Einigkeit beim Kampf gegen die Frühpension, Dissens beim Vertrauen in den Kapitalmarkt: IHS-Chef Felderer (rechts) verteidigt die private Altersvorsorge, Sozialminister Hundstorfer will ihr den Geldhahn zudrehen. "Ich bin dafür, die Förderung zu kürzen."

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"Wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Sonst haben wir alle miteinander ein Problem."

Rudolf Hundstorfer

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"Wenn keine Reform gelingt, müssen die Pensionen gekürzt werden. Und das wäre schrecklich."

Bernhard Felderer

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STANDARD: Wird ein durchschnittlicher Standard-Leser im Alter von 43 einmal eine Pension bekommen, von der er auch leben kann?

Hundstorfer: Ja, sicher. Davon bin ich zutiefst überzeugt.

Felderer: Diese Überzeugung teile ich nicht. Wenn sich die Politik nicht zu Reformen entschließen kann, was in den letzten Jahren leider häufig der Fall war, dann glaube ich nicht daran. Ein heute Vierzigjähriger wird zwar eine Pension bekommen, aber gleichzeitig harte Kürzungen hinnehmen müssen.

Hundstorfer: Natürlich ist klar: Wir müssen erst unsere Hausaufgaben machen. Sonst haben wir alle miteinander ein Problem.

Standard: Laut Prognose wird der Steuerzuschuss ins Pensionssystem von 2,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes bis 2045 um 22 Milliarden auf 6,2 Prozent steigen. Wie soll der Staat das bezahlen?

Hundstorfer: Da man muss schon das gesamte System sehen. Der Staat schießt ja nicht nur Geld in die Pensionsversicherung zu, sondern gibt derzeit auch knapp acht Milliarden Euro im Jahr für die Beamtenpensionen aus. Diese Kosten werden stark sinken, weil für neu eingestellte öffentliche Bediensteten das günstigere ASVG-Modell gilt. Alles zusammengerechnet stellt sich der Anstieg viel weniger dramatisch dar: Wir liegen jetzt bei 5,1 Prozent des BIP und werden auch in 40 Jahren unter sechs Prozent liegen.

Standard: Da unterschlagen Sie die jüngste, pessimistischere Prognose der Pensionskommission.

Hundstorfer: Dann wird der Aufwand eben ein bisschen höher sein. An der entscheidenden Herausforderung ändert ein Prozent auf oder ab nichts: Wir müssen alles daran setzen, ältere Menschen länger im Erwerbsleben zu halten. Wenn die Österreicher um ein Jahr später in Pension gehen, erspart sich der Staat eine Milliarde.

Felderer: Das ist tatsächlich die Königsstrategie. Nur sollte die Politik allmählich beginnen, diese in die Tat umzusetzen. Die Demografie läuft uns davon. Wir dürfen dieses Problem nicht weiter in die Zukunft verschieben.

Standard: Um wieviele Jahre sollten die Leute länger arbeiten?

Felderer: Laut unseren Simulationen müssen wir das Antrittsalter bis 2050 um fünf Jahre anheben. Dann wäre das Pensionsproblem gelöst. Eigentlich sind wir von einer Lösung nicht weit entfernt.

Hundstorfer: Meine Rechnung lautet: Alle zehn Jahre ein Jahr.

Standard: Reicht das denn? Die Lebenserwartung steigt pro Dekade um zwei bis drei Jahre.

Felderer: Das ist eine Minimumstrategie, die auf optimistischen Annahmen beruht. Mir scheint das etwas wenig zu sein, aber vielleicht kommt man wenigstens da auf einen grünen Zweig. Der internationale Vergleich ist eindeutig: Mit 59 Jahren bei Männern und 57 Jahren bei Frauen hat Österreich nach Luxemburg das niedrigste Pensionsalter der OECD-Staaten.

Standard: Sind die Österreicher fauler als andere Nationen?

Hundstorfer: Mit Faulheit hat das nichts zu tun. Mehrere Faktoren spielen da zusammen: gesundheitliche Probleme am Arbeitsplatz, die Praxis vieler Unternehmer, ihr Personal zum frühesten Termin in Pension zu schicken. Und es gibt Systemfehler, die wir nun beheben. Der Zulauf in die sogenannte Hacklerregelung ...

Standard: ... die Menschen mit vielen Beitragsjahren eine in der Regel abschlagsfreie Frühpension ermöglicht und nur zu einer Minderheit echte "Hackler" betrifft ...

Hundstorfer: ... wird sich dank unserer Eingriffe ab 2014 halbieren. Und es stimmt natürlich: Der Name dieser Langzeitversichertenregelung ist ein Schmäh.

Standard: Warum haben Gewerkschafter wie Sie die Hacklerregelung dann so hartnäckig verfochten?

Hundstorfer: Das war eben ein Kompromiss im Zuge der schwarz-blauen Pensionsreform. Und dann kam die berühmte Nacht des 24. September 2008 . ..

Felderer: ... ein Datum, das mir sehr in Erinnerung bleiben wird. Ein großer Tag des österreichischen Parlamentarismus ...

Hundstorfer: ... an dem der Nationalrat mit einstimmigsten Beschlüssen über alle Ideologiegrenzen hinweg beschlossen hat, den Zugang auszuweiten.

STANDARD: Die SPÖ hätte ja nicht mitstimmen müssen.

