Eintritt in die Pflichtschule, an einen geregelten Tagesablauf gewöhnt werden." 

Daher hat Lusta rund um den Jahreswechsel mit einer Freundin viel auf eine Karte gesetzt und die Idee einer Vorschule verwirklicht. Am Anfang hatten sie 35 Kinder in ihrer Obhut, jetzt sind es 65. Damit hat das leuchtend gelbe EduCare Centre Mzamo in der Luma Street die Grenzen der Kapazität erreicht. Nicht, dass die Betreiberinnen nicht längst an Erweiterung dächten.

Das eigene Land bestellen

Seit Anfang April gehört den Pre-School-Ladies nun auch das Grundstück, auf dem die Betreuunseinrichtung steht. Weil der Vermieter im Februar knapp bei Kasse war, bot er ihnen an, das Land für sechs Monatsmieten zu erwerben. 600 Euro für ein Grundstück mag nach Schnäppchen aussehen, ist aber im Township jede Menge Geld. (Als Lusta im Garteneinkaufscenter zur Buchhalterin aufgestiegen war, verdiente sie 250 Euro im Monat.) 

Jedenfalls konnte der Grundstückskauf mithilfe österreichischer Unterstützung abgewickelt werden. Der "Table Fünf Wien" der internationalen Wohltätigkeits- und Serviceorganisation "Round Table" (siehe Infobox unten) hatte sich bereit erklärt, einen Mikrokredit von 1000 Euro an die zwei Unternehmerinnen zu vergeben.

Zusammengekommen ist der Betrag an zwei Entrümpelungstagen am Flohmarkt beim Wiener Naschmarkt. Es wurde ein offizieller Vertrag aufgesetzt und unterschrieben. Lusta und ihre Partnerin zahlen monatlich eine Rate zurück, die Verzinsung liegt bei fünf Prozent. Warum nicht null? "Es soll nicht nur eine symbolische Partnerschaft sein, sondern eine auf Augenhöhe", erklärt Ferdinand Zabransky von Round Table Fünf. "Wir wollten nicht spenden, sondern unterstützen." 

Inzwischen sind die Vorschulleiterinnen sogar so weit, dass sie den Kredit früher tilgen können als geplant. Auch sie betrachten den Zinssatz als fair, denn Menschen aus dem Township bekommen oft noch schlechtere Konditionen als die momentan in Südafrika gängigen neun bis 12 Prozent - 15 und mehr werden ihnen abgeknöpft.

Vergewaltigungen, Drogen, Waffen

Dass das Leben im Township noch extremere Schattenseiten kennt, ist Lusta mehr als bekannt. Darum tut sie alles dafür, dass ihre kleine vierjährige Tochter Inati (auf englisch wird sie "Sunshine" gerufen) in einer zufriedeneren, sichereren und gebildeteren Umgebung aufwächst als sie selbst - denn Gewalt und Verbrechen stehen in Khayelitsha an der Tagesordnung.

Lustas Haus wurde einmal komplett inklusive Kühlschrank ausgeräumt, ein weiteres Mal lieferten sich Drogenbanden auf der Straße unmittelbar vor ihrem Garten eine Schießerei - das allergrauslichste Verbrechen aber passierte wenige Kilometer entfernt: Ein Mädchen war auf dem Weg zu einer Busstation von einer Männergruppe auf ein Feld gezerrt, massenvergewaltigt, mit abgebrochenen Flaschen verstümmelt und zu Tode gequält worden. Gerade diese unvorstellbaren Abscheulichkeiten will Lusta bekämpfen. Maximum Respect! (Martin Obermayr, derStandard.at, 26.5.2011)