Ansichtssache vom Haus am See

Foto: Rottenberg

Informationen: Villa Verdin

Grafik: DER STANDARD

Eigentlich hatten Thomas Helml und Giovanni Mangini geglaubt, dass das Feld im Meldezettel niemanden interessiere. Bis im Herbst ein Anruf kam: Millstatts Bürgermeister, richtete man den Hoteliers aus, sei empört. Dass da ein weiblicher Gast ungeniert "Prostituierte" als Beruf in den Meldezettel eingetragen habe, gehe gar nicht. Weil die Region einen Ruf habe. Und als Scherz tauge derlei nicht: Meldezettel seien amtlich - also ernst zu nehmen. Ja, auch in einem Hotel wie der Villa Verdin.

Mangini und Helml waren verdutzt. Noch nie hatte sich jemand dafür interessiert, was die Gäste ihres kleinen Schlösschens am See als Profession angegeben hatten. Das Feld im Meldeblatt blieb meist leer - oder wurde verblödelt: Seeräuber, Zirkusdirektoren und Tiefseetaucher finden sich da ebenso wie Heiratsschwindlerinnen, Prinzessinnen oder Raumschiffkommandantinnen. Und niemanden hatte das je gekratzt.

"Chacun à son goût" trifft auf "lei los'n"

Wieso auch? Schließlich ist "Chacun à son goût - Jeder nach seinem Geschmack" - oder das kärntnerische Pendant "lei los'n" mit schuld daran, dass das Hotel während der vergangenen zehn Jahre vom Geheimtipp zum Kult-Kurzurlaubsspot der Wiener Werbe- und Kreativszene wurde.

Denn statt angestrengter Hippness pulsiert hier entspannte Familiarität. So sehr, dass noch die verwöhntesten Gäste Äußerlichkeiten, die sie anderswo binnen Sekunden reklamierend an die Rezeption treiben würden, als Zeichen für Authentizität oder Belege für Stil und Identität nicht nur akzeptieren, sondern sogar zum Asset erklären. Kleine Bäder etwa. Knarrende Betten mit "Besucherritze". Nasse Hunde, die sich am hauseigenen Strand lustvoll zwischen den Menschen schütteln: In der 1894 erbauten Villa Verdin ist das mehr als ein Teil des Programms - es wird erwartet. Es ist das, was die "Villa" ausmacht.

Besuch bei Pipi Langstrumpf

Denn die Atmosphäre lässt Neuankömmlinge binnen Sekunden vergessen, dass sie doch zahlende Gäste sind: Küche und Bar sind zwar erstklassig. Aber sonst sieht das Hotel nicht nach Hotel aus. Es riecht und schmeckt nicht danach, sondern fühlt sich an wie eine Mischung aus den stressfreien Elementen eines Familientreffens, einem Trip zur Omama im Apfelbaum oder einem Besuch bei Pipi Langstrumpf. Ein bisserl wild, unberechenbar und ungeordnet - aber doch so, wie man es sich zuhause immer gewünscht hätte. Wer braucht schon perfekt eingedeckte Tische, wenn er sich in Setting und Flair von Peter Fox' "Haus am See" wieder findet? Was andere Hoteliers für viel Geld nicht zu kaufen vermögen, funktioniert hier scheinbar schwerelos: Es gibt Wartelisten. Wiener Szenegastronomen erzählen stolz, wie sie - da zu spät angereist - einst in der Sauna oder auf einer Massageliege "einquartiert" wurden. Dass es Mangini und Helml gelang, dem alten Haus dieses Image zu verpassen, ist sowohl Konzept als auch Glück. Und hängt auch mit der Geschichte der Villa zusammen. Die wurde nämlich nach dem Krieg von der alleinstehenden Besitzerin der Gemeinde überschrieben. Unter der Bedingung, das Haus zugänglich zu halten. Etwa als Hotel.

Webauftritt mit Retro-Charme

Doch die Villa war alt. Ein modernes Hotel hätte teure Umbauten gebraucht. Also dämmerte das Haus lange als Übernachtungsstation für Bustouristen dahin. Lieblos mit Betten und Tischen zugeräumt. Das Frühstück kam aus einem benachbarten Hotel, der Kaffee in der Thermoskanne. Niemand war zufrieden. Also schrieb man die Villa aus - und die beiden nach Millstatt heimgekehrten, von Hotelfragen bis dahin gänzlich unbeleckten Weltenbummler Mangini und Helml wagten den Sprung ins kalte Wasser. Sie schmissen allen Norm- und System-Plunder raus und ersetzten ihn durch alte Möbel, alte Bilder und altes Zeug: Nicht alles passte zusammen - so, wie an einem organisch gealterten Ort. Der wahre Glücksgriff war es aber, auch im Webauftritt den Retro-Charme spürbar zu machen. Die Seite gewann Preise - und lockte Menschen aus der Werbeszene an, die den Web-Auftritt in Realität sehen wollten. Rasch verbreitete sich die Kunde vom uncool-coolen Haus.

Die alten Gäste blieben dann rasch aus. Sie verstanden nicht, wieso nun gebrauchte Tische und Sessel lose im Speisesaal verstreut waren. Auch nicht, wieso nun unterschiedliche Sofas auf der Veranda kreuz und quer standen, auf Fensterbrettern abgegriffene Taschenbücher lagen und man mit "Susi", dem Hotel-Ruderboot, einfach losfahren konnte.

Endgültige Antworten, gibt man in der Villa Verdin zu, gibt es auf all diese Fragen wohl keine. Aber vielleicht findet man einen Ansatz im Berufe-Feld auf den Meldezetteln: Es ist einfach lustig, sich als Berufs-Seeräuber im alten Alibert in einem fast blinden Spiegel die Bartstoppeln aus dem Gesicht zu kratzen. (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Rondo/13.05.2011)

Ansichtssache vom Haus am See