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Ein Amerikaner in Paris: Owen Wilson wandelt als Woody Allens Stellvertreter auch auf den Spuren zahlreicher berühmter Vorgänger, Marion Cotillard spielt Muse und Beistand.

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Woody Allen trotzt dem Rummel von Cannes. Einen gelernten New Yorker Skeptiker bringen auch ganze Heerscharen von Fotografen nicht so schnell aus der wohlverdienten Ruhe: der Regie-Altmeister und inzwischen auch filmische Städte-Reisende bei der Pressekonferenz am Mittwoch vor der abendlichen Gala.

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Und sie erweist sich mit ihrem All-Star-Ensemble als sinnfälliger Eröffnungsfilm für Cannes.

Das Aufgebot an US-amerikanischen Filmen ist in diesem Jahr in Cannes recht überschaubar - sogar die Zahl der Großproduktionen wie "Pirates of the Caribbean", die den Festivalrummel vor allem als Plattform für den nahen Kinostart nutzen, hält sich in Grenzen.

Genau genommen ist ja nicht einmal der Eröffnungsfilm, Woody Allens jüngste Komödie "Midnight in Paris", das Werk eines Amerikaners, sondern das eines New Yorkers, der seit einigen Jahren seinen Radius auf europäische Städte ausgedehnt hat, ohne dabei seine charakteristische Stimme einzubüßen. Einen Woody-Allen-Film - weiß man jetzt - könnte man auch in Bangkok drehen und würde ihn doch an seinem genuinen Tonfall erkennen.

Historische Geistesgrößen

Dies ist auch in "Midnight in Paris" nicht anders, welcher dem Narzissmus Cannes' als Eröffnungsfilm einen guten Dienst erweist. Denn in gewisser Hinsicht handelt es sich um eine All-Star-Komödie, in der die Liebe Woody Allens zu europäischen Künstlern und Geistesgrößen die wunderlichsten Blüten treibt: F. Scott und Zelda Fitzgerald, Ernest Hemingway, Pablo Picasso, Gertrude Stein oder Salvador Dali - sie alle absolvieren in dieser von nostalgischem Verlangen und romantischen Verwirrungen angetriebenen Film Auftritte als Wahlpariser und werden dabei von Schauspielern wie Kathy Bates, Corey Stoll oder Adrian Brody mit sichtbarer Freude am komischen Klischee verkörpert.

Woody Allens Stellvertreter-Part hat diesmal Owen Wilson inne, dessen ein wenig naive Tapsigkeit sich in dem auf Dialogkomik eingestellten Kosmos erstaunlich gut macht. Wilson spielt Gil, einen Drehbuchautor mir Romanambitionen, der mit seiner Verlobten Inez (Rachel McAdams) nach Paris gekommen ist - ein Paar, von dem vielleicht ein wenig zu schnell klar ist, das es füreinander nicht bestimmt ist.

Während Inez Gefallen an einem befreundeten Professor findet, der mit seinem kulturellen Philistertum prahlt, ist Gil ein Romantiker, der schon wie viele Amerikaner vor ihm Paris als Sinnbild all dessen begreift, was dem eigenen Land fehlt.

Die schönste Idee des Films liegt darin, diesem Wunsch nach Fiktion nachzugeben. Wie in einem Märchen (und vergleichbar zu Allens eigenem "The Purple Rose of Cairo") verwandelt sich Paris Schlag Mitternacht in die vibrierende kulturelle Metropole der 1920er-Jahre, in der Gil in Bars, Tanzclubs und auf Partys all seinen Idolen aus der Vergangenheit nicht nur leibhaftig begegnet, sondern diese ihm auch jene entscheidenden Impulse geben, die ihm in der eigenen Gegenwart abgehen. Die Französin Marion Cotillard als Picassos melancholische Muse Adriana sorgt schließlich dafür, dass die Lektion nicht nur auf schriftstellerische Fragen beschränkt bleibt.

Surrealistische Begegnungen

Mit dem Zusammentreffen solcher Heroen der Vergangenheit gelingen Allen in "Midnight in Paris" ein paar seiner besten Sketches seit längerer Zeit - wie etwa ein Zusammentreffen der Surrealisten Dalí, Buñuel und Man Ray, die Gils Problem der zeitlichen Entrücktheit weniger verstörend als inspirierend finden.

An solchen Settings mag man auch das Handwerkliche an der Arbeit des Komikers erkennen, der stets mit feststehenden Standards und Archetypen hantiert - Europa benutzt er so nur als Feld für seine komischen Ausgrabungen.

Dass der leichtfüßige Film dann nicht nur der Nostalgie das Wort redet, sondern für einen selbstbewussten Umgang mit dem Reichtum der Vergangenheit plädiert, lässt sich zudem als gutes Motto für die nächsten zehn Festivaltage in Cannes gebrauchen: Mögen viele Filme kommen, in denen es schöpferische Zusammenführungen gibt! (Dominik Kamalzadeh aus Cannes / DER STANDARD, Printausgabe, 12.5.2011)