Zwei Stunden lang hatte sich eine spektakuläre Wende im Bochumer Wettskandal-Prozess abgezeichnet, doch in der Mittagspause bekamen Ante Sapina und seine Rechtsanwälte Angst vor der eigenen Courage. Mit der Rücknahme von drei überraschenden Anträgen, die die Schuldfrage in der Verhandlung über den größten Wettskandal der europäischen Fußball-Geschichte völlig neu aufgeworfen hätten, verhinderten Sapinas Anwälte offenbar eine erneute Inhaftierung ihres Mandanten und einen möglichen Marathon-Prozess. Doch so blieb nach einem turbulenten elften Verhandlungstag fast alles beim Alten - Sapina blieb auf freiem Fuß, und die Urteile können nun doch schon am Donnerstag fallen.

"Lassen Sie uns doch mal darüber sprechen, wer denn hier eigentlich getäuscht hat und wer denn eigentlich der Geschädigte ist", sagte Sapinas Rechtsanwalt Gottfried Reims zum Vorsitzenden Richter Wolfgang Mittrup, der die drei betreffenden Anträge mit sichtbarer Verärgerung entgegennahm. Er war davon ausgegangen, dass der umfassend geständige Sapina auch bis zur Urteilsverkündung kooperativ bleiben würde - eine Fehleinschätzung.

Die Sapina-Anwälte beantragten die Vorladung der Bosse eines Londoner Wettbüros, die Offenlegung aller die Firma betreffenden Akten durch die Staatsanwaltschaft und die Verlesung von Chat-Protokollen von Unterredungen zwischen Sapina und den Bossen des Wettbüros.

Der Hintergrund: Die Verteidigung meint beweisen zu können, dass die Londoner Unternehmer vollständig von Sapinas Betrügereien gewusst und durch eigene Wetten auf die manipulierten Spiele selbst davon profitiert haben. Die Meinung der Anwälte: Der Betrugstatbestand ist nicht mehr gegeben, da keine Täuschung und kein Vermögensschaden vorliegt.

Richter Mittrup und Staatsanwalt Andreas Bachmann reagierten erbost, weil ihrer Meinung nach die neue Sichtweise nicht mit Sapinas Geständnis in Einklang zu bringen ist. "Wir werden sehr genau prüfen, ob Herr Sapina mit diesen Anträgen von seinen bisher getätigten geständigen Einlassungen abrückt", sagte Mittrup. Der Vorsitzende Richter wäre durch einen Versuch der Sapina-Anwälte, die Haftstrafe zu drücken oder gar auf einen Freispruch hinzuwirken, selbst unter Druck geraten - schließlich hatte er dem vermeintlich vorbildlichen Angeklagten Sapina vor einem Monat aus der Untersuchungshaft entlassen und in den offenen Vollzug geschickt.

Man habe davon ausgehen können, sagte Mittrup, dass Sapina nach seinem Geständnis "eine Strafe hinnehmen" würde. Die Staatsanwaltschaft regte sofort an, Sapina wieder in Untersuchungshaft zu nehmen.

Doch dazu kam es nicht. In der 90-minütigen Mittagspause liefen die Telefone heiß. Nach einem Gespräch der anwesenden Sapina-Anwälte mit dem Hauptverteidiger Stefan Conen, der nicht im Gericht weilte, zogen sie ihre Anträge wohl auch unter dem Eindruck der offensichtlich unerwartet heftigen Reaktion des Gerichts zurück. Richter Mittrup meinte daraufhin: "Wir nehmen davon Abstand, dass der Haftbefehl wieder in Vollzug gesetzt wird."

Wären alle Wetten Sapinas mit dem Londoner Buchmacher, der nach Darstellung der Rechtsanwälte eher als eine Art Wettmakler für zwei große Wettanbieter in Malaysia fungiert und satte Provisionen kassiert, tatsächlich aus der Bewertung gefallen, wären nur noch relativ wenige Anklagepunkte übrig geblieben.

Im Jahr vor ihrer Festnahme hatte die Bande um die Angeklagten Sapina und Marijo C. allein bei der betreffenden Londoner Firma bei einem fast unglaublichen Umsatz von 32 Millionen Euro satte 3,5 Millionen Euro Reingewinn gemacht. Marijo C. schloss sich am Montag zunächst Sapinas Anträgen an und ließ diese gemeinsam mit seinem ehemaligen Kompagnon auch wieder fallen.

Damit hieß es am Ende: Viel Lärm um nichts. Die Prozesse gegen Sapina, Marijo C. und den Mitläufer Dragan M. wurden abgetrennt. Am Donnerstag ab 9.15 Uhr soll plädiert und möglicherweise auch geurteilt werden.

Sicherheitshalber wurde ein weiterer Sitzungstag am 26. Mai angesetzt. Mittrup: "Mal sehen, wie weit wir kommen." Das Verfahren gegen Deniz C., der am Montag in seinem Geständnis die gegen ihn erhobenen Vorwürfe im Grundsatz bestätigte, und gegen weitere Angeklagte wird erst am 6. Juni fortgesetzt. (sid)