Therapeut und Coach Werner Berschneider.

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Sie sind souverän, erfolgreich, charmant und sehr leistungsfähig. Also die besten Voraussetzungen für Führungspositionen, wenn sie sich nicht auch für das Zentrum der Welt halten würden. "Führungskräfte mit narzisstischen Störungen sind eine unterschätzte Gefahr", sagt Werner Berschneider, Logotherapeut, Coach und Buchautor.

Denn wer seinen eigenen "Größenwahn" verfolge, schade in den meisten Fällen nachhaltig dem Unternehmen, ergänzt er. An den Schalthebeln der Macht in Wirtschaft und Politik gibt es viele, die sich nicht am Sinn ihrer Aufgabe orientieren, sondern selbstverliebt, arrogant, aggressiv und größenwahnsinnig handeln. Als Beispiele für solche Tendenzen nennt Berschneider unter anderem Berlusconi oder Gaddafi, aber auch die Manager von Tepco und BP.

Coolness, Arroganz und Verletzungen

"Eine gesunde narzisstische Ausprägung hat hoffentlich jeder", ergänzt er. Denn dabei gehe es nicht um eine Selbstverliebtheit, sondern um Selbstliebe, ähnlich wie in einer partnerschaftlichen Beziehung. Ein stark ausgeprägter Narzissmus sei unter anderem dadurch erkennbar, das diesen Personen ihr äußeres Erscheinungsbild besonders wichtig ist und sie sehr stark zur Selbstdarstellung neigen. "Krankhaft sind narzisstische Störungen, wenn Personen nach ständiger Bewunderung verlangen, sie ihre eigene Wichtigkeit hervorheben und bei alltäglichen Leistungen eine Sonderbehandlung brauchen", erklärt Berschneider.

Unsere Gesellschaft unterstütze regelrecht das Bild des Siegers, welches aber kein menschliches Maß sei. "Narzissten werden ja auch heimlich bewundert, weil sie etwas ausleben, was sich der Großteil der Gesellschaft nicht traut", sagt Berschneider.

Narzisstische Prägungen können aber nicht nur dem Unternehmenserfolg schaden. "Wird Narzissmus zu stark ausgelebt, leidet vor allem auch die Umgebung", sagt Berschneider. Denn es sei nicht leicht, mit der Coolness, der Arroganz und auch den Verletzungen umzugehen. Unberechtigte Bewunderung würde diese Neigung jedenfalls nur weiter unterstützen. Häufig stecke hinter der souveränen Fassade jede Menge an Gescheitertem. Wenn Mitarbeiter das in ihre Beurteilung einfließen lassen, entwickeln sie weniger Hassgefühle dem anderen gegenüber.

Verlust der eigenen Grandiosität

Aber auch der Narzisst ist stark gefährdet. Mit fortschreitendem Alter seien auch für ihn Einschränkungen unaufhaltsam, die Vergesslichkeit nehme zu, die Leistungsfähigkeit werde geringer. Um den Verlust der eigenen Grandiosität zu bewältigen, gebe es, so Berschneider, drei Verhaltensmuster: erstens der völlige Rückzug, zweitens das Aufrechterhalten durch ein Zerrbild der eigenen Grandiosität - ein Beispiel dafür sei der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-il - oder als letzte Konsequenz der Suizid.

"Die einzig echte Chance, bevor dieses Schicksal auf sie zukommt, ist, dem Leben einen alterskonformen Sinn zu geben", sagt Berschneider. Krankhafter Narzissmus sei kaum therapierbar, weil das ja ein Zugeständnis an das eigene Scheitern wäre, und genau damit hätten Narzissten ein großes Problem. (Gudrun Ostermann/DER STANDARD, Printausgabe, 14./15.5.2011)