"Filesharer sind Kunden, an denen wir noch arbeiten müssen."

Werner Müller

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Laut Selbstbeschreibung "setzt sich der Verein für Anti-Piraterie der Film- und Videobranche (VAP) engagiert für die Rechte von österreichischen Filmverleihern, Home-Entertainment-Unternehmen, Film- und Fernsehproduzenten, Zulieferer der Filmbranche und Kreativen ein." Der 2003 gegründete Interessensverband hat seinen Sitz in Wien und stand kürzlich in den Schlagzeilen, weil er vor Gericht eine Sperre der Filmstreaming-Plattform kino.to gegen den Internetprovider UPC durchsetzen konnte. derStandard.at sprach mit dem Generalsekretär des VAP, Werner Müller, über Vorratsdatenspeicherung, den Begriff "Raubkopie" und den Bully-Herbig-Effekt.

derStandard.at: Als in Deutschland kürzlich entschieden wurde, im Kampf gegen Kinderpornografie nicht auf Netzsperren sondern auf Löschungen zu setzen, haben Sie diese Debatte genutzt, um auf die Anliegen der Filmindustrie hinzuweisen. Haben Sie nicht das Gefühl, mit einer Satzeinleitung wie "Pädophile und andere Rechtsbrecher …" implizit Kindesmissbrauch und Filesharing in einen Topf zu werfen?

Werner Müller: Wir wollen Kinderpornografie sicher nicht verharmlosen. Kinderpornografie ist eine schwerwiegende Straftat gegen Leib, Leben und die Persönlichkeitsrechte, Urheberrechtsdiebstahl unter gewissen Umständen ein strafrechtlich relevantes Eigentumsdelikt. Mit dem Strafrecht hören sich die Parallelitäten aber schon auf. In den Verfolgungsdefiziten und in manchen politischen Reaktionen spiegelt sich dann schon wieder eine gewisse politische Ahnungslosigkeit. Bei manchen Delikten reagiert die Internetwirtschaft ja bereits "intern" mit Sperren – wie eben bei Kinderpornografie und Rassismusseiten –, völlig zu Recht. Wir fragen uns halt, warum bei Eigentumsdelikten gegen die Kreativwirtschaft dann immer der Untergang des Abendlandes beschworen und die China-Argumentationskeule geschwungen wird. Diebstahl im Web gehört genauso verfolgt wie in der "normalen" Welt und sage mir keiner, das gehe im Netz nicht. Geht genauso!

derStandard.at: Sie haben wegen des Verzichts auf Netzsperren die deutsche Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger harsch kritisiert.

Werner Müller: Für mich war es extrem emotionalisierend, wenn im Fall von Kinderpornografie jemand sagt: "Wir sind befriedigt, dass diese Seiten nicht gesperrt werden, weil wir wollen sie ja an der Quelle bekämpfen und löschen." Das ist natürlich ein hehrer Ansatz, aber in Wahrheit heißt das: Entweder ist jemand falsch informiert oder nicht ganz ehrlich, was die Möglichkeiten zur Bekämpfung dieser Dinge betrifft. Vielleicht will man sich aus politischen Gründen einer gewissen Klientel anbiedern und akzeptiert aus einem irregeleiteten Rechtsliberalismus, dass Delikte im Internet nicht wirksam verfolgt werden.

derStandard.at: Sind dann auch der Verband der deutschen Internetwirtschaft und das Bundeskriminalamt falsch informiert oder unehrlich? Laut deren Daten könnten über 99 Prozent der illegalen Seiten – auch im Ausland – gelöscht werden.

Werner Müller: Im Westen, aber versuchen Sie das einmal mit einem Server außerhalb Europas. Die Betreiber haben wie kino.to eine Tonga-Domain und ihre Inhalte wahrscheinlich auf Servern in Russland. In manchen Weltgegenden ist das Unrechtsbewusstsein noch weniger ausgebildet und man befindet sich schnell im rechtsfreien Raum. Was den direkten Zugriff auf die Betreiber betrifft, ist es derzeit offensichtlich mit einigem Geschick möglich, das Enforcement zu unterlaufen.

derStandard.at: Wo sehen Sie die Gründe für dieses Defizit?

