Knackig und durchtrainiert: Als dieses Model über den Laufsteg schritt, kam auf dem Rathausplatz richtig Stimmung auf.

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Historisierende, hosenlose Kavalleristin von "Dsquared2".

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Authentisch und aus ganzem Herzen: nicht ohne Teleprompter.

 

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Bisher beliebter Erholungs-, Treff-, Aus- und Überblickspunkt auf dem Ball, heuer mit Hinsetzverbot belegt: die Stiegenhäuser im Rathaus.

 

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Ein Kontratenor im Juchhe - und ein Ballvater im Zenit seines Ruhmes: Der Life Ball startete am Samstag mit einer fulminant-barocken Händel-Eröffnung in der Luft - und stürzte dann aus allen Wolken.

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Gery Keszler konnte zwar Janet Jackson nach Wien holen, doch weder sie noch all die anderen Stars, die auf dem Rathausplatz brav Aids-Awareness-Botschaften ablasen, konnten dem Ball danach jenen Pepp geben, der ihn einst zur wildesten und lautesten Party Europas gemacht hatte.

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Es war die schwächste Show in der 19-jährigen Geschichte des Life Balls. Doch da Kritik an der Inszenierung als Kritik an den Zielen der Veranstaltung gilt, war der Ball offiziell auch heuer schlichtweg grandios.

Wien – Irgendwann war dann alles gesagt. Blöderweise mussten danach aber noch 29 weitere HIV-Jahre per Promi-Testimonial "besprochen" werden – und so dokumentierte Gery Keszler am Samstag beim 19. Life Ball allein durch die Inszenierung das Dilemma seiner großen Charityparty. Denn das Statement "Aids ist eine furchtbare Krankheit. Geld zu sammeln und gegen Diskriminierung aufzutreten daher wichtig. Deshalb bin ich gern bei dieser Party", hat als Endlosschleife rasch den Charme einer Home-Shopping-TV-Show. Egal, wie berechtigt und wichtig das Anliegen ist.

In dieser Zwickmühle befindet sich der Life Ball seit einigen Jahren. Heuer wurden die Klippen von Anspruch und Penetranz aber zu Skylla und Charybdis: Der Life Ball erlitt Schiffbruch.

Das, obwohl die Eröffnung so vielversprechend wie opulent war: Zum diesjährigen Ballmotto "Luft" wurden die Bühne und der Luftraum über ihr mit einer prachtvollen, barocken und fulminanten Händel-Inszenierung bespielt. Und mit Chris Lohner, die als Päpstin der Stadt und der Welt den Segen "urbi et orbi" spendete, bevor sie zum freudigen, aber nicht hirnlosen "Ja" zu Leben, Liebe und Lust aufrief, wäre alles gesagt gewesen. Knapp, aber deutlich.

Doch, ach, dann kamen Stunden voll Weihrauch, Eitelkeit und Fadesse – und eine Modeschau, die just durch bemühte Nonkonformität lediglich abgelutschte Klischees strapazierte und (trotz ihrer Kürze) langweilte: die schwächste Show, die Keszler vor dem Rathaus je in Szene setzte.

Sakrosankt

Freilich: So sagt das niemand. Zumindest nicht laut. Nicht in Wien. Denn Kritik an Ballvater und Inszenierung werden hier umgehend mit einem generellen Infragestellen oder Aberkennen von Sinn und Zweck der Veranstaltung gleichgesetzt: Gery Keszler und der Life Ball sind sakrosankt – nicht bloß wegen der fast 14 Millionen Euro, die der Ball in den zwei Jahrzehnten seines Bestehens für diverse Aidshilfeprojekte einspielte. Geld, ohne das viele Initiativen längst nicht mehr arbeiten könnten.

Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Allerdings wird es längst als Totschlagargument gegen jedwede kritische Anmerkung zum Ball verwendet. Weniger – zumindest nicht öffentlich – vom Ballorganisator selbst als von all jenen, die sich und ihre Unternehmen, ihre Politik oder ihre Medien – durch Sponsor-, Hilfs- oder Partnerleistungen – in den prestigeträchtigen Windschatten der guten Sache stellen.

Und so blieb in den vom Volk hermetisch abgeriegelten VIP-Bühnen und -Bereichen, in denen unübersehbar "klassische" Anzüge, Smokings und Abendkleider dominierten, heuer vor allem eines unausgesprochen. Nämlich, dass Gery Keszler durch den (in der Absicht ehrbaren) Versuch, 30 Jahre Aids durch 30 Promi-Statements darzustellen, die Eröffnung grandios fad und atemberaubend langatmig machte.

Ungesagt blieb – und bleibt – in den Sphären der wechselseitigen Schulterklopfer aber auch anderes. Etwa, dass es einen seltsamen Beigeschmack hat, wenn eingeflogene Stars ihr "Comittment" – teils verheerend schlecht – vom Teleprompter ablesen. Oder, so wie die 80er-Jahre-Nightlife-Ikone Susanne Bartsch, behaupten, sie hätten "wegen Aids die Hälfte meines Telefonbuches löschen müssen". Derlei ist nicht mehr peinlich, sondern geschmackloses "Hier! Ich!"-Gebrüll – von einem Podest aus den Grabsteinen toter Freunde aus.

Aber vermutlich bleibt Bartsch dem Publikum so zumindest in Erinnerung. Im Gegensatz zu jenen, die heuer als musikalisches Füllmaterial dienten. Nadine Beiler durfte gleich zweimal auf den Laufsteg – aber war die nicht schon am Tag nach dem Song Contest vergessen?

Dutzendware-Acts wie Natalia Kills oder Natasha Bedingfield sind mit ihren 08/15-Discowummernummern ohnehin ständig auf Promo-Tour – und universell einsetzbar. Und am traditionellen "Life Ball Song" sind schon andere als der hierzulande doch eher unbekannte Cheyenne Jackson gescheitert: Als das Volk vor etlichen Jahren nach der Modeschau ins Rathaus drängte, wirkte da selbst Nina Hagen verloren.

Holly Johnson, der mit der traurigsten Version seines Welthits "The Power of Love" heuer auch auftrat, sei hier explizit ausgenommen: Die – selbst an Aids erkrankte – Ex-Hälfte von "Frankie goes to Hollywood" wirkte glaubwürdig und authentisch – nicht bloß wegen des eigenen Bezugs zum Grundthema des Life Balles.

Hosenlose Kavalleristen

Und die Modeschau? Sie fand statt. Punkt. Doch Dean und Dan Caten vom Label "Dsquared2" genügten sich in bekannten, auf dem Rathausplatz schon spannender gezeigten Fetisch- und Soft-SM-Bildern. Sie steckten Models in historisierende Kavallerie-Outfits – und vergaßen in der Hektik die Hosen. Dem Motto "Luft" entsprechend gab es Flügel. Soll sein.

Nicht nur Dädalus blieb da auf dem Boden. Ikarus aber stürzte dennoch ab: Francesca Habsburg, eines der wenigen nichtprofessionellen Models, machte einen Bauchfleck. Sie rappelte sich auf, grinste – und ging weiter: einer der wenigen souveränen Momente des Balls.

Habsburg lachte über sich selbst: Dieses Augenzwinkern fehlte dem Life Ball zur Gänze. Der Event ist im Establishment angekommen. Ist erwachsen – und das ist wohl etwas Todernstes. Gery Keszler, früher selbst maskiert auf dem Ball, kam in Anzug und Krawatte. Mit Orden. Den bekam er für die Verdienste des Life Balles. An denen gibt es nichts auszusetzen. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD, Printausgabe, 23. Mai 2011)