ModeratorIn: Wir begrüßen herzlich unseren Korrespondenten und Blogger Reiner Wandler im Chat. Heute wollen wir mehr über den Spanischen Frühling und seine Zukunft erfahren. Liebe UserInnen, herzlich willkommen! Los geht´s!

Reiner Wandler: Buenas tardes desde la #spanishrevolution

sammafesch: Dann stell ich gleich mal "die Frage": Was wist die "Spanischen Revolution"? Ein europäischer Flächenbrand der ein Strohfeuer?

Reiner Wandler: Ich hoffe, dass es zum Flächenbrand wird, denn die Probleme, die die Jugend hier in Spanien umtreiben, sind global

klammmaoff: Was wollen die in Spanien nun wirklich? Zapateros Rücktritt?

Reiner Wandler: Es geht um Perspektivlosigkeit und um die ungerechte Krisenbewältigung

ModeratorIn: Worum genau? Was sind denn die genauen Forderungen?

Reiner Wandler: Und um das Wahlgesetz und die Korruption. Zapatero ist da nur ein Teil davon, es betrifft das ganze System. Sorry, bin nicht so schnell. Muss wohl auf Teilantwort klicken, wenn ich weiterreden will.

Voll der Troll sagt:: Wieso denken Sie, hört man von den andauernden Protesten in Spanien und Griechenland hierzulande vergleichsweise wenig in den "Mainstreammedien"? Um an Informationen wie Videos, Bilder oder Interviews zu kommen, muß man sich auf verschiedenen Blogs

Reiner Wandler: Das Wahlgesetz zementiert ein Zweiparteiensystem, das kritischen Optionen keinen Platz lässt. Und insgesamt waren um die 260 Korrupte auf den Listen aller Parteien vertreten. Und dann natürlich die Jugendarbeitslosigkeit, die bei über 40 Prozent liegt. Ich denke, die Poltiker haben erstens Angst und zweitens haben sie die ganze Dimension der Proteste noch nicht begriffen. Sie wollen es mal wieder aussitzen. Und die Presse ist behäbig, das hat sich auch in den nordafrikanischen Revolutionen gezeigt. Viele Journalisten haben ihre Kontakte in den Eliten, aber nicht unten, da wo es brodelt.

sichalich: Was genau passt beim Wahlgesetz nicht?

Reiner Wandler: Das Wahlgesetz ist nicht proportional. Es wird nach D'hondt ausgezählt. Das kommt führt zur Benachteiligung der kleinen parteien. Und wenn dann das ganze Land noch in Provinzen aufgeteilt wird, noch viel mehr. Beispiel: Die Vereinigte Linke hat mit mehr als einer Million Stimmen bei Parlamentswahlen zwei Sitze. PP und PSOE mit jeweils rund zehn Millionen Stimmen rund 160 Sitze

UserInnenfrage per Mail: Aceitunera: Wie organisieren sie demokratische Debatte - wer bestimmt nach welchen Kriterien wer an die Lautsprecher kommt?

Reiner Wandler: Es ist schier unmöglich, als kleine, neue Partei überhaupt ins Parlament zu kommen

UserInnenfrage per Mail: Otto Gründler aus Innsbruck: Trägt nich auch die EU Mitschuld an der Misere in Spanien? Jahrelang wurde statt in Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen in riesige Immobilien- und Straßenbauprojekte investiert. Könnte Brüssel da nicht zielgerichteter

Reiner Wandler: Auf den Versammlungen geht es basisdemokratisch zu. Es gibt Rednerlisten und danach wird verfahren. Die EU hat tatsächlich nur auf Infrastruktur, etc geschaut. Bei Bildung, Mangel in der Sprachausbildung, etc gab es immer mal wieder Studien, aber keine echten Programme. Aber dennoch sind die Spanier nicht sooo schlecht ausgebildet. Viele forschen und arbeiten im Ausland. Merkel wirbt regelrecht um spanische Ingenieure und Informatiker

ModeratorIn: Ich stelle nochmal die UserInnenfrage per Mail: Otto Gründler aus Innsbruck: Trägt nich auch die EU Mitschuld an der Misere in Spanien? Jahrelang wurde statt in Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen in riesige Immobilien- und Straßenbauprojekte inv

Reiner Wandler: Wir sollten nicht vergessen, dass die EU in erster Linie ein wirtschaftliches Projekt ist. Und verkauft hat zB. Deutschland ganz gut in Spanien und in den anderen Südländern.

patercornelius: Bum Diu Senor Wandler, ich kenne mich in Spanien nicht so gut aus, aber sind auch Ausländer an den Krawallen beteiligt, zum Beispiel solche aus Tunesien, wo Revolution war?

