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Nach dem Beben: Der türkische Umweltminister Eroglu stellt sich in Simav Fragen von Journalisten.

Foto: APA/EPA/SONER KILINC/ANATOLIAN AGENCY TURKEY OUT

Istanbul - 5,9 Punkte auf der Richterskala sind auch für die erdbebengewohnte Türkei ein erheblicher Vorfall. Zwei Menschen starben in der Nacht auf Freitag, als die Gebäude in der Provinz Kütahya im Nordwesten des Landes zu schwanken begannen und Einwohner in Panik auf die Straßen liefen. Ein Mann verletzte sich beim Sprung aus seiner Wohnung tödlich, eine ältere Frau erlag einem Herzinfarkt.

Das Epizentrum des Bebens, das auch in Istanbul zu spüren war, lag in Simav, einer Stadt mit 100.000 Einwohnern in der Provinz Kütahya. Dieselbe Provinz macht seit zwei Wochen wegen eines Unfalls in einer Silbermine von sich reden. Am 7. Mai brachen dort zwei Dämme von Auffangbecken. 15 Millionen Kubikmeter hochgiftiger Zyanidlauge sollen nur noch von einem dritten Damm gehalten werden, der selbst seither ins Rutschen gekommen ist und durch Aufschüttungen gestützt wird.

Der Bürgermeister einer nahegelegenen Kleinstadt wiegelte am Tag nach dem Beben ab. "Alles ist friedlich, das Leben nimmt seinen Lauf", sagte Kemal Tunc, vom Damm gehe keine Gefahr aus, die Medien hätten das übertrieben.

Tatsächlich gibt es widersprüchliche Angaben über das Ausmaß der Katastrophe bei dem Bergbauunternehmen Eti Gümüs. Ein Ingenieursverband gab an, Proben hätten gezeigt, dass das Zyanid innerhalb von fünf Tagen nach dem Bruch des ersten Dammes schon 4,8 Kilometer weit in das Grundwasser des nächsten Dorfs gewandert sei. Andere Ingenieure erklärten wiederum, die Dammanlage sei insgesamt stabil. Die Silberfabrik hat die Produktion vorübergehend ausgesetzt. Bei einem ähnlichen Vorfall in einem Aluminiumwerk in Ungarn im vergangenen Oktober hatte sich eine riesige Lawine von Giftschlamm in die Donau ergossen und mehrere Dörfer zerstört.

In der Provinz Kütahya wurden am Freitag noch knapp 50 Nachbeben registriert. Umweltminister Veysel Eroglu wies Fragen nach neuen Schäden an den Zyanid-Dämmen energisch zurück. Das Areal sei nach dem Beben noch einmal überprüft worden - "wir sagen, es gibt keine Gefahr".

Drei Wochen vor den Parlamentswahlen will die regierende konservativ-muslimische AKP ihren vorausgesagten neuerlichen Sieg nicht durch eine Umweltdebatte und Vorwürfe der Vertuschung gefährden. Am Parteigebäude der AKP in Ankara trafen am Freitag Umweltschützer aus allen Teilen der Türkei ein. Sie waren 40 Tage lang marschiert, um gegen den massiven Bau von Wasserkraftwerken und geplante Kernkraftwerke zu protestieren. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 21./22. Mai 2011)