Die jungen DarstellerInnen des großteils selbst geschriebenen Schauspiels "Wenn (m)ein Herz lauter schreit, als mein Mund brüllt", wollen sich von der "jahrelangen Unterdrückung durch fixierte Rollenbilder" befreien. Im Kulturzentrum Palais Kabelwerk proben sie den Aufstand, nachdem die Folgen der Unterdrückung überwunden sind.

Foto: Swatek

Wien - Es ist kalt und windig. Die Szenerie auf dem kleinen Platz vor der ehemaligen Kabelfabrik im 12. Bezirk erinnert an einen Schulhof an einem düsteren Nachmittag. Plötzlich ertönen Schreie: "Hier bin ich!" Das Publikum dreht sich suchend um und entdeckt nach und nach einzelne im Hof verteilte Jugendliche. Mit ihrer bunten Kleidung stechen sie aus der zunächst verwunderten ZuschauerInnenmenge hervor, stellen aber jeder auf seine eigene Weise Individuen dar, die sich vom Druck der Gesellschaft befreien wollen.

Die Szene ist Teil des Projekts "Wenn (m)ein Herz lauter schreit, als mein Mund brüllt", das im Rahmen der Theaterinitiative "Macht|schule|theater" vom Dschungel Wien im Palais Kabelwerk letzten Dienstag uraufgeführt wurde.

Die Basis des Projekts bildeten Schreibwerkstätten, in denen Jugendliche unter Anleitung der Rapper Vista und Topoke sowie der Slam-Poetin Yasmin Hafedh Texte zu vorgegebenen Themen verfassten. "Die drei haben uns beigebracht, wie diese Techniken funktionieren. Ich habe eine Richtung vorgegeben, und dazu wurde dann geschrieben", erzählt Regisseurin Corinne Eckenstein. Die entstandenen Werke wurden in einem Buch zusammengeführt und liefern die Grundlage für dieses Theaterstück.

Die größtmögliche Vielfalt

Die jugendlichen TeilnehmerInnen sind hauptsächlich SchülerInnen der HAK, HTL und HAS Ungargasse und des BRG Boerhaavegasse sowie Interessierte von außen. "Die, die wollten, die passten", meint Eckenstein. "Was wir wollten, war, das Haus zu beleben und die größtmöglichste Vielfalt darzustellen", begründet die Regisseurin ihren Entschluss, 20 junge DarstellerInnen miteinzubeziehen. Denn Jugendliche seien nicht nur Jugendliche, sondern eigene Persönlichkeiten. Diese Vielfalt spiegelt sich in der unkonventionellen Kleidung der SchauspielerInnen wider. Eckenstein zog für die ersten Szenen Klassiker wie Schillers "Die Räuber" oder Shakespeares "Hamlet" heran, da "die Frage nach Rollenbildern bis heute aktuell" sei. Die Werke wurden von den Jugendlichen sinngleich umgeschrieben, so auch Sophokles "Antigone": "Dein Wort ist Gesetz. Gesetzt sind mir Grenzen. Grenzen, die ich übertrat. Ich beuge mich. Beuge mich dem Gesetz, deinem Wort. Beuge mich dir. Denn ich bin eine Frau. Ich bin minder. Ich bin schwach."

Die Aufarbeitung der Rollenbilder und der damit verbundenen Ungerechtigkeit wurde unter anderem durch von allen Teilnehmern am Kopf getragene Stoffbahnen illustriert. Aus der Ausgangssituation der Unterdrückung durch veraltete Traditionen konnten sich die Jugendlichen in der nachfolgenden Szene durch das Abwerfen dieser Bedeckungen symbolisch befreien. Zu diesem Zweck wurden die ZuschauerInnen dann auch vom Hof ins Innere des Palais Kabelwerk gebeten.

Hier teilte sich die Gruppe nach Geschlecht, um typische Elterngespräche aus der Sicht der Söhne beziehungsweise Töchter zu erzählen. "Mein Vater denkt, ich bin Ironman oder Superman, das ist aber nicht mein Leben. Ja, Vater, wo ist denn mein Leben, oder lebe ich dein Leben, kein Leben als Milchbubi, Milchgesicht oder soll ich sagen Arschgesicht? Das fährt ins Knochenmark, durch Mark und Bein, denn ich werde dein Herzinfarkt sein", droht so ein Heranwachsender.

Als Mädchen sollst du geben

Ganz anders wird einem Mädchen von der Großmutter empfohlen: "Liebe die anderen, denn das gefällt. Sie lieben dich und selbst wenn nicht, du gibst und gibst, so wie die Sonne das Licht."

Die Reaktionen auf die dargestellten Klischees lösen bei den erwachsenen ZuschauerInnen häufig Schmunzeln oder Lachen aus, während die Jugendlichen im Publikum die Erfahrungen - auch in dieser überspitzten Form - gut nachvollziehen können.

In der vierten Station, im zweiten Stock des Palais, denkt ein Mädchen laut über die Flucht aus ihrer Heimat nach, da sie in der Schule nur als "gehendes Kopftuch ohne Gesicht" angesehen wird. "Am Ende stand ich weinend vor der Tür, wie ein Tier, und die einzigen Fehler, die ich suchte, suchte ich an mir."

Ähnlich stark beschreibt der von einem mutigen Schauspieler dargestellte Mario seine Gefühle, als er sich entschließt, Maria zu werden. Während er seine weiblichen Züge demonstriert, erfährt er nichts als Abscheu und Spott. (Magdalena Legerer, Nermin Ismail/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 11.5. 2011)