"Zu festgelegter Zeit, an einem festgelegten Ort vor festgelegtem Publikum": Künstler Cheng Li auf dem Dach der Kunsthalle in Peking in Aktion. 

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Ein Happening zum Thema Sex, Kommerz und Politik, bei dem der Aktionskünstler Cheng Li auf dem Dach der Pekinger Modern-Art-Galerie mit seiner Partnerin einen Geschlechtsakt simulierte, hat für ihn ein böses Nachspiel gefunden. Die Polizei ließ den 51-Jährigen wegen "Störung der öffentlichen Ordnung" und "öffentlicher Vorführung von Pornografie" nach Polizeirecht für ein Jahr in ein Arbeitslager einweisen.

Chinas Behörden können ohne Einschaltung von Richtern nach eigenem Gutdünken sogenannte Störenfriede bis zu drei Jahre in Umerziehungsanstalten wegsperren lassen. Die meisten Betroffenen der Administrativhaft sind Diebe, Kleinkriminelle oder Prostituierte, aber auch Bittsteller, Anhänger der Falun-Gong-Sekte, Gläubige von Untergrundkirchen oder Dissidenten. Chinesische Justizreformer fordern seit Jahren ein Ende dieser seit 1957 in China praktizierten polizeilichen Willkürhaft, die dem chinesischen Verfassungsrecht widerspricht. Sie ist auch ungelöster Streitpunkt in den Rechtsstaatdialogen Chinas mit Europa oder den USA.

Mehr als einen Monat, nachdem der Konzeptkünstler Ai Weiwei unter dubiosen Umständen polizeilich verschleppt wurde, ohne bisher seiner Familie mitzuteilen, wo er festgehalten und wegen welcher "Wirtschaftsverbrechen" gegen ihn ermittelt wird, statuieren Chinas Behörden ein weiteres Exempel. Es ist, so befürchten viele Blogger, so wie auch im Fall von Ai Weiwei zur Abschreckung gedacht und Zeichen für das harte Durchgreifen der Behörden.

Aktionskünstler Cheng Li hatte am Nachmittag des 20. März mit einer Partnerin - beide waren nackt - auf dem Dach der Songzhuang-Kunsthalle für Modern Art, Moca Beijing, einen Geschlechtsverkehr imitiert. Cheng Li wollte mit seinem Protestakt unter dem Titel "Die Prostitution der Kunst" ein Zeichen gegen die Kommerzialisierung chinesischer Gegenwartskunst setzen, bei der sich alles nur noch ums Verkaufen dreht.

Zu seinem vorab angekündigten Happening waren 200 Besucher, darunter vorwiegend Künstler, Galeristen oder Kritiker eingeladen worden. Fotos und Beschreibungen gelangten ins Internet. Dort wurde die Aktion von Bloggern süffisant in "Gao Gan" umbenannt und damit politisiert. Das anzügliche Wortspiel bedeutet im Slangvokabular "es hoch oben machen". Gao Gan ist allerdings auch eine gebräuchliche Abkürzung für "hochrangige KP-Funktionäre."

Anders als im Fall Ai Weiwei, wo chinesische Medien so zensiert sind, dass sie nicht einmal fragen dürfen, wo der Künstler seit 35 Tagen abgeblieben ist, griffen gleich mehrere Tageszeitungen am Montag Cheng Lis Verurteilung kritisch auf. Die Beijing News oder Kantons Southern Metropolitan berichteten, