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Lady Gaga hebelt alte Symbolwelten und Herrschaftsstrukturen mittels Systemüberlastung aus. Der Rest steht auf Youtube.

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Lady Gaga "Born This Way".

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Wien - Das Cover ihres neuen Albums hätte die gute alte, aus dem Kino bekannte britische Heavy-Metal-Parodieband Spinal Tap nicht besser hinbekommen. Auf Born This Way ist Lady Gaga als biomechanisches Mischwesen aus wilder Henne und schwerem Motorrad abgebildet. Wir sehen ein groteskes Zerrbild männlicher Schweinerock- und Allmachtfantasien des phallisch-dominierten Rock-Mesozoikums.

Die Frau als fetischisierter Gebrauchsgegenstand, auf dem man sehr gern reiten darf. Aber Achtung, trotzdem ist das nur etwas für ganze Kerle. Immerhin faucht einem Lady Gaga bedrohlich entgegen. Nur ihre Augen wirken, der lächerlichen Situation entsprechend, gut 40 Jahre nach der unterstellten sexuellen Befreiung der Frau noch immer mit solchem Pofel daherkommen zu müssen, etwas müde.

Wie die Geschichte jetzt weitergeht, liegt wiederum im Auge des Betrachters, der Betrachterin. Immerhin könnte man ja schnell einmal auf eine Idee kommen. Zum Beispiel jene, dass es sich bei der seit drei, vier Jahren umgehenden Pop-Großmeisterin Lady Gaga bloß um eine weitere zynische Kauffrau handelt, die wider besseres Wissen und schlecht beraten Sex als Ware verscherbelt. Schließlich sehen ihre Videos und Auftritte mit all den Fetisch-Utensilien und vertanzten Massenorgien nicht viel anders aus wie eine Eröffnung des Wiener Life Balls: Hände hinter den Rücken und auf die Knie! Ich verhafte Sie, weil sie die Leute unnötig scharf machen.

Gemeinhin aber muss man mit so schnödem Abtun eigentlich hochkomplexer Zusammenhänge etwas vorsichtig sein. Tatsache ist, dass die 25-jährige New Yorkerin Stefani Joanne Angelina Germanotta nicht nur eifrig bei Stock, Aitken and Waterman und später bei Dr. Alban und Captain Jack Komposition, die Kylie-Minoguerei, HiNRG-Pop und 1990er-Eurodance erlernte. Damals studierte sie auch eifrig Kunstgeschichte, Semiotik, Tabubruch sowie Provokation. Und sie verdiente sich ihre ersten Sporen in Underground-Clubs als Burlesque-Tänzerin. Alles deutet also darauf hin, dass Lady Gaga als derzeit weltweit wirkungsmächtigster Popstar weiß, was sie tut.

Lieder für uncoole Clubs

Die Aneignung, Verdrehung, Neubewertung, Ad-absurdum-Führung gegnerischer Herrschaftssymbole ist so alt wie die Welt. Lady Gaga ist nur aus der Nachahmung von Madonna in deren Hochblüte verständlich. Damals galt die Aneignung und Umkehrung männlicher Machtfantasien eben auch als neuer Feminismus. Lady Gaga ist in dieser Tradition auf dem neuen Album im breitbeinigen Bilderschatz der machistischen Rockmusik gelandet. Was aber bezweckt Lady Gaga mit Born This Way eigentlich? Möglicherweise ist es zumindest laut ihren Videoclips, also ihrer eigentlichen Kunst, die Aushebelung jedweder vorgegebenen Bedeutungen mittels Reizüberflutung: Jesus im S/M-Studio, Leni Riefenstahl in der Synchrontanzdisco, heterosexueller Heavy Metal als Grundlage für schwule House-Musik wie im neuen Song Heavy Metal Lover, generell das Spiel mit Rollenklischees und sexueller Identität.

Bei aktuellen TV-Auftritten in Europa schnallte sich Lady Gaga unter den Latexrock einen Dildo und zitierte damit ihren eigenen Youtube-Coup aus dem Vorjahr mit bei einem Auftritt angeblich aus ihrem Rock lugenden Penis, Das Video-Bootleg sollte beweisen, dass es sich bei Lady Gaga eigentlich um einen Kerl handelt.

Wer alles zulässt, verspricht der Welt, dass alles geht. Machbarkeitsstudien sagen: Ja, wir schaffen das. Ein altes Freiheitsversprechen des Konsumismus erfährt seine späte Hochzeit. Blöd nur, wenn sich jetzt die Wirtschaft nicht daran hält. Solange aber Youtube sendet, besteht Hoffnung. Ehre sei Gaga in der Höhe.

Musikalisch bietet Born This Way den bekannten, auf billig gemachten Disco-Quatsch mit Musical-Refrains. Man hört Eurodance-Stampfer, die kräftig auf Techno für jene uncoolen Tanzflächen hochfrisiert werden, die Lady Gaga privat niemals betreten würde. Mit The Edge Of Glory und Saxofonist Clarence Clemons von der Bruce Springsteen Band entdeckt sie den Stadionrock. Auf Yoü And I nudelt Brian May von Queen. Das Lied Scheiße schließlich wird in den Grundschulen dieser Welt für Furore sorgen. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 24. Mai 2011)