Reiner Wandler: Es gab hier keine Krawalle. Es ist ein freidlicher Protest. Immigranten sind sehr wohl beteiligt. Auch aus Nordafrika. Sie haben auch von den Erfahrungen dort berichtet.

sichalich: Warum Spanien und nicht Griechenland oder Portugal?

Reiner Wandler: In Griechenland kam es ja auch zu Protesten. Die waren allerdings wessentlich kalssischer, will heißen von Gewerkschaften mobilisiert. In Portugal bewegt sich seit März auch die Jugend per Facebook

UserInnenfrage per Mail: Yolanda aus Klagenfurt: Wie kann ich mir die Arbeitsmarktpolitik in Spanien vorstellen? Wie hoch ist das Arbeitslosengeld für Jugendliche? Gibt es Förderungen und Qualifizierungsmaßnahmen? Oder werden die meist jugendlichen Arbeitslosen mehr oder we

Reiner Wandler: Wer nicht mindestens ein jahr gearbeitet hat, bekommt kein Arbeitslosengeld. Und die 400 Euro für Langzeitarbeitslose, die aus der Sütze herausgefallen sind, wurden im Laufe der Sparmaßnahmen gestrichen. Weiterbildung gibt es wenig. Der Kündigungsschutz wurde gelockert, mit der Begründung, die Unternehmer würden nur dann einstellen, wenn sie die Arbeiter im Krisenfalle auch schnell wieder loswerden können. Dabei hat Spanien den Europarekord in Zeitarbeitsverträgen.

Kori2: Warum sind bei den Protesten in Spanien keine Gewerkschaften oder NGOs offen involviert?

Reiner Wandler: Die Jugendlichen, die die Echte Demokratie Jetzt! Bewegung ins Leben gerufen haben, wollen das so. Sie sind sehr gewerkschaftskritisch, da die Gewerkschaften nach einem Generalstreik im September letztendlich doch zu Kreuze gekrochen sind. NGOs, wie Attac haben allerdings schon Einfluss.

UserInnenfrage per Mail: Rainer Pinkwart aus Wien: Wie schätzen Sie die Arbeit der Polizei bei Versammlungen und Kundgebungen ein? Wird da eher hart durchgegriffen oder setzt man auf Deeskalation?

Reiner Wandler: Die erste nach haben sie hart durchgegriffen und in Madrid ein Camp mit 300 Leuten geräumt. Der Erfolg: Am gleichen Abend waren über 10.000 auf dem Platz. Tausende blieben die ganze Nacht. Seither hällt sich die Polizei zurück.

UserInnenfrage per Mail: Don Alfonso Bizarro: Sind die Proteste in Spanien - vor allem in den Medien - ein Thema gewesen? Wie reagiert die "breite Masse"? Unterstützend oder distanziert?

Reiner Wandler: Die Medien haben mehrere Tage gebraucht, vor allem öffentlicher Rundfunf und Fernsehen. In der Bevölkerung geniesen die Jugebndlichen große Sympathie. Am Tag vor den Wahlen, als es eigentlich verbioten war, auf die Straße zu gehen kamen in Madrid Zehntausende zum Camp. In anderen Städten war das ähnlich. Selbst Auslandsspanier gingen auf die Straße. Auch in Wien und Graz.

sichalich: Wie lange werden die Proteste Ihrer Meinung nach noch dauern und was muss passieren, dass daraus doch noch ein Flächenbrand wird?

Reiner Wandler: Am Wochenende werden Stadtteilversammlungen abgehalten. Es sollen Minimalforderungen festgelegt werde. Wie zB. das Wahlgesetz. Das Camp in Madrid wird sich sicher nicht ungegrenzt halten können, aber die Bewegung geht sicher weiter.

patercornelius: Aber richtet sich der Zorn auch gegen Ausländer? SOnst sind die ja oft die ersten Südenböcke, wenn es wirtschaftlich nicht so gut geht.

Reiner Wandler: Nö, das ist eine linke, fortschrittliche Bewegung. Es gibt keinerlei rassistische Tendenzen. Dieses Feld belegen eher die großen Parteien. Die Regierung mit ihren Razzien und so mancher Bürgermeisterkandidat mit seiner Ausländerhetze.

Hermann Monster: Wieso hat sich die Polizei so zurückgehalten und den Platz nicht geräumt? Man liest von Geschäftsleuten, deren Läden ruiniert sind...

Reiner Wandler: Weil die Proteste einfach zu groß sind. Was die geschäfte angeht wurden gestern von den Protestierenden alle Transparente vor kleinen Läden abgehängt, Sprühereien beseitigt. Vorbildlich!

