In Felix Mitterers Stück "Die Beichte" rechnet ein als Kind missbrauchter Mann mit dem Täter und sich selbst ab.

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Kremsmünster/Linz - "So etwas kann gutgehen, aber auch gewaltig schief". Die Dame mit dem grau melierten Haar greift nervös in eine Schüssel mit Knabbergebäck. Nein, ihren Namen wolle sie nicht in der Zeitung sehen: "Ich bin aus Kremsmünster. Und da fragen sich halt einige 'Muss man jetzt noch so viel über diese Sachen von damals reden?'". Ein Herr vom benachbarten Stehtisch bringt sich ins Gespräch ein: "Vor zwanzig Jahren hätte man darüber reden sollen. Aber da hast daheim noch a Watsch'n kriegt, wennst gesagt hast, dass du vom Pfarrer eine abgefangen hast."

Bereits vor der eigentlichen "Beichte" war im Foyer des Theatersaals im Stift Kremsmünster der Redebedarf groß. Das Benediktinerstift lud Freitagabend zu einer außergewöhnlichen Premiere. Auf dem Spielplan stand Felix Mitterers Missbrauchsdrama "Die Beichte". Das Stift macht damit einen weiteren, durchaus mutigen Schritt in der Aufarbeitung der dunklen Kapitel der Klostergeschichte. Die Welle an Missbrauchsfällen, die im Vorjahr bekannt wurden, machte auch vor Kremsmünster nicht halt. 45 Betroffene hatten sich gemeldet.

Die zuständige Staatsanwaltschaft Steyr eröffnete elf Verfahren, von denen bis auf ein noch laufendes alle wieder eingestellt wurden, da sie strafrechtlich nicht relevant oder verjährt waren. Die Anschuldigungen richteten sich gegen drei Patres wegen des Vorwurfs sexuellen Missbrauchs sowie gegen drei weltliche Lehrer und fünf Benediktiner wegen des Vorwurfs seelischer und körperlicher Gewalt. Vor diesem Hintergrund drängte sich unter dem zahlreich erschienen Publikum vor allem eine Frage auf: Kommt der Abt zur Theaterpremiere?

Abt Ambros Ebhard kam. Und leitete den Abend mit selbstkritischen Worten ein. Dem Zufall ist es wohl zuzuschreiben, dass ausgerechnet beim Wort "Beichte" zweimal das Saalmikrofon ausfiel. "Im letzten Jahr ist uns allen bewusst geworden, dass es in unseren Erziehungseinrichtungen zu Übergriffen gekommen ist. Dafür möchte ich mich als Abt nochmals aufrichtig entschuldigen. Mit der Aufführung dieses Stückes stellen wir uns auch in der Öffentlichkeit der Thematik des sexuellen Missbrauchs", führte der Abt aus.

Das Schauspiel selbst, aufgeführt von der Theatergruppe Sierninghofen-Neuzeug, verfehlte an diesem Abend seine Wirkung nicht. Die Geschichte vom verwaisten Chorknaben und "lieben Engel" Martin, dessen Kindheit geprägt ist von Gewalt und sexuellen Übergriffen, schockiert angesichts der Aktualität. Vor einem geplanten Suizidversuch sucht der mittlerweile erwachsene Martin im Beichtstuhl jenen Priester auf, der ihn als Internatszögling sexuell missbraucht hat. Es folgt die Abrechnung eines Mannes mit dem Priester, vor allem aber auch die Auseinandersetzung mit sich selbst: Denn inzwischen ist das Opfer selbst zum Täter geworden, gegenüber seinem eigenen Sohn.

Stille, dann tosender Applaus

Wie sehr die Aufführung an einem der "Tatorte" unter die Haut geht, machte sich am Ende der Stückes bemerkbar: Als die Schauspieler abtraten, schien das Publikum wie erstarrt. Lange herrschte völlige Stille - bis tosender Applaus einsetzte.

"Es war beeindruckend. Und es war mutig", sagte etwa Friedrich Andeas Amatschek, ehemaliger Schüler des Stiftsgymnasiums. Er selbst sei während seiner Schulzeit nie Opfer von Übergriffen geworden. "Sicher hat man manches mitbekommen. Aber man kann das als Zehnjähriger nicht richtig einschätzen. Da ist eher darüber gewitzelt worden, wenn der Pater jemanden öfter gestreichelt hat." Der Schock im Vorjahr sei aber groß gewesen: "Wenn ein Schulkollege aus der Parallelklasse in der Zeitung erzählt, dass er sexuell missbraucht wurde, zieht's einem die Ganslhaut auf." (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 23. Mai 2011)