"Als ein Zeitungsfotograf hier war, habe ich das Gesicht von mir in die Kamera gehalten, das ich ihm erlaubte zu fotografieren", sagt Friedl Kubelka bzw. Friedl vom Gröller. Von schmeichelnden Bildern ihrer selbst hält die Künstlerin nichts.

 

Foto: Reinhard Haider

Friedl Kubelka im Jahr 1975. Das Lentos zeigt die außergewöhnliche Arbeit der Fotografin und Filmerin bis 10. Juli.

Foto: Maria Ziegelböck

Ihre Filme macht sie unter dem Namen Friedl vom Gröller. Mit Anne Katrin Feßler sprach Friedl Kubelka über ihre Faszination für Gesichter.

Linz - Ihr künstlerisches Schaffen begann sie als Friedl Kubelka - als "die vom Kubelka", wie Frauen in den noch machistisch geprägten Dekaden ihren Männern zugeordnet wurden. So ist eine Prise Ironie dabei, wenn sich die Fotografin Kubelka heute als Filmkünstlerin nach ihrem zweiten Mann Friedl "vom" Gröller nennt.

In beiden Medien richtet Kubelka ihren Fokus auf das Porträt. Die 1946 in London geborene und in Paris und Wien lebende Künstlerin sucht innere Vorgänge zu dokumentieren, in Gesichtern Gefühle ablesbar zu machen. Zu diesem Zweck verlässt sie die Position hinter dem starren Kameraauge und interagiert mit dem Modell. Ihr Zweifel am Einzelbild führte in der Fotografie zu vielteiligen Porträts wie etwa dem Lebensporträt ihrer Tochter: Jede Woche ein Foto, siebzehneinhalb Jahre lang.

Selten gewährt sie öffentliche Blicke auf ihr Werk. Mit den Fotografien offenbart sie nicht nur ihr Können: "Das Zeigen ist eine erotische Aktivität. Es ist ähnlich freud- und leidvoll wie die Liebe".

Größtmögliche künstlerische Freiheit heißt für sie, frei von Produktionszwang und Begehrlichkeiten der Sammler zu sein. So verkauft die ausgebildete Psychotherapeutin und Leiterin einer Fotografie- und Filmschule selten eine Arbeit.

Das Lentos gibt einen Einblick in das Wesen ihrer Arbeit. Der Schwerpunkt liegt auf dem Filmischen, daher der Titel Friedl vom Gröller. Paris +33 621 24 11 37.

Standard: Was interessiert Sie am Filmen?

Kubelka: Indirekt nahm das Fernsehen viel Einfluss. Ich habe nie ferngesehen, weil ich nie das sah, was mich im Leben interessiert. Dem menschlichen Gesicht gehört mein Interesse. Einzig wenn in Sportsendungen ein Athlet verlor, sich wehtat oder siegte, habe ich das gesehen, was mich interessiert: echte Emotion. Ebenfalls wichtig: Ein Student meines früheren Mannes Peter Kubelka hat einmal ein unbekanntes Mädchen gefilmt. Als er ihr in die Locken fasste, konnte man sehen, wie sich ihr Gesichtsausdruck änderte. Das beeindruckte mich, das wollte ich auch machen. Ich will ein Gefühl sehen und wie es entsteht.

Standard: Ist Ihr Misstrauen gegenüber dem Einzelbild der Grund, dass sie sich stärker dem Film zuwenden?

Kubelka: Die Stärke der Fotografie ist, ein Bild aus dem Zusammenhang herauszureißen und damit Konkretes auszusagen. Gleichzeitig bin ich überzeugt, dass jeder, der fotografiert, einen Schmerz verspürt. Cartier-Bresson sagte: "Das, was ich fotografiere, ist für mein Leben verloren." Andererseits ist Fotografie etwas Künstliches, weil sie die Zeit zerhackt. Wenn man sich aber so für den Menschen interessiert wie ich, dann ist man mit jeder Bewegung im Gesicht, sei es nur das Schlagen der Augenlider, glücklich.

Standard: Henri Cartier-Bresson sagte über den richtigen Augenblick beim Fotografieren: "Das Leben auf frischer Tat greifen." Darin steckt jedoch auch die größte Schwierigkeit ...

Kubelka: Als Fotografin habe ich gelernt, meinen Voyeurismus zu outen. Im Bruchteil einer Sekunde abzudrücken, dafür muss man mutig sein. Mutig, etwas zu bekennen. Nur dann kommt es zu dieser Intimität. Heute fotografiert man sich mit den Digitalkameras lieber tausendmal selber, ehe man jemanden fotografiert, der einem gefällt. Man hat nicht nur Angst vor der Ablehnung, sondern auch vor der Intimität, die entstehen kann und die vom eigenen Begehren aufgestachelt wird. Aber dieses Begehren soll sein. Ein Porträt ist nur dann interessant, wenn etwas sichtbar wird, was sonst nicht sichtbar ist.

Standard: Sie haben die Kamera einmal als Werkzeug zur Maskierung Ihres Begehrens bezeichnet. Inzwischen gestehen Sie sich den Voyeurismus aber auch ein. Ist die Kamera keine Maske mehr für Sie?

Kubelka: Maskieren und outen - es ist beides. Ich kann mich maskieren und muss trotzdem im richtigen Augenblick abdrücken, manchmal begleitet von verbalen Bestärkungen: "Jetzt ist es schön, bleib so". Man kennt das von Michelangelo Antonionis Blow up, wenn der Fotograf auf dem Model draufsitzt und es anfeuert. Bei mir geht es freilich subtiler zu. Aber es muss so etwas da sein, wenn man etwas herauslocken will. Die Psychoanalyse ist wichtig, weil sie das Voyeuristische nicht moralisch wertet. Man spürt das Voyeuristische, tritt irgendwie auf das Sprungbrett und macht es oder macht es nicht.

Standard: Das Entstehen der Emotion zu zeigen ist für Sie beim Filmen wesentlich.  La Bachante umkreist aber eine statische Skulptur. Ein Objekt ohne Emotion?

Kubelka: Nein, die Statue ist erstaunlich lebendig. Vor einem Jahr bin ich im Louvre um eine Figur gegangen und habe unterschiedlichste Bedeutungen entdeckt. Ich begann, in jedem Museum in Fünf-Zentimeter-Schritten um Skulpturen zu gehen und bemerkte, dass antike Bildhauer verschiedene Charaktere, sogar Geschlechtsidentitäten eingebaut haben. Um mir zu beweisen, dass es tatsächlich stimmt, habe ich das abgefilmt. Skulpturen sind lebendige Wesen wie wir, die alle Stimmungen in sich tragen. Nur wenn man sich die Zeit nimmt und um sie herumgeht, kann man das wieder herausschälen.

Standard: Warum haben sie mit dem Filmen 20 Jahre pausiert?

Kubelka: Ich habe durch meinen Exmann Peter Kubelka die Avantgardebewegung kennengelernt. Ich hatte keine Ahnung und außer den Filmen von Kenneth Anger und der Nouvelle Vague nichts gesehen. Ich bekam Hochachtung und dachte mir, wie kann ich so naiv die Kamera in die Hand nehmen. Da habe ich aufgehört.
(DER STANDARD, Printausgabe, 20.5.2011)