Bernd Schlacher sinniert auf dem Dach des Motto am Fluss, hoch über dem Donaukanal, über sein Verhältnis zu Politikern: "Na klar ist Strache ab und zu da. So lange niemand aus- länderfeindliche Parolen schreit - warum soll der nicht hier essen?"

Foto: DER STANDARD/Christian Fischer

Der Steirer Bernd Schlacher, erfolgreicher Betreiber des Wiener Szenebeisels Motto, analysiert die Lokalszene, ortet mangelnden Mut bei Stadtplanern und definiert seine Haltung zu Politikern.

Standard: Wir bitten unsere Interview-Partner immer, einen Ort auszusuchen, der für Sie persönlich für "Wien" steht. Was ist Wienerisch an Ihrem neuen Lokal Motto am Fluss? Könnte es dieses Restaurant nicht überall auf der Welt geben?

Schlacher: Jein – in Purbach oder Zwettl könnte es nicht stehen. Aber es könnte auch in London, Paris oder Barcelona sein. Wenn man sich allerdings die Umgebung anschaut, die ist schon sehr wienerisch. Zum Beispiel der Gemeindebau gegenüber: Etwas Wienerischeres gibt es nicht. Viele Leute meinen, der brauche einen frischen Anstrich, aber das sehe ich nicht so. Warum von außen verschönern – drinnen bleibt's ja ein Gemeindebau, und das ist auch okay so. Das ist so ein Nachkriegsbau, daneben die modernen Bauten an der Taborstraße, das zeigt einen guten Gegensatz.

Standard: Hätten Sie's nicht gerne modern rundherum?

Schlacher: Nicht unbedingt. Ich hätte gerne insgesamt mehr Mut beim Bauen. Wien ist da oft sehr zögerlich, die Politiker trauen sich oft nicht, wenn man etwas Spektakuläres machen will. Wenn man sich London oder Barcelona ansieht, was da passiert – von Asien gar nicht zu reden. In Wien achtet man vor allem darauf, dass nur ja keine Wählerstimmen verlorengehen, darum traut man sich immer nur ein bissl was, aber nichts ganz Mutiges.

Standard: In den letzten Jahren ist relativ viel passiert am Donaukanal, es gibt viele Lokale, Stadtstrände etc. Reicht das aus?

Schlacher: Alles wunderbar. Aus meiner Sicht könnte der Donaukanal noch viel mehr vertragen.

Standard: Nämlich was?

Schlacher: Der Donaukanal braucht zunächst einmal eine Prachttreppe zum Wasser hinunter mit einer Plattform, auf der die Leute sitzen können. Dann würde ich mir noch einen echten Markt wünschen, Bio-Obst, Gemüse, damit die Leute herkommen zum Einkaufen. Platz wäre ja genug. Die Strände sind super, man muss die Leute von der Hermann-Strandbar loben, die waren Vorreiter. Vorher ist ja kein Mensch runter zum Kanal gestiegen, alles war ein bisserl abgefuckt.

Standard: Sind die Wiener kulinarisch konservativ?

Schlacher: Das sehe ich überhaupt nicht so. Wiener sind beim Essen sehr offen. Die Römer sind da beispielsweise ganz anders. In Rom findet man kaum Lokale mit moderner Küche, dort ist man extrem konservativ und auch sehr stolz auf seine traditionellen Speisen. Dort findet man nur wenige Asiaten. Im Vergleich dazu ist der Wiener höchst aufgeschlossen – im Gegensatz zu den Gastro-Kritikern.

Standard: Was meinen Sie damit?

Schlacher: Unsere Gastro-Kritiker würdigen zumeist nur die gehobene und auch preislich sehr hochwertige Küche. Zum Teil eine Chichi-Küche, die sich junge Leute gar nicht leisten können. Alles andere wird entweder meist ignoriert oder zum Teil sogar heruntergemacht. Ein Studentenlokal mit guter, sättigender Küche hat aber genauso seine Berechtigung. Diese Lokale gehen zum Teil seit Jahrzehnten hervorragend, von den Chichi-Lokalen überleben dagegen nur wenige. Ich würde mir von den Gastro-Kritikern wünschen, dass sie diesen Aspekt mehr berücksichtigen und bewerten – und auch den Nachhaltigkeitsaspekt. Ob ein Wirt darauf schaut, dass er qualitativ hochwertige, biologische Produkte einkauft. Denn in dieser Hinsicht ist der Wiener leider sehr konservativ: Er will viel auf dem Teller haben, und es soll billig sein.

Standard: Wie schätzen Sie Wien als Stadt ein?

Schlacher: Als ich vor 30 Jahren herkam, waren wir ziemlich verschnarcht, und eigentlich schon Ostblock. In der Zwischenzeit hat sich schon sehr viel getan. Dazu kommt noch ein hohes Wohlstandslevel, eine sehr gute Wasserqualität und ein dichtes soziales Netz. Letzteres macht junge Leute ein wenig gemütlich. Wir haben damals schon noch mehr gewagt, etwa beim U4 oder im Technischen Museum, wir haben etwas auf die Beine gestellt.

