59 Prozent der Schüler, die nach einem Sonderschul-Lehrplan unterrichtet wurden, haben im Anschluss an ihren Schulbesuch keinerlei Unterstützung durch eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme erhalten und sind größtenteils direkt in eine Werkstätte für behinderte Menschen gekommen.

Foto: standard/cremer

Wien - Menschen mit intellektueller Behinderung haben in Österreich beim Übergang von der Schule ins Berufsleben massive Probleme. Wie eine Studie des Instituts für Bildungswissenschaft der Universität Wien nun zeigt, kommen vor allem Personen mit erhöhtem Unterstützungsbedarf zu kurz. Einer der Gründe: Nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern auch schon in den Unterstützungsmaßnahmen zur beruflichen Integration herrscht ein massiver Verdrängungswettbewerb.

Die Chancen für Behinderte, nach der Schule in eine reguläre Berufsausbildung und dann in eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt wechseln zu können, sind laut Aussagen der Wissenschafter sehr gering und hängen in hohem Maße von Unterstützungsmaßnahmen und begleitender Hilfen ab. Dazu werden Unterstützungsmaßnahmen wie "Clearing", "Qualifizierung", "Arbeitsassistenz", "integrative Berufsausbildung", etc. angeboten.

In der Studie zeigt sich aber deutlich, dass sowohl die Schulart (Sonderschule oder integrativer Unterricht), als auch die Lehrplanzuordung (Lehrplan für Allgemeine Sonderschule, ASO-Lehrplan, oder für Schwerstbehinderte, S-Lehrplan) einen "wesentlichen Einfluss" darauf ausüben, ob die jungen Menschen eine solche Unterstützungsmaßnahme erhalten bzw. später die Chance auf eine Beschäftigung am allgemeinen Arbeitsmarkt haben.

Direkt in Werkstätten

So haben 59 Prozent der Schüler, die nach S-Lehrplan unterrichtet wurden, im Anschluss an ihren Schulbesuch keinerlei Unterstützung durch eine arbeitsmarktpolitische Maßnahme erhalten und sind größtenteils direkt in eine Werkstätte für behinderte Menschen gekommen. Aber selbst wenn sie eine Unterstützungsmaßnahme wie ein "Clearing" (ein Angebot zur Berufsorientierung und -vorbereitung) besucht haben, zeigen sich signifikante Unterschiede: Während 58 Prozent der Clearing-Teilnehmer, die früher nach dem ASO-Lehrplan unterrichtet wurden, ein Dienstverhältnis auf dem ersten oder zweiten Arbeitsmarkt erlangen konnten, erreichten dies nur 17 Prozent der ehemaligen S-Schüler. Ehemaligen S-Schülern wurde am häufigsten (32 Prozent) eine Werkstatt für behinderte Menschen empfohlen, "was einer sechsmal so hohen Wahrscheinlichkeit entspricht als bei früheren ASO-Schülern", so Studienautor Oliver Koenig gegenüber der APA.

Auch die Eltern von Sonderschülern berichteten in der Befragung, dass die häufigste Empfehlung der schulischen Berufsberatung der Wechsel in eine Werkstätte bzw. Beschäftigungstherapie war (43 Prozent), gefolgt von integrativer Berufsausbildung und weiterer Schulbesuch (jeweils 21 Prozent). Dagegen wurde Integrationsschülern am häufigsten der Besuch einer beruflichen Unterstützungsmaßnahme geraten (32 Prozent) sowie eine integrative Berufsausbildung (28 Prozent). Es zeigte sich, dass vor allem Sonderschulen ihren Schülern den Weg in eine Werkstätte besonders nahe gelegt haben.

Das "Clearing", welches zumeist unmittelbar nach der Schule besucht wird und die beruflichen Perspektiven abklären soll, ist laut Studie die einzige Unterstützungsmaßnahme, in der ehemalige S-Schüler anteilsmäßig angemessen vertreten sind. "Daher kommt dieser Maßnahme in besonderem Maße eine Gatekeeper-Funktion zu, da nahezu drei Viertel der Clearing-Absolventen nicht in weiterführende Maßnahmen Richtung berufliche Integration vermittelt werden", so Koenig. Das sei aber nicht ausschließlich ein Problem des "Clearings", sondern hänge vor allem bei Personen mit höherer Beeinträchtigung von der Aufnahmebereitschaft weiterführender Maßnahmen ab.

"Gewaltiger Druck"

Und auf diesen lastet ein "gewaltiger Druck", betonte Koenig. Die Träger solcher Maßnahmen müssten sich oft jährlich um Verlängerung der öffentlichen Fördermittel bemühen, wobei dabei als härtester Indikator die Zahl der Vermittlungen in den regulären Arbeitsmarkt gelte. "Daher waren weiterführende Unterstützungsmaßnahmen bisher nicht sehr daran interessiert, jemanden aus der Sonderschule, vielleicht noch aus schwachem sozialen Milieu, zu betreuen, weil solche Personen nur schwer schnell vermittelbar sind und die Erfolgsquote senken", so Koenig.

Diese Aufnahmebereitschaft könnte durch ein entsprechendes Finanzierungssystem durchaus politisch gesteuert werden, sind die Wissenschafter überzeugt. "Solange jedoch politisch stillschweigender Konsens darüber herrscht, dass Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung am besten in Werkstätten aufgehoben sind, ist die Wahrscheinlichkeit der Umsetzung derartiger Modelle jedoch gering", heißt es in der Studie.

Österreich erfüllt UN-Konvention nicht

Damit wird nach Ansicht der Wissenschafter die UN-Konvention über die Recht von Menschen mit Behinderung von Österreich nicht erfüllt. Schließlich habe sich Österreich mit der Ratifizierung dieser Konvention im Jahr 20008 dazu bekannt, allen Menschen mit einer Behinderung Zugang zu einem "offenen und integrativen Arbeitsmarkt" zu ermöglichen.

Die Wissenschafter untersuchen in dem vom Wissenschaftsfonds FWF bis 2013 geförderten Projekt ("Teilhabeerfahrungen in der beruflichen Biographie von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung") u.a. im Rahmen von drei bundesweiten quantitativen Erhebungen die "Übergangs-, Unterstützungs- und Beschäftigungssituation von Menschen mit einer intellektuellen Beeinträchtigung". Erstmals im deutschsprachigen Raum sollen in der Studie auch die Perspektiven der Betroffenen erfasst werden. Bereits abgeschlossen sind die Erhebungen des quantitativen Datenmaterials, das nun in drei Teilprojekten vorliegt: einerseits wurden Bezirksschulinspektoren und Eltern zum Übergang in Ausbildung und Beruf befragt, andererseits verschiedene Träger von arbeitsmarktpolitischen Unterstützungsmaßnahmen. Zudem wurde erstmals eine Bestandsaufnahme des föderal organisierten Systems von Werkstätten durchgeführt. (APA)