Wien/Wiener Neustadt - Der Verein "die möwe" und ein Wiener Rechtsanwalt wollen den Fall des 46-jährigen einschlägig vorbestraften Wiener Neustädters, welcher der Produktion von Kinderpornos verdächtig ist, zum Anlass nehmen, auch über "Fehl- bzw. Minderleistungen" der Justiz zu informieren. Für kommende Woche sei eine entsprechende Veranstaltung vorgesehen, sagte Hedwig Wölfl, fachliche Leiterin der "möwe"-Kinderschutzzentren, am Freitag. Es bestehe "Handlungsbedarf", es gelte "Lehren aus dem Fall" zu ziehen und es gehe um "Denkanstöße".

Anwalt Arno Pajek bestätigte indes einen "Kurier"-Bericht (Freitag-Ausgabe), dass in dem aktuellen Fall laut einem im Jänner vorgelegten Gutachten eine neurologische Abklärung unter stationären Bedingungen vorgenommen werden sollte. Der Jurist hatte das Verfahren gegen den Wiener Neustädter, dessen Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs im Juli 2009 rechtskräftig geworden war, als Prozessbegleiter - Vertreter für zwei Opfer im "möwe"-Auftrag - verfolgt.

"Die Haare aufgestellt" habe es ihm, als für die Haftunfähigkeit des Niederösterreichers u.a. Störungen in "Koordination, Bewegungsablauf, Stand- und Gangsicherheit" genannt wurden. Schon seit November 2010 sei nämlich bekanntgewesen, dass der Mann "auf einem Rennrad, im Renndress und mit hoher Geschwindigkeit" durch Wiener Neustadt fahre. Auf einen diesbezüglichen Schriftsatz an das dortige Landesgericht mit dem Begehren einer stationären Untersuchung des 46-Jährigen habe die Antwort gelautet, dass eine solche "nicht angebracht" sei.

"Justiz überfordert"

Was den Wiener Neustädter und dessen Haftunfähigkeit angehe, sei immer wieder der Stand der Dinge nachgefragt worden, betonte Pajek. "Wir sind dahinter gewesen", aber die Rechte im Verfahren seien eben eingeschränkt. Der Jurist hielt auch fest, dass die "Justiz überfordert" sei - auch, weil sie "tatsächlich an Personalmangel" leide.

Der Fall des Wiener Neustädters erregt vor allem deshalb so viel Aufsehen, weil sich der 46-Jährige trotz seiner Verurteilung wegen Haftunfähigkeit auf freiem Fuß befand und verdächtig ist, sich wieder in einschlägiger Weise betätigt zu haben. Der Gerichtspsychiater hatte dem Verurteilten eine "organisch bedingte Persönlichkeitsstörung" attestiert. Ein inzwischen in Auftrag gegebenes neues Gutachten soll diesen Befund überprüfen. Der 46-Jährige sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Laut dem Sprecher des Wiener Neustädter Landesgerichts, Hans Barwitzius, spielt hier die Haftfähigkeit keine Rolle.

302 Verurteilte wegen Vollzugsuntauglichkeit aus Haft entlassen

In Österreich gab es mit Stand 1. Mai 302 Verurteilte, die wegen Vollzugsuntauglichkeit vorzeitig aus der Strafhaft entlassen worden waren. Diese Statistik stammt aus dem Justizministerium. Zahlen über jene, die eine Haft wegen Vollzugsuntauglichkeit gar nicht erst angetreten haben, werden laut Sektionschef Christian Pilnacek nicht zentral gesammelt. Der Hauptgrund für Vollzugsuntauglichkeit sind schwere Erkrankungen, darunter Aids im Endstadium, Herzerkrankungen oder Multiple Sklerose.

Bei Vollzugsuntauglichkeit können die Betroffenen die Haftauflagen nicht erfüllen und werden deshalb entlassen, erklärte Pilnacek. So gesehen sei es fraglich, ob zum Beispiel eine Fußfessel anstelle der Haft etwas bringen könnte. Diese Maßnahme sei erstens schwer überwachbar (Aufenthalt an einem bestimmten Ort), zweitens könne ein Verstoß nicht zum Beispiel mit einer Haft sanktioniert werden. (APA)