Rechtsexperte Willibald Posch von der Universität Graz ortet einige juristische Reibungsflächen, wenn fremdes Recht in Österreich angewandt wird.

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STANDARD: Die Scharia, das islamische Recht, wird - wie Sie unlängst bei einem Vortrag in Graz erwähnt haben - auch von österreichischen Richterinnen und Richtern relativ oft angewandt. Auf welcher rechtlichen Basis eigentlich?

Posch: Wir haben - anders als im Strafrecht - im Zivilrecht den Grundsatz des internationalen Entscheidungsgleichklangs. Das bedeutet, dass Gerichte nicht unbedingt eigenes Recht anwenden müssen. Ich weiß, damit haben viele Nichtjuristen ein Problem. Wie kann ein österreichischer Richter fremdes Recht anwenden? Das bezieht sich nicht allein auf die Scharia, das ist allgemein so. Die Grundlage dafür ist das Internationale Privatrecht, das besagt, welches Gesetz auf einen Sachverhalt mit Auslandsberührung anzuwenden ist.

STANDARD: Das betrifft in erster Linie also privatrechtliche Angelegenheiten wie Heirat, Scheidung oder Unterhalt.

Posch: Ein Richter muss da genau abwägen. Ein Beispiel: Es kommt zu einem österreichischen Richter ein Ehepaar, das aus einem islamischen Land stammt, noch nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt und sagt: "Wir wollen uns scheiden lassen." Oder eher - weil das der häufigere Fall ist - der Mann sagt: "Ich habe mich nach islamischen Recht in meiner Heimat scheiden lassen. Hier haben Sie die Urkunde der Behörde XY aus meinem Bezirk in Pakistan." Dann muss der Richter feststellen, welches Recht anzuwenden ist. Es ist dies das pakistanische Recht. Sofern das Ergebnis der Anwendung dieses Rechtes nicht mit den Grundwertungen der österreichischen Rechtsprechung in Widerspruch steht, wird ihm Recht gegeben.

STANDARD: Ein Mann kann sich nach islamischem Recht durch Verstoßung von seiner Frau trennen. Wenn die Frau nicht einverstanden ist, gilt sie dann in Österreich trotzdem als geschieden?

Posch: Dann kann sich die Frau an das Gericht in Österreich wenden mit der Bitte, diese Scheidung nicht anzuerkennen. Der Richter wird dann feststellen, ob die Entscheidung etwa des irakischen Gerichtes mit den Grundwertungen unserer Rechtsordnung vereinbar ist oder nicht. In drei Fällen hat der OGH erst unlängst das Begehren eines Mannes abgelehnt.

STANDARD: Wo gibt es in heimischen Gerichten aktuell noch weitere Reibungsflächen zwischen österreichischer und islamischer Rechtsprechung?

Posch: Es geht grundsätzlich darum, zu welchem Recht die stärkste Beziehung besteht. Wird festgestellt, zum Recht eines Staates, in dem die Scharia gilt, kommt die Scharia zur Anwendung. Ein Bereich, wo es noch keine oberstgerichtliche Entscheidung gibt, ist die Frage der Polygamie. Wenn zum Beispiel ein Staatsbürger aus einem islamischen Land mit zwei Frauen hierherkommt, wird das anerkannt. Wenn er österreichischer Staatsbürger geworden ist, gelten natürlich die österreichischen Regeln.

STANDARD: Was, wenn alle drei Eheleute österreichische Staatsbürger werden?

Posch: Ich glaube nicht, dass das ein Hindernis wäre. Alle müssen ja einen Eid auf die Republik ablegen. In einem Fall hatten zum Beispiel Gerichte eine Scheidung anerkannt, dann hatte sich die Frau an den OGH gewandt und obsiegt. In der Zwischenzeit hatte der Mann nochmals geheiratet. Diese Doppelehe wurde dann rechtlich toleriert. Aber grundsätzlich: Wenn ein Mann nach dem Koran die Möglichkeit hat, bis zu vier Frauen zu heiraten, ist das hierzulande ohne Zweifel ein kollisionsrechtliches Problem. Die Verstoßung und die polygame Ehe sind die zwei problematischsten Materien im internationalen Privatrecht. Leider werden diese Themen von rechtsstehenden Politikern hochgespielt.

STANDARD: "Kollisionsrechtliche" Probleme sehen Sie also in erster Linie beim Privatrecht?

Posch: Ich beschränke mich auf privates Recht. Was öffentliches Recht anbelangt: Da gibt es eine Fülle von Problemzonen, die in Österreich kaum behandelt sind. Stichwort: muslimisches Kopftuch in der Schule, koedukativer Schwimm- und Sportunterricht oder muslimisches Bestattungswesen. Es geht um die zentrale Frage der Unterscheidung zwischen staatlichen Normen und den Anordnungen der Religion. Ein Jurist muss das kritisch sehen. Dahinter steht natürlich die Grundfrage: Dürfen Religionen kritisiert werden? Man muss die Religionsfreiheit anerkennen, aber wenn die Religion für sich den Anspruch erhebt, auch eine staatliche Ordnung zu sein, dann ist Kritik zulässig.

STANDARD: Sie erwähnten, dass Ihnen in Ihren Vorlesungen von Studierenden vorgeworfen wird, dass sie als "Ungläubiger" nicht das Recht hätten, über die Scharia zu dozieren. Wie gehen Sie mit einer solchen Kritik um?

Posch: Es gab Fälle, wo Studierende mit sehr fundamentalistischen Sichtweisen darauf pochten, dass nur arabische Originalfassungen des Koran identisch seien. Und es wurde infrage gestellt, ob Ungläubige überhaupt die Berechtigung haben, den Islam zu interpretieren. Diese Debatten nehmen an Intensität durchaus zu. (Walter Müller, STANDARD-Printausgabe, 21./22.5.2011)