Werner Müller: Es gibt Stimmen, die sagen, dass sich das Internet nicht steuern oder regulieren ließe. Die Firma mit dem "A" hat doch gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist, ein System zu schaffen, das sich wieder sehr nahe an das alte Verlagssystem bewegt: Ich entscheide, was reinkommt; ich verkaufe, was reinkommt; und die Möglichkeiten es zu hacken, sind sehr beschränkt. Wenn die Hardware entsprechend geil ist, akzeptieren das die Benutzer auch sehr wohl. Oder habe ich da irgendeine Free-Internet-Bewegung gegen Apps verpasst? Die gibt's einfach nicht. Da lässt sich das Internet durch entsprechende Strukturen gut regulieren, auch mit den unschönen Konsequenzen wie Datenmissbrauch usw. Oft schreien ja auch dieselben Konsumenten, die freiwillig höchstpersönliche Daten in die Welt streuen, am lautesten "Halt ", wenn es um den selbsterklärenden Versuch einer Branche geht, notwendige Daten zur Rechtsverfolgung zu bekommen.

derStandard.at: Vor wenigen Wochen wurde die Vorratsdatenspeicherung beschlossen – der staatliche Zugriff auf Verbindungsdaten soll bei der Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung helfen. Der VAP hatte auch hier gefordert, Urheberrechtsverletzungen zu berücksichtigen. Sind Sie mit den Gesetzesnovellierungen zufrieden?

Werner Müller: Wir haben uns bei der Debatte immer wieder zu Wort gemeldet, um auf Rechtsdefizite bei der Durchsetzung von Immaterialgüterrechten hinzuweisen. Es gibt hier maßgebliche Bereiche, die in der "analogen" Welt unwidersprochen als geschützt gelten, im Web aber als freie Güter angesehen werden. Ein Beispiel ist die gerade vom Parlament beschlossene Vorratsdatenspeicherung: Ein Satz hätte genügt, um Privantanklagedelikte dort einzubauen, um damit ein Instrument zur Verfolgung von Verletzungen von Persönlichkeits- oder Urheberrechten durchzusetzen. Diese Chance, das Rechtsschutzdefizit im zivilrechtlichen Bereich zu beheben, ist nicht genutzt worden.

derStandard.at: Werden Sie in Zukunft also wie schon bisher gegen Urheberrechtsverletzungen vorgehen?

Werner Müller: Uns geht es nicht darum, tausendfache Abmahnungen an private Down- oder Uploader zu verschicken. Das war im Übrigen auch in der Vergangenheit nicht unser Ziel. Was den P2P-Bereich betrifft, halte ich das französische oder britische Modell (Anmerkung: das sogenannte Three-Strikes-Verfahren) – jedenfalls was die beiden ersten Strikes, Information und konsequente Abmahnung, betrifft – grundsätzlich für sinnvoller als zivilrechtliche Mahnklagen mit entsprechenden Kostenfolgen. Der VAP konzentriert sich weiter auf die strafrechtlich relevanten Urheberrechtsverletzungen, also die großen Plattformen wie kino.to, deren Betreiber mit Werbung und Abo-Systemen massiv Geld verdienen – also vereinfachend auf die PirateBays dieser Welt. Trotzdem: P2P bleibt natürlich ein Thema, wenngleich sich die wirtschaftlichen Schwerpunkte verschieben.

derStandard.at: Wie berechnen Sie die oft kolportierten Milliardenentgänge, die durch Filesharing verursacht werden?

Werner Müller: Einen Verlust zu definieren, kann systemimmanent immer nur eine Annahme sein. Wir rechnen die derzeitigen Verluste der Kreativindustrien aus Bild- und Tonträgern natürlich nicht zu hundert Prozent in Piraterie um, das wäre unseriös. Wir setzen einen fiktiven Anteil an: Bei der TERA-Studie waren das plus/minus zehn Prozent der Gesamtentgänge, und der ist argumentierbar. Diese Zahlen kann ich wiederum übersetzen in wirtschaftliche und arbeitsmarktrelevante Schäden und da kommen Sie bei der TERA-Studie in Hochrechnung bis 2015 europaweit auf dreistellige Milliardenverluste und bei Arbeitsplatzverlusten auf über eine Million.

derStandard.at: Kann es nicht sein, dass die meisten Leute, die sich illegal Filme besorgen, sie im Kino oder auf DVD bzw. Blu-ray gar nicht angeschaut hätten, sondern auf die Free-TV-Premiere gewartet hätten?

Werner Müller: Das weiß natürlich keiner. Aber die meisten Studien bestätigen das, was auch der gesunde Menschenverstand sagt: Wenn man die Gelegenheit hat, einen Film oder Musik zeitglich gratis zu bekommen, dann hat das Einfluss auf das Konsumverhalten. Alles andere würde der Natur des Menschen widersprechen, der ja – zumindest manchmal – ein homo oeconomicus, also ein rational denkender Mensch ist.

derStandard.at: Der Fachverband der Film- und Musikindustrie schrieb kürzlich: 2010 war ein europäisches Rekordjahr bei Kinobesuchen, "Frankreich etwa hat mit 206,5 Mio. Besuchern das beste Ergebnis seit 1967 erreicht." Mit welchem Anspruch bleiben Sie hier bei Ihrem Argument?

