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Der Teufel trägt Euro: Ist das "Monster Kapitalismus" - so der Titel dieses Graffitos im Zentrum Athens - an allem schuld?

Foto: APA/EPA/Orestis Panagiotou

Warum der "Rettungsschirm" Griechenlands Probleme nur noch verschärft, Brüssels "Hörigkeit" gegenüber den Finanzmärkten ins Desaster führt und nur ein radikaler Politikwechsel das Schlimmste verhindern könnte.

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Vor genau einem Jahr erreichte die sogenannte Griechenlandkrise ihren Höhepunkt bzw. mit dem sogenannten "Rettungspaket" ihr geplantes Ende. Exakt ein Jahr später steht die EU vor der Tatsache, dass das Paket anscheinend weitaus nicht ausreicht, dass weitere zig Milliarden fehlen und somit die Krise nicht nur nicht gebannt ist, sondern einem neuen Höhepunkt zustrebt. Dazu kam allerdings auch noch das Irlanddesaster, wofür man den sogenannten Euro-Rettungsschirm konstruierte, unter welchen man gerade dabei ist, Portugal hineinzuzwingen. Und die Wetten darauf, wer als Nächstes drankommt - Spanien, Italien, oder vielleicht sogar Frankreich - laufen bereits.

Dass all die bisherigen "Rettungsmaßnahmen" keine Lösungen bringen würden, sondern die Situation in den betreffenden Ländern nur verschlimmern werden, war nüchternen Beobachtern von Anfang an klar (siehe auch meinen Kommentar an dieser Stelle am 16. 5. 2010). So senkte zwar beispielsweise die griechische Regierung mit den erzwungenen Auflagen die Neuverschuldung 2010 zwar von 15,4 auf 10,5 Prozent des BIP, dennoch (oder gerade deswegen) stieg die Gesamtverschuldung um weitere 20 Prozent auf 142 Prozent an. Worauf die Ratingagenturen die griechische Bonität gleich wieder um zwei Stufen auf Ramschniveau senkten. Gegen Portugal wird man nun mit dem gleichen Rezept vorgehen, allerdings werden die Auflagen allem Vernehmen nach von vornherein noch härter werden: Zum ersten Mal will man auch direkt in die Lohnpolitik eingreifen.

Die Gründe für das Nichtfunktionieren liegen auf der Hand: Kein Land kann sich aus einer Krise "heraussparen" . Die drakonischen Maßnahmen strafen die falschen, sie bringen die Realwirtschaft zum Absturz und lassen die eigentlichen Verursacher - die "Märkte" - ungeschoren davonkommen.

Anscheinend haben die Verantwortlichen Europas es sich zur Aufgabe gemacht, mit allen sozialen Errungenschaften, die es auszeichnet, aufzuräumen. Die Menschen sehen, dass der sogenannten Euro-Schutzschirm nur zu einer weiteren Verschlimmerung führt. Sie registrieren, dass der riesige Schuldenberg durch die Finanzkrise mit all ihren Folgen entstanden ist, sie sehen aber, dass nun jede Milliarde, die "die Märkte" , die Spekulationsgeschäfte der Banken als satte Gewinne einstreifen oder verspekulieren, aus dem "gewöhnlichen" Volk herausgepresst - und, wenn es sich nicht willig zeigt - herausgeprügelt wird. Und sie wissen letztlich auch genau, dass es den großen Profiteuren der Krise jetzt in einem zweiten Schlag darum geht, sich durch die erzwungenen Privatisierungsmaßnahmen möglichst viel öffentliches Eigentum unter den Nagel zu reißen.