Hundstorfer: Wenn vor einer Wahl Regeln zur Debatte stehen, die Menschen erlauben, früher in Pension zu gehen, stimmen alle Parteien zu. Worüber sich dann alle gewundert haben: Dass es wirklich so viele Menschen gab, die diese Regelung nutzen konnten und wollten. Doch dieses Problem kriegen wir jetzt in den Griff. Viel mehr Sorge machen mir die Invaliditätspensionen, die das Antrittsalter entscheidend drücken. Pro Jahr stellen 70.000 Menschen Anträge auf eine Invaliditätspension. Das ist eine Horrorzahl.

Standard: 30.000 davon werden genehmigt, das ist ein Drittel aller neuen Pensionisten pro Jahr. Sind die Österreicher wirklich so krank?

Felderer: Nein. Mit Sicherheit ist nur der kleinere Teil dieser Gruppe tatsächlich arbeitsunfähig.

Hundstorfer: Dem widerspreche ich. Ehe eine Invalidität bestätigt wird, gibt es mehrere Gutachten.

Felderer: Dass man sich darauf nicht verlassen kann, lässt sich an Einzelfällen beobachten. Auch der Anstieg psychosomatischer Gründe deutet darauf hin. Invalidität wird als Mittel zur Frühpension genützt - auch von Unternehmen, um ältere Leute, die weniger leistungsfähig sind oder zu viel kosten, loszuwerden. Viele Arbeitnehmer werden in die Pension gedrängt, andere wiederum wünschen sich selbst nichts sehnlicher als mehr Freizeit. Diese Frühpensionskultur muss weg.

Hundstorfer: Wir wollen künftig früher hinschauen. Wenn sich abzeichnet, dass ein angeschlagener Arbeitnehmer den Job nicht mehr ausüben kann, muss es rechtzeitig Gegenmaßnahmen geben. Vor jedem Antrag auf Invaliditätspension muss eine Rehabilitation eingeleitet werden.

Standard: Geplant sind 2000 Rehabilitationsplätze im Endausbau. Genügt das bei 70.000 Anträgen?

Hundstorfer: Wir fangen jetzt einmal step by step an. Das ist ja ein bisher unbeschrittener Weg.

Felderer: Die Rehabilitationsmaßnahmen sind wichtig, aber sie reichen nicht. Ich plädiere für eine völlig neue Philosophie. Wer seine alte Tätigkeit nicht mehr schafft, soll nicht in der Frühpension landen, sondern auf jeden Fall am Arbeitsmarkt bleiben und in eine adäquate Beschäftigung weitervermittelt werden. In Dänemark gibt es dieses System - dort arbeiten die Männer bis 64.

Hundstorfer: In solchen Ländern gibt es dafür eine hohe Zahl an Krankenständen.

Standard: Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Regierung sollen die Pensionskosten um maximal 0,3 Prozent des BIPs dämpfen. Ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Felderer: Das ist ein Zehntel von dem, was wir brauchen würden.

Hundstorfer: Nicht wenn man, wie gesagt, die Einsparungen bei den Beamten einrechnet.

Standard: Diese verdanken wir der schwarz-blauen Pensionsreform. Jetzt können Sie's ja zugeben: So schlecht, wie die SPÖ damals behauptet hat, war diese nicht, oder?

Hundstorfer: Das eingeführte Pensionskonto für alle Gruppen ist an sich nicht schlecht. Eine Schwäche ist aber, dass es niemand wirklich erklären kann. Wenn Sie sich heute erkundigen, wie hoch einmal Ihre Pension ist, kriegen Sie eine philosophische Antwort.

Standard: Punkto Pensionen sitzt meistens die Regierung auf der Anklagebank. Drehen wir den Spieß einmal um. Herr Professor: Vor der Krise rieten Experten wie Sie zum Ausbau der privaten Pensionsvorsorge. Wurden die Leute da nicht in eine Pensionslotterie gelockt?

Felderer: Ich halte Risikostreuung nach wie vor für ideal. Das öffentliche System ist zwar sehr sicher, doch die Pensionen werden wegen der Demografie real kaum noch steigen. Aktienanlage bringt eine deutlich höhere Rendite. Natürlich es gibt ein Risiko. Aber die Kurse sind in den USA schon wieder auf dem Niveau vor der Krise, bei uns liegen sie bei 85 Prozent des Vorkrisenniveaus.

Standard: Wer im falschen Moment in Pension gehen muss, kommt aber zum Handkuss.

Felderer: Das kommt auf die Art der Vorsorge an. Wenn das Kapital in einem Pool vieler Anleger zusammengelegt wird, lassen sich Schwankungen ausgleichen.

Hundstorfer: Wenn es Fonds aufstellt, hilft die Erholung des Aktienmarktes nichts mehr. Es ist ein Faktum, dass die Vorsorgefonds ein Minus von bis zu 40 Prozent verbuchten. Mich ärgert, dass die Anbieter gerne das staatliche System als unfinanzierbar darstellen. Es soll die zweite Säule geben - aber ich bin dafür, die staatliche Förderung für die private Zukunftsvorsorge zu kürzen.

Standard: Die Bevölkerung im Alter über 65 wird sich bis 2060 beinahe verdoppeln. Kann die Politik gegen eine so riesige Gruppe überhaupt Reformen durchsetzen?

Hundstorfer: Sicher. Unterschätzen wir die Leute nicht. Es wird mühsam und kompliziert, die Menschen länger im Erwerbsleben zu halten. Aber die Masse hat kapiert, dass gewisse Spielregeln eingehalten werden müssen.

Felderer: Wenn es nicht gelingt, läuft alles darauf hinauf, dass die Pensionen gekürzt werden müssen. Und das wäre schrecklich. (Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 17.5.2011)