Werner Müller: Wahrscheinlich lassen sich die unterschiedlichen Jahreseinnahmen mit dem Content erklären. Man kann die wirtschaftlichen Erfolge oft an ganz, ganz wenigen Titeln festmachen und 2010 war das Jahr von "Avatar" und 3D. Genau betrachtet sind 2010 die Besucherzahlen ja in ganz Europa tendenziell rückläufig gewesen – 3D hat das teilweise umsatzmäßig wieder ausgeglichen. In Österreich etwa hatten heimische Filme 2007 einen Marktanteil von drei Prozent, 2008 aber rund acht Prozent, was vor allem durch den Erfolg von ein, zwei Titeln zu erklären war. In Deutschland würde man es vielleicht den Bully-Herbig-Effekt nennen, dass die Beurteilung eines Kinojahrs von einem einzigen Titel abhängt.

derStandard.at: Die Musikbranche war schon in den Neunzigern mit Napster etc. konfrontiert, es haben aber erst Apple und Amazon kommen müssen, um die Akzeptanz gegenüber Bezahlinhalten zu beweisen. Hätte die Filmbranche nicht früher reagieren können?

Werner Müller: Versäumnisse oder nicht – das ist doch verschüttete Milch. Außerdem hat die Filmwirtschaft – im Gegensatz zu mancher Werbelinie der ISPs ("Wir kaufen nicht – wir laden alles runter") – ihren Kunden nie eine Gratiswelt vorgegaukelt. Legale Plattformen – in Österreich zum Beispiel Flimmit – unterliegen strengen gesetzlichen Auflagen, anders als der kostenlose Markt. Dieser funktioniert, wird praktisch nicht verfolgt und braucht sich nicht an nationale und EU-Normen zu halten. Jugendschutz, Konsumentenrechte, kollektive Abgaben für die Film- und Musikschaffenden, Verwertungsfenster beim Film gibt's dort nicht. Wenn Sie kino.to öffnen, sehen sie halt gleich eine formatfüllende Pornoseite, nicht einmal mit dem obligaten Pro-forma-Schutz "Wir sind eh 18, gelt?"

derStandard.at: Die Urheberrechtslobby verwendet immer wieder den Begriff "Raubkopie". Ist das nicht etwas hoch gegriffen? Immerhin gilt als "Raub" erst, wenn etwas weggenommen und dabei Gewalt angewendet oder angedroht wird.

Werner Müller: Es mag, ähnlich wie "Piraterie" – was ja auch Raub ist –, überspitzt sein, der korrekte Begriff "Urheberrechtsverletzung" ist für den alltäglichen Sprachgebrauch halt ein bisschen sperrig. Ich bin sicher auch kein Freund dieser Terminologie, umso mehr, als dieser Piraterie nichts Romantisch-Verklärendes anhaftet. Oft ist das im Kleinen einfach Ladendiebstahl am Künstler.

derStandard.at: Ist das Urheberrecht, das für ganz andere Umstände der Mediennutzung gestaltet wurde, wirklich noch zeitgemäß?

Werner Müller: Das ist es gerade jetzt. In der Copy-&-Paste-Welt fällt plötzlich erst auf, dass es das Urheberrecht gibt. Früher hat man sich ein Buch gekauft, und es wäre wohl niemandem eingefallen, damit auf Lesetour zu gehen. Ich gehe davon aus, dass aber schon damals Bücher oder LPs nicht nach Laufmeter gekauft wurden. Es war halt in der analogen Steinzeit nicht so bewusst, dass das ein Kauf bestimmter Nutzungsrechte war. Im Copy-&-Paste-Mashup-Zeitalter muss man natürlich adäquate Antworten finden. Ich persönlich finde die Idee der Creative Commons Licenses ja keinen so schlechten Ansatz, auch wenn sie keineswegs die Antwort auf das geltende Urheberrecht sind, sondern im Gegenteil ein Teil davon. Sie stellen den Versuch dar, bestehende Rechte zu normieren, zu vereinfachen und zu internationalisieren. Man sollte halt auch wissen, dass das ein Modell ist, das nur für kostenlosen Inhalt – im Wesentlichen also Open Source oder User Generated Content – funktioniert. Leute, die Musik oder Film zum Beruf machen wollen, sollten derzeit noch die Finger davon lassen.

derStandard.at: Können Sie aus dem Phänomen Filesharing überhaupt keine positiven Schlüsse ziehen?

Werner Müller: Natürlich sind die User Menschen, die sich für Filme und Musik interessieren, die Filme und Musik lieben. Und es sind Menschen, die sicher auch für legalen Content empfänglich sind und die man dafür gewinnen können muss. Man könnte sagen, es sind Kunden, an denen wir noch arbeiten müssen. (Michael Matzenberger, derStandard.at, 9.6.2011)