Wien - Immer mehr Menschen mit intellektueller Behinderung landen in Werkstätten. Wie aus einer vom Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien durchgeführten Studie hervorgeht, haben im Jahr 2008 rund 19.000 Personen einen Platz in einer dieser speziellen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung bei einer von bundesweit etwa 142 Trägerorganisationen in Anspruch genommen. Das bedeutet einen Anstieg um 29,9 Prozent gegenüber dem Jahr 2002. Und das, obwohl sich Österreich per UN-Konvention verpflichtet hat, behinderten Menschen das Recht auf Zugang zu einem offenen und integrativen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Die Versorgungsdichte von Werkstätten variierte 2008 zwischen 17,4 Plätzen pro 10.000 Einwohnern in Tirol bis zu 27 Plätzen in Vorarlberg und liegt im Durchschnitt bei 22,6 Plätzen. Damit liegt Österreich immer noch weit unterhalb der Versorgungsdichte in Deutschland (33,4 Plätze pro 10.000 Einwohner im Jahr 2007). Auch in Österreich besteht laut der Studie vermehrter Bedarf, der nach Angaben der Landesregierungen mittelfristig bei einer Versorgungsdichte von 25 bis 27 Plätzen liegt. Dies würde einem Mehrbedarf von 3.500 Plätzen entsprechen.

Beschäftigungsoffensive 2001

Die Zunahme an Werkstättenplätzen muss neben Strukturveränderungen am Arbeitsmarkt und der verschärften Wettbewerbssituation auch im Zusammenhang mit unbeabsichtigten Effekten der 2001 erfolgten Einführung der Beschäftigungsoffensive der Bundesregierung, die sogenannte "Behindertenmilliarde", gesehen werden, erklärte Studienautor Oliver Koenig. In deren Zuge seien zwar viele arbeitsmarktpolitische Unterstützungsmaßnahmen geschaffen, jedoch auch sukzessive die Zugangsmöglichkeiten für Menschen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf verschärft worden. "Werkstätten für behinderte Menschen sind heute mehr als früher zu einem Auffangbecken für eine immer heterogenere Zielgruppe bei gleichzeitigem immensem Kostenanstieg geworden", so Koenig.

Der finanzielle Aufwand für die Werkstätten belief sich 2008 auf rund 278 Mio. Euro. Im Vergleich dazu wurden österreichweit für Maßnahmen der beruflichen Integration in Summe 172 Mio. Euro ausgegeben. Einzig das Bundesland Vorarlberg bietet im Rahmen des Programms "Spagat" Personen, die laut der als diskriminierend zu verstehenden Rechtsauffassung als "arbeitsunfähig" gelten, gezielt Möglichkeiten der beruflichen Integration außerhalb von Werkstätten an. Dabei würden diese integrativen Arbeitsplätze den Personen nicht nur ein höheres Ausmaß an Integration und Lebensqualität bieten, sondern seien im Vergleich zu Werkstättenplätzen auch günstiger, betonte der Wissenschafter. So lagen 2008 die durchschnittlichen jährlichen Kosten für einen integrativen Arbeitsplatz mit 12.200 Euro pro Person um knapp 2.600 Euro bzw. 17,3 Prozent unter den Aufwendungen für einen Werkstättenplatz.

Aus Werkstätten wechseln

Politisch wäre "zur Herstellung von Chancengleichheit und Wahlfreiheit mittelfristig zumindest Kostenausgewogenheit zwischen integrativen und segregativen (z.B. Werkstätten, Anm.) Angeboten anzustreben", empfiehlt Koenig. Dabei müssten als erster Schritt integrative Maßnahmen und Projekte verstärkt gefördert werden, die Personen unterstützen, aus Werkstätten zu wechseln. Schließlich habe sich Österreich durch die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung dazu verpflichtet, auch das Recht des Zugangs zu einem "frei gewählten, offenen und integrativen Arbeitsmarkt" umzusetzen.

Die Studie zeigt aber auch, dass nicht nur Schwerstbehinderte in Werkstätten landen: Nach Angaben der Werkstättenstandorte waren mit 64 Prozent Personen mit "Geistiger Behinderung" am häufigsten in Werkstätten vertreten, an zweiter Stelle kommen bereits mit 16 Prozent Menschen mit einer Lernbehinderung. "Das ist insofern von politischer Brisanz, da diese nicht zur primären Zielgruppe von Werkstätten zu zählen sind", so Koenig. Zum Vergleich: In Deutschland sind nur 3,4 Prozent der Werkstättennutzer Menschen mit einer Lernbehinderung.

Das Angebot der Werkstätten wird österreichweit weiterhin von klassischen, primär beschäftigungstherapeutischen Angeboten mit hauptsächlich kreativen und handwerklichen Tätigkeiten dominiert, berufsqualifizierende Angebote gibt es nur sehr wenige. Ernüchternde Bilanz der Wissenschafter: Für Frauen, Menschen mit "Geistiger Behinderung" und für Nutzer mit höherem Alter stellen unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und der beobachtbaren Praxis Werkstätten eine berufliche Sackgasse dar. (APA)