UserInnenfrage per Mail: Wie gehen sie mit dem Problem um, dass grössere und strikt organisierte Gruppen Entscheigungsprozesse dominieren, indem sie massiv bei den Asambleas erscheinen (in Österreich "Autobusdemokratie" genannt)?

Reiner Wandler: Dieses Phänomen war so hier bisher nicht zu beobachten.

sichalich: Glauben Sie, dass es eventuell doch zu Neuwahlen kommen kann, wenn die Proteste weitergehen?

Reiner Wandler: Zu vorgezogenen Neuwahlen kann es schon kommen. Aber nicht wegen der Proteste, sondern wieil Zapatero mit einer Minderheitsregierung regiert, und sich nach der Wahlschlappe vom Wochenende kaum noch eine Partei dazu durchringen wird, ihm einen Haushalt abzusegnen, es sei denn der Preis stimmt. Die kleinen Parteien, die als Mehrheitsbeschaffer dienen, sind fast alle nationalistsche Parteien aus den Regionen.

Rafaela: Eine Freundin aus Spanien meint, dass sie das Gefühl hätten, die Politiker würden nicht für die Bürger sondern nur für die Wirtschaft und - womöglich dubiose - Firmen arbeiten, die Rechte der Bürger auf Arbeitplatz, ein Pension, die Gesundheit, eine

Reiner Wandler: Dem ist wenig hinzuzufügen.

Vogel Strauss Hahn: Erst einmal gracias für ihre Berichte, herr wandler, ich lese sie immer sehr gerne. warum ist die berichterstattung so auf madrid konzentriert, gibt es in der provinz keine so starke bewegung mehr wie an der puerta del sol?

Reiner Wandler: Die Puerta del Sol ist das Herz der Bewegung. Auch wenn sie längst auf über 200 Städte übergegriffen hat. Warum ich von hier berichtete? Korrespondenten leben meist in der Hauptstadt, auch ich bin da keine Ausnahme. Und wenn es hier abgeht, warum soll ich dann rausfahren. Ganz Spanien schaut auf die Puerta del Sol.

UserInnenfrage per Mail: User aus dem Off: Steht eine neue Migrationswelle spanischer Jugendlicher bevor? Was sind die bevorzugten Zielländer, falls es die gibt. Frankreich? Oder in einem südamerikanischen Land?

Reiner Wandler: Für die Gutgebildeten, Deutschland, Frankreich, USA, GB

theEdge: Sehr geehrter Herr Wandler, sind die Proteste in Spanien als Verlängerung der in Nordafrika andauerenden Regimestürzungen zu sehen? Beginnt der "Kampf" gegen das offensichtlich nicht funktionierende Wirtschaftssystem und die es unterstützende korrup

Reiner Wandler: Es ist keine Kopie, 1 zu 1. Aber es gibt schon gemeinsame Elemente. "Wir fühlen uns nicht ernst genommen", sagte mir ein Jugendlicher in Sol. "Wir wollen Respekt" stand auf Transparenten. In Tunesien würden sie das auch so sehen.

theEdge: Folgefrage, sofern erlaubt: Welche alternativen Systeme sind Ihrer Meinung nach besser geeignet als das aktuelle?

Reiner Wandler: Schwierige Frage. Ich denke, es braucht mehr direkte Demokratie, die Mittel dazu, sprich Kommunikationswege gibt es. Und wir sollten wieder dahin kommen, dass die reelle Wirtschaft interessiert und den Spekulanten, die mittlerweile ganze Länder ruinieren das Handwerk gelegt wird. Damit wäre schon viel geholfen.

el xorxe: Gibt es auch antidemokratische tendenzen bei den protesten zu beobachten?

Reiner Wandler: Was meinen Sie damit? Gegen diese Art von Demokratie? Dann ja.

Nestor Machno: Da meine Frage bisher noch nicht beantwortet wurde, noch einmal: Was sind die Forderungen der Demonstranten, wer ist ihr Adressat? Gibt es die Forderung nach Wahlenthaltung (no votad!), die ja angesichts der Enttäuschung über die Politik naheliegend

Reiner Wandler: Es gab einen Aufruf keine Parteien zu wählen, die Korrupte auf der Liste haben. Aber es gab keine Empfehlung nicht zu wählen.

UserInnenfrage per Mail: Lilly aus Breitenfurt: Gibt es in Spanien eigentlich die Gefahr, dass rechte Parteien/Bewegungen die legitimen Ziele der Demonstranten aufgreifen und sie für "Ausländer-Raus"-Kampagen oder schärfere Immigrationsgesetze nutzen?