Dies macht die Bevölkerung - zu Recht - wütend. Die Menschen fühlen sich von der Politik völlig verraten. Der Fall Griechenland gibt das Musterbeispiel dazu ab: Da wählen sie nach Jahren einer korrupten konservativen Regierungsepoche mit großer Mehrheit eine sozialistische Regierung, die mit dem Schlamassel der Vorgängerregierungen aufräumen will. Privatisierungspläne werden rückgängig gemacht, die Finanzlage des Staates durchforstet, die Menschen fassen wieder Vertrauen in die Politik. Dann kommen die weltweit aktiven Anlegerspekulanten auf die Idee, nach den USA Europa abzugrasen. Griechenland bietet sich da als Erstes an, und mit der nötigen Stimmungsmache von den faulen PIGS liefern sie Griechenland als erstes Schwein dem Schlachtmesser aus. Die junge Regierung wird in die Zange genommen, und sie muss nun die größten Sparpakete, die je nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa geschnürt wurden, auf sich nehmen. Wenn dann die gesammelte Schicht der Verlierer - von den Lastwagenfahrern über die Kaffeehausbesitzerinnen bis hin zu den Studenten, Pensionisten und arbeitslos Gewordenen aufbegehrt, fährt die Regierung mit schwerem Geschütz auf und regiert mit Notverordnungen. Selbst Mitglieder des deutschen Weisenrates warnen mittlerweile vor der bürgerkriegsähnlichen Situation in Athen. Ihre Politik setzen sie trotzdem fort, und "Europa" lobt die Anstrengungen der griechischen Regierung, weil sie am Sparkurs festhält und sich von den Protesten nicht irritieren lässt. Und wie zum Hohn lässt man die Zinsen für die Kredite weiter steigen.

Tatsächlich stehen wir am Beginn eines autoritären Europas. Die politische und wirtschaftliche Elite vollzieht unter dem Vorwand, Europa zu retten, einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Sie hat sich zu einem Regieren gegen die Mehrheit der Bevölkerung entschieden, zu einem Regieren mit Polizei, Notstandsverordnungen, und, wenn nötig, auch mit Militär. Ganze Volkswirtschaften werden unter Zwangsverwaltung gestellt. Es ist egal, welche Regierung die Portugiesen demnächst wählen werden - es wurde zu Beginn der Verhandlungen gleich klargestellt, dass die wirtschaftspolitischen Entscheidungen, die in diesen Tage getroffen werden, per Auflage umgesetzt werden müssen. Und in Griechenland plant man zur Verscherbelung des Staatssilbers sogar die Einschaltung einer "unabhängigen" Privatisierungsagentur.

Abgesehen davon, dass das ganze Schauspiel an sich unwürdig und ökonomisch dumm ist - das Ganze hat auch einen sehr hohen Preis: Die politische Rechte kann sich entspannt zurücklehnen, weil die etablierte Politik ihnen die schmutzige Arbeit besorgt. Die Zeit arbeitet für sie. Sie kann umso effektiver an ihrem eigentlichen Ziel arbeiten: an der Machtübernahme in Europa. Alle ernstzunehmenden Umfragen und Politologen weisen darauf hin, dass die extreme Rechte in absehbarer Zeit in einer Mehrzahl der EU-Länder mit bis zu 30 Prozent der Wählerstimmen rechnen kann. Und jeder Tag, an dem die derzeitige Politik die Bevölkerung mit diesen stümperhaften Sparprogrammen drangsaliert, treibt dieselbe noch weiter nach rechts.

Retten könnte uns nur noch ein radikaler Politikwechsel innerhalb der EU - also gleichsam ein Streik gegen jene Kräfte, die derzeit drauf und dran sind, die Grundlagen der Gemeinschaft zu ruinieren. Die Vorschläge für solch einen grundlegenden Kurswechsel liegen ja längst auf dem Tisch. Klar ist, dass es darum geht, die vielzitierten "Märkte" - die geballte Macht der Finanzindustrie - in die Schranken zu weisen und die "Polis" - das Gemeinsame, die Demokratie - zu retten. Andernfalls wird die wärmende Welt des wohlfahrtsstaatlichen Europa des vergangenen Jahrhunderts vor unseren Augen von der sogenannten Elite zu Grabe getragen. Die Gefahr eines sozial immer kälter und politisch immer autoritärer werdenden Europa ist akut, denn es regieren die Spekulanten und Ratingagenturen. Ein Meister der Verdrängung, wer dies nicht wahrhaben will. (Kommentar der anderen, Sepp Wall-Strasser, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.5.2011)