Standard: Das soziale Netz war damals komfortabler als heute.

Schlacher: Stimmt auch wieder. Vielleicht ist es einfach eine andere Generation. Oder es liegt daran, dass insgesamt mehr Geld da ist. Die Eltern der heutigen Jungen, die in meinem Alter sind, zählen ja schon zur Erbengeneration und haben selbst aus wenig sehr viel gemacht. Da war viel Power dahinter – und das fehlt mir heute ein bisschen, vor allem im Vergleich zu Berlin.

Standard: Ein Beispiel?

Schlacher: In Berlin haben Sie eine Auswahl an dutzenden verschiedenen Klubs, die von spätabends bis in der Früh offen haben. In Wien kriegst du, sobald sich drei Anrainer aufregen, keine Musikgenehmigung. Das nervt mich. Der Tourismusdirektor trommelt, wie modern und hip die Stadt ist, und das stimmt so nicht ganz. Wir raufen um Musikgenehmigungen. Aus welcher hippen Stadt hören Sie so etwas?

Standard: Wie verstehen Sie sich mit Ursula Stenzel, der ÖVP-Bezirksvorsteherin im ersten Bezirk?

Schlacher: Die habe ich im Zuge des Genehmigungsverfahrens für das Motto am Fluss kennengelernt. War schwierig am Anfang. Dann war sie hier, und ich fand sie sehr witzig. Ich bin natürlich viel liberaler als sie und würde den ersten Bezirk anders leiten. Ich fände es gut, wenn Frau Stenzel jungen Leuten mehr Raum gäbe, sonst verkommt der Bezirk zum Pensionistenheim. Vielleicht wäre die Lösung, dass es ein Zentrum gibt, wo wenige Anrainer sind und wo die Post abgehen kann. Das gehört zur Jugendkultur dazu. Vielleicht würde sich die Rinderhalle im ehemaligen Schlachthof St. Marx eignen.

Standard: Es wird erzählt, Sie hätten das Motto am Fluss bekommen, weil Sie sehr gut ins Wiener Rathaus vernetzt sind – namentlich befreundet mit Vizebürgermeisterin Renate Brauner. Stimmt das?

Schlacher: Das ist ein vollkommener Schas. Ich kenne Renate seit Jahren, sie ist aus dem fünften Bezirk und liebt das Motto. So hat sich eine Freundschaft entwickelt. Aber: Ich habe die letzten 20 Jahre gezeigt, dass ich wirtschaftlich gut arbeiten kann, ich habe mir einen Namen in der Gastronomie gemacht – ohne irgendwelche potenten Freunde. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte man mir das Motto am Fluss nicht zugesprochen. Es hat eine Ausschreibung gegeben, die ich gewonnen habe, weil ich ein tolles Konzept hatte. Finden Sie einmal einen Gastronomen, der 2,6 Millionen Euro in ein gepachtetes Lokal investiert. Das ist sauviel Geld.

Standard: Solche Gerüchte werden aber auch dadurch genährt, dass Sie im Wahlkampf ein Fest für Häupl ausrichteten oder SPÖ-Pressekonferenzen hier stattfinden.

Schlacher: Na ja, das hier gehört ja auch der Wien-Holding. Und außerdem hat die SPÖ ganz normal bezahlt, es gibt Rechnungen.

Standard: Sind alle Politiker bei Ihnen willkommen?

Schlacher: Erst einmal ist das ein öffentliches Lokal, wir sind ja kein Verein. Na klar ist Strache ab und zu da, warum auch nicht. Ich kenne diese Diskussionen aus den 90er-Jahren, als der Haider ein paar Mal im Motto war. Viele Gäste sagten damals wie heute: "Hau eahm auße" – aber wie sollte man so etwas überhaupt tun? Es sei denn, er schreit Wahlkampfparolen. Das ginge nicht, da bin ich extrem heikel, vor allem, was das Ausländerthema betrifft. Bei mir arbeiten viele Ausländer, und die haben es verdammt schwer in Österreich. Die gehören unterstützt. Aber so lange niemand ausländerfeindliche Parolen schreit – warum soll der nicht hier essen?

Standard: Was erwarten Sie von Rot-Grün in Wien?

Schlacher: Ich hoffe, dass die Stadt ökologischer wird. Ich wollte ja dringend eine Niedrigenergielösung beim Motto am Fluss, aber da hieß es dann: zu spät, zu teuer. Schade. Ich hoffe, dass sich die Wiener Grünen bei Radwegen durchsetzen und bei der Begrünung der Stadt. Darum muss es auch ein bisschen Kampf geben.

Standard: Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Schlacher: In Berlin.

Standard: Wann ziehen Sie hin?

Schlacher: Am liebsten heute! Im Ernst: Ich habe so viel gearbeitet in den letzten Jahren, ich glaube, ich geb einmal weniger Gas. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 21./22. Mai 2011)