Reiner Wandler: Die Rechte, die sowas vertritt hat die Wahlen gewonnen. Die Partido Popular ist keine ÖVP, sie ist minderheitenfeindlich, ultrakatholisch und macht Stimmung gegen Immigranten.

UserInnenfrage per Mail: JohnnyPistolero: Nix für ungut. Aber läuft das nicht immer gleich ab: Die Linkn gehn auf die Straße, gründen Basisgruppen und machen irgendwie auf 68er - und dann kummt eh nix raus. Warum soll das bitte jetzt in Spanien anders sein, Herr Wandler?

Reiner Wandler: Ich hoffe, dass es anders sein wird, aber garantieren kann das keiner. Und 68 hat sehr viel in der Gesellschaft geändert. Nicht gleich aber über die Jahre.

Takis: Wird die Bewegung abgesehen von der vermutlich ohnehin kritischen Zivilbevölkerung Spaniens auch von der breiten Masse verstanden und unterstützt?

Reiner Wandler: Die Sorge über die Arbeitslosigkeit teilen viele. Jeder 5. ist hier ohne Job. Das Problem mit dem Wahlgesetz seheh auch viele. Die Unterstützung ist groß. Am 15. Mai waren in ganz Spanien 130.000 auf der Straße für Echte Demokratie jetzt! und die Bilder der Camps sprechen für sich.

dagomez99: Wie ist die Stimmung heute in Sol? Wird es nach dem Sonntag weitergehen?

Reiner Wandler: Bis Sponntag geht es weiter, das ist so beschlossen. Was dann geschieht, ich weiß es nicht. Hängt sicher auch daran, was am Samstag in den Stadtteilen und kleineren Städten geschieht. Zur Vorbereitung der Stadtteilversammlungen kamen in Madrid 2000 Menschen auf Sol zusammen.

wirklichnet: Zapatero macht den Eindruck, als würde er das aussitzen wollen. Oder sehe ich das falsch?

Reiner Wandler: Zapatero wird nichts mehr aussitzen. Der will sich bis zum März retten, um wie angekündigt die Legislatur zu ende zu bringen. Wenn ihn die eigenen Partei nicht zuvor in einem Sonderparteitag absägt. Er setzt auf Urwahlen für seinen NachfolgerIn. Immer mehr Parteibarone wollen einen Kongress, der die Nachfolge beschließt. Das wird sich in den nächsten Tagen klären.

volltrottel #3: was sagt eigentlich der könig dazu?

Reiner Wandler: Der König sagt in Spanien grundsätzlich nichts zur Politik. Er ist Staatsoberhaupt und repräsentiert. Mehr nicht. Nur so wird er akzeptiert, und das weiß er.

stimmwunder: Das heißt Zapatero könnte vor der Zeit stürzen? Durch seine eigene Partei?

Reiner Wandler: Er hat mehrere Probleme: Das erste ist der Haushalt, den er im Herbst verabschieden muss. Er regiert in Minderheit. Und das zweite ist sein Standing in der Partei. Wenn sein Projekt der Urwahlen nicht durchgeht, wird die Kritik an ihm bestimmt sehr laut.

Jochen Jausenbrecher: Haben Sie Hinweise darauf, dass sich auch österreichische Demonstranten unter die Besetzer gemischt haben?

Reiner Wandler: Ich habe keine gesehen. Aber Auslandsstudies waren sicher dabei. Inwieweit da welche aus der Alpenrepublik kommen ????

Jochen Jausenbrecher: Mich würde auch interessieren, ob die Demonstranten von den Bürgern Madrids unterstützt werden, etwa mit Jause oder kalten Getränken?

Reiner Wandler: Alles was das Camp hat, von Planen, Werkzeug, Essen, Sonnencreme, etc wurde gespendet, als Sachspende wohl gemerkt. Geld nehmen sie in Sol nicht an. So manche Bar spendet morgens Frühstücksgebäck.

el xorxe: befürchten die demonstranten bezüglich der wirtschaftlichen situation ähnliches wie in portugal oder griechenland?

Reiner Wandler: Spanien steht besser da als Griechenland und Portugal. Die Industrie ist stärker, aber die Kassen und Banken haben ein Problem mit Krediten, die nicht zurückbezahlt werden. Das ist der heikle Punkt hier.

ModeratorIn: Liebe UserInnen. Danke für die rege Teilnahme und Ihr Interesse am Thema Spanien. Herzlichen Dank an Reiner Wandler für die informative Beantwortung aller Fragen. derStandard.at wünscht allen noch einen wunderschönen Nachmittag.

Reiner Wandler: Danke für die Fragen. cU