"Ich hoffe sehr, dass Minister Töchterle seine Chance nutzt."

derStandard.at/Pumberger

"Was ist mit einem indischen Forscher, der einen Turban trägt und in Wien Straßenbahn fährt? Man muss das offen aussprechen. Wir haben Probleme mit dem Alltagsfaschismus."

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"In Deutschland haben bestimmte außeruniversitäre Institutionen die vertragliche Garantie, dass ihr Budget jährlich um fünf Prozent erhöht wird. Da kommen dir als Österreicher die Tränen, wenn du so etwas hörst."

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Wenn die Uni-Budgets nicht aufgestockt werden, führt die von der Regierung geplante Studienplatzfinanzierung zu Zugangsbeschränkungen, glaubt Alexander Van der Bellen. In seiner neuen Rolle als Uni-Sonderbauftragter der Stadt Wien will er mehr Transparenz in die Forschungsförderung bringen und die Internationalität fördern. Weshalb er hofft, dass Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle "seine Chance nutzt" und warum er sich eine bundespolitische Aufgabe für die ÖH-Vorsitzende Sigrid Maurer gut vorstellen kann, erklärt Van der Bellen im derStandard.at-Interview mit Lisa Aigner und Sebastian Pumberger.

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derStandard.at: Sie waren selbst lange an einer Universität tätig. Inwiefern haben sich Österreichs Unis seit ihrem Einstieg in die Politik verändert?

Van der Bellen: Ich möchte noch weiter zurückgehen. Als ich in den 60er-Jahren in Innsbruck studiert habe, waren die Verhältnisse katastrophal. Das sitzt noch wie ein Schock in mir. Im ersten Semester waren wir im Seminar 250 Leute. Die Verhältnisse waren unzumutbar, diejenigen die das Studium ernst genommen haben, waren Autodidakten. In den 70er- und 80er-Jahren ist dann vieles besser geworden. An der Universität Wien war es für mich bei den Volkswirten ein Vergnügen. Mittlerweile erleben wir einen Prozess zurück, vor allem in den Massenfächern. Das beunruhigt mich extrem. Das ist primär eine Geldfrage, aber nicht nur.

derStandard.at: Was sind abseits der Finanzen Gründe?

Van der Bellen: Das war ein bisschen voreilig. Ich möchte nicht von der Kernfrage ablenken, das ist die budgetäre Lage. Ein Rektor einer Wiener Universität hat mir gesagt, wenn es so bleibt, wie vorgesehen, dann sind sie spätestens 2014 zahlungsunfähig. Was ist dann? Das weiß niemand. Es gibt ein Zauberwort dafür, ich bin gespannt wie sich Minister Töchterle da verhält, das ist die Studienplatzfinanzierung. Das klingt gut, birgt aber enormen Sprengstoff. Nehmen wir das Beispiel Wirtschaftsuniversität Wien. Man wird gewisse Normvorstellungen haben, was ein Student kostet. Dann wird sich herausstellen, dass entweder das Budget der WU deutlich erhöht werden muss, oder die Zahl der Studierenden reduziert wird. Das ist Studienplatzfinanzierung.

derStandard.at: Sind das nicht auch eine Art von Zugangsbeschränkungen?

Van der Bellen: Das muss nicht sein, wenn das Budget mitgeht. Wenn das Budget konstant bleibt, dann kann das nur heißen, dass die Bundesregierung Zugangsbeschränkungen einplant. Oder wir wurschteln weiter so dahin, bis das Konzept der Studienplatzfinanzierung in irgendeiner Schublade verschwindet. Das wäre die österreichische Lösung, die nicht unwahrscheinlich ist.

derStandard.at: Glauben Sie, dass die SPÖ bei Zugangsbeschränkungen zustimmen wird?

Van der Bellen: Nein, ich hoffe nicht. Irgendwann muss man sich schon entscheiden, wie ernst man es mit den selbstgesteckten Zielen meint. Diese Ziele sind: Österreich braucht mehr Menschen mit tertiärem Bildungsabschluss. Zweitens, das können sie in vielen Reden nachlesen, bekennt sich Österreich zum Ziel, zwei Prozent des BIP für den tertiären Sektor auszugeben. Das ist offizielles EU-Ziel bis 2020. Wo stehen wir jetzt? Bei 1,3 bis 1,4 Prozent. Das klingt zwar sehr nahe, in Euro ausgedrückt sind das aber zwei Milliarden pro Jahr. Da muss man auf der Stelle anfangen, die Budgets zu erhöhen. Weil sonst sind wir 2050 noch nicht dort.

Ich hoffe sehr, dass Minister Töchterle seine Chance nutzt. Er kennt sich aus, er war Rektor einer relativ großen Universität, die ÖVP wird ihn vor 2013 nicht loswerden können und er wird angesichts seines Alters nicht in der ÖVP Karriere machen wollen. Das sind gute Ausgangspositionen, um aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen. Sein Naturell ist halt sehr besonnen. Diesem Typus bin ich nicht so unähnlich, aber hin und wieder muss man auch auf den Tisch hauen. Das hoffe und erwarte ich mir.

derStandard.at: Sind die Hochschulen vielleicht nur deswegen so unterfinanziert, weil es mit Universitäten und Studierenden keine Wahlen zu gewinnen gibt?

