Eine Heldin, die viel zu erledigen hat: Matilda (Ana Ularu) in "Periferic".

Foto: Thimfilm

Wien - Was man in den wenigen Stunden eines Freigangs aus dem Gefängnis alles unterkriegen kann, das hat das Kino erst kürzlich in dem Thriller Ein Prophet eindrücklich erzählt - einmal von Paris nach Marseille, zwischendurch die Machtübernahme in einem Verbrecherkartell vorbereiten, dann schon wieder Eisentor und Leibesvisitation. In dem rumänischen Periferic von Bogdan George Apetri verhält sich die Sache ähnlich und am Ende doch ganz anders. Matilda (Ana Ularu) darf für einen Tag aus der Haft, um zum Begräbnis ihrer Mutter zu fahren. Sie hat eine Menge vor in dieser Zeit, vor allem aber weiß sie, dass sie unter keinen Umständen zurückkommen wird. Damit bleibt nur eine Lösung: Sie muss das Land verlassen, alles ist schon eingefädelt, aber es bleibt noch viel zu tun.

Periferic beruht auf einer Geschichte, die unter anderem auf Cristian Mungiu zurückgeht, der mit Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage den vielleicht bekanntesten Film der "Neuen rumänischen Welle" gemacht hat. Auch dort geht es darum, einen erzählerischen Parcours zu absolvieren, um in Bukarest noch während der Ceaușescu-Ära eine illegale Abtreibung zu organisieren.

Das Publikum wird in Periferic von Beginn an eingeweiht in das Ziel der Geschichte, dann aber erschließen sich die näheren Umstände erst ganz allmählich und beiläufig. Matilda wird an diesem Tag nicht nur ihren Bruder treffen, sondern auch ihren früheren Liebhaber, mit dem es ganz wesentlich zu tun hat, dass sie überhaupt ins Gefängnis musste. Dann taucht schließlich noch eine weitere, alles entscheidende Bezugsperson auf, die erst verständlich macht, warum Matilda sich nicht in die kleine Hoffnung auf ein baldiges Absitzen ihrer Strafe fügen will.

Im Idealfall eignet Filmen dieses Typs etwas Modellhaftes, sie stellen eine Verdichtung gesellschaftlicher, ja historischer Umstände auf eine einfache Erzählung dar - mustergültig ist dies in Cristi Puius Der Tod des Herrn Lazarescu vorgeführt worden, in dem ein alter Mann erkrankt und eine lange Fahrt von Ambulanz zu Ambulanz beginnt.

Es geht in diesen Filmen nicht um dramatische Spannung, sondern um eine Dramatik der Verhältnisse. Matilda steht in vielfachen Ausbeutungsbezügen, die sich immer wieder in sexuellen Handlungen manifestieren. Prostitution war schon für die Nouvelle Vague ein Phänomen, in dem sich die Widersprüche der freien Marktwirtschaft deutlich erkennen ließen. Im postkommunistischen Rumänien ist dies nicht anders. Spezifisch ist vielleicht eine bestimmte männliche Brutalität, die das Bild eines Naturzustands evoziert, in dem das Recht des Stärkeren durch kein Gewaltmonopol eingeschränkt ist.

Dass Periferic eine Koproduktion ist, in der auch österreichisches Geld steckt, verweist zurück auf die Erzählung selbst, denn Matilda erhofft sich einen Neuanfang außerhalb der Umstände in ihrem Land, von denen hier ein klares Bild gemacht wird. (Bert Rebhandl, DER STANDARD - Printausgabe, 24. Mai 2011)