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Die Trauer fährt mit in den Urlaub.

Und plötzlich bleibt man übrig. Leere. Emma Berger* kennt das Gefühl. Ihr Mann stirbt bei einem Autounfall. Im selben Moment ist nichts mehr wie es war. Kein Abschiednehmen, sie selbst schwerst verletzt. Das war vor ungefähr einem Jahr, nach 27 Ehejahren. Seither hat Frau Berger verschiedene Spitalsstationen und Aufenthalte in Rehab-Kliniken hinter sich. Ganz verheilt sind die körperlichen Wunden bis heute nicht. Die seelischen Schmerzen werden "vermutlich das ganze Leben nicht verschwinden", so Berger.

Berger, 50, ist Grafikerin und lebt in Deutschland. Wenn sie spricht, sprudelt es aus ihr. Eine sympathische, eine quirlige Frau. Dann erzählt sie weiter: "Ich war immer ein Fan von Individualreisen"- aber ohne Begleitung? Der Prospekt, ein unscheinbarer Folder über Trauerreisen, fiel ihr zufällig in einer Klinik in die Hände. "Zwischen Bunte und Stern." Bei der Erinnerung daran muss Berger lachen.

Sogenannte Trauerreisen sind - noch - "eine Nische in der Nische", meint Susanne Stünckel von TUI Deutschland. Der Veranstalter bietet seit Sommer 2010 "die Reise ins Leben" an. Eine Reise, bei der ausschließlich Menschen, die einen Todesfall erleiden mussten, teilnehmen dürfen. Die Reisegruppen sind auf zehn bis maximal 14 Teilnehmer beschränkt. Zwischen Todesfall und Urlaubsantritt sollten in etwa sechs Monate liegen. Vor der Buchung finden Einzelgespräche statt. Mitarbeiter einer Trauerakademie klären ab, ob der Kunde bereit ist für die Reise,  psychische Erkrankungen sollen ausgeschlossen werden. Berger war leicht mulmig vor dem Gespräch: "Das klingt kompliziert", denkt sie, erfährt aber das Gegenteil. "Ich erlebte einen sehr vorsichtigen Umgang mit meiner Situation und fühlte mich gut aufgehoben."

Sie bucht. Die Wahl fällt auf Teneriffa.

Zwei Trauerbegleiter und eine TUI-Mitarbeiterin begleiten die kleine Gruppe. Struktur erhält die kommende Urlaubswoche durch eine Dreiteilung des Tages: Gespräche am Vormittag ("Lebenssinn"), Ausflüge am Nachmittag ("Lebenskultur"), Kulinarik am Abend ("Lebenslust"). Die Teilnahme ist freiwillig. Man ist unter sich, niemand schämt sich, zu weinen, den Gefühlen freien Lauf zu lassen, niemand schämt sich, wieder einmal zu lachen. "Die Gesellschaft erwartet von einer Witwe, dass sie trauert", meint Berger und holt sich einen Passanten in Erinnerung. "So schauen also trauernde Witwen aus", soll er abschätzig und kopfschüttelnd im Vorbeigehen Richtung fröhlicher Runde geätzt haben.

Reise mit Tiefenwirkung

"Am Anfang habe ich ein bisschen gefremdelt, hatte Angst, zu kurz zu kommen", reflektiert Berger. Ein Zustand, der sich bald ändert. Man sei unter sich, jeder habe schließlich in etwa dieselbe Erfahrung gemacht. "Man kann von dieser Reise nicht unbedingt eine grundlegende Veränderung der Trauer erwarten, aber sie kann Perspektiven eröffnen, eine Idee vermitteln, dass und wie es nach einem Trauerfall mit dem eigenen Leben weitergehen kann." Langsam kehrt der Mut und das Zutrauen zu ihr selbst zurück.

Von einem Boom der Trauerreisen kann dennoch nicht die Rede sein. Einige Reisen mussten wegen zu geringer Teilnehmerzahl abgesagt werden. Auch andere Reiseveranstalter sind auf den Zug aufgesprungen, teilweise lange vor der TUI: Kleinere Spezialisten wie "Regen-Bogen-Reisen", der Kreuzfahrten im Mittelmeerraum anbietet oder "Wendepunkte" ebenso wie "Care and Sail", die vor allem Hausboot- und Segeltouren im Programm haben. Als "Erfinderin der Trauerreisen" bezeichnet sich Martina Taruttis. Seit mehr als 14 Jahren bietet die Geschäftsführerin von "Trau dich reisen" Urlaube für Menschen an, die eine "einschneidende Veränderung in ihrem Leben" erfahren mussten, dazu gehören auch Trennung, Scheidung oder Umzug. Aktives Marketing gibt es bei keinem der Veranstalter. Broschüren liegen in Spitalseinrichtungen oder Hospizen auf, alles andere geht den bewährten Weg der Mundpropaganda.

Für Berger war die Reise eine positive Erfahrung: "Das Erfahrene im nachfolgenden Alltag einzubringen und fortzuführen, ist die eigentlich schwierige Aufgabe. Mir selbst ist es nur zum Teil gelungen - aber dieser Teil ist mir sehr viel wert." Noch heute hat sie Kontakt mit dem einen oder anderen aus der Gruppe. Und die Freude am Reisen ist wiedergekehrt. "Die Trauer bekam Präsenz, ohne den Menschen klein zu machen." (Sigrid Schamall, derStandard.at, 24.5.2011)