Van der Bellen: Das wäre wirklich eine blöde Ausgangshypothese, wenn eine politische Partei so etwas glaubt. Ich möchte die Ursache des Übels nicht plötzlich auf die Bevölkerung schieben. In Deutschland hat man tausende Gründe mit der Bundesregierung unzufrieden zu sein, aber bei Wissenschaft und Forschung sparen sie nicht. Ich habe die Manager des Wissenschaftszentrums Berlin gefragt, wie sicher sie sich sind, dass sie das große Sparen in der Folge der Wirtschaftskrise überleben. Sie waren ganz verblüfft ob dieser Frage. In Deutschland haben bestimmte außeruniversitäre Institutionen die vertragliche Garantie, dass ihr Budget jährlich um fünf Prozent erhöht wird. Da kommen dir als Österreicher die Tränen, wenn du so etwas hörst. Der schwarze Peter liegt bei der Bundesregierung und nirgends sonst.

derStandard.at: Was hat das für einen Mehrwert, dass Sie die Funktion des Uni-Beauftragten in Wien ausüben?

Van der Bellen: Erstens nehme ich der Stadt Wien Arbeit ab, bei Terminen und Besprechungen. Wenn ich es nicht machen würde, müsste es jemand anderer machen. Ich glaube es ist ganz gut, dass sie personelle Verstärkung erfahren, weil sie haben genug zu tun. Wenn wir das Ziel haben, zur Spitze zu gehören, dann muss die Forschung international sein. Gibt es Barrieren, die diese Mobilität von ForscherInnen behindert? Ich glaube schon, wir gehen der Frage nach.

derStandard.at: Haben Sie schon erste Eindrücke, warum Forscher nicht nach Wien kommen, sondern lieber woanders hin gehen?

Van der Bellen: Mein vorläufiger Eindruck - der kann sich bestätigen oder nicht - ist, dass wir bei den Forschern selten formale Probleme wie Aufenthalts- oder Arbeitsbewilligung haben, möglicherweise aber bei den Angehörigen. Auf der informellen Ebene sind die Probleme größer. Was ist mit einem indischen Forscher, der einen Turban trägt und in Wien Straßenbahn fährt? Man muss das offen aussprechen. Wir haben Probleme mit dem Alltagsfaschismus. Beeinträchtigt das nicht auf die Dauer den Forschungsstandort Wien und damit die wirtschaftlichen Perspektiven? Das sollen mir die Kerle von rechts außen einmal erklären, dass das keinen Einfluss hat. Die zweite Ebene sind die Studierenden. Was ist, wenn ein begabter Japaner auf der Kunstuni einen Studienplatz hat? Welche Hürden muss er überwinden, damit er rechtzeitig das richtige Visum hat? Da hakt es ganz erheblich.

derStandard.at: Was haben Sie in den letzten Monaten gemacht? Medial konnte man von Ihnen in Ihrer Funktion als Beauftragter für die Wiener Unis wenig hören.

Van der Bellen: Nicht, dass Sie glauben, es passiert nichts, nur weil Sie es nicht registrieren. In diesen dutzenden, wenn nicht hundert Gesprächen habe ich mich vorgestellt, war ich eine Klagemauer. Dann sitzt man ein paar Stunden zusammen und merkt, dass wir mehr im Bereich der gegenseitigen Kooperation in Raumfragen tun könnten. Ich lerne die verschiedenen Institutionen kennen und welche unterschiedlichen Probleme sie haben. Gegenüber der Stadt gibt es bestimmte Transparenzfragen. Ich könnte Ihnen jetzt noch immer nicht sagen, wie hoch nachweislich die Forschungsförderung der Stadt Wien ist. Wir wollen genauer wissen, von wem, wohin, wie viel Geld fließt. Das macht eine andere Frage auf, die ich auch schon mit Mailath-Pokorny (Stadtrat für Kultur und Wissenschaft in Wien, Anm.) besprochen habe. Wissen wir genug über die Forschungsstärken und -schwächen an den Wiener Universitäten oder sollten wir da nicht mehr wissen? Wir fanden beide, wir sollten eigentlich mehr wissen. Wir verhandeln jetzt mit ein oder zwei Institutionen in Wien, in welchem Zeitraum und zu welchen Kosten Sie uns eine solche Information liefern könnten.

derStandard.at: Wir stehen kurz vor den ÖH-Wahlen. Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür?

Van der Bellen: Schwer zu sagen. Wenn ein Viertel wählt, ist es immerhin ein Viertel. Die anderen nehmen ihr Wahlrecht eben nicht wahr. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sagen, dass ich die Mitwirkung der Studenten in der Universitätsadministration sehr geschätzt habe. Sei es als Institutsvorstand, als Dekan, im Senat. Erstens ist es eine Kontrolle. Und es gab immer aktive Auseinandersetzungen, aber die waren produktiv.

derStandard.at: Die letzte Exekutive an der ÖH wurde von den Grünen Studierendenvertretern geleitet. Was halten Sie von der Arbeit von Sigrid Maurer?

Van der Bellen: Auch wenn wir gar nicht so selten nicht einer Meinung sind, ist es immer ein Gewinn sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie weiß so viel, hat sich so intensiv beschäftigt - auch mit der Situation der Universitäten in anderen Ländern oder mit der Finanzierung von Studenten. Ich habe viel gelernt von ihr. Die ist gut, über die lasse ich nichts kommen, auch wenn wir nicht in jedem Punkt einer Meinung sind. Über ihren zukünftigen beruflichen Lebensweg weiß ich aber nichts.

derStandard.at: Könnten Sie sich auch vorstellen, dass sie auf bundespolitischer Ebene für die Grünen etwas weiterbringen könnte?

Van der Bellen: Absolut. Ich weiß nicht, ob sie das will und wann der richtige Zeitpunkt dafür ist. Sie ist sehr gescheit und unwahrscheinlich gut informiert über die Situation der Universitäten. (derStandard.at, 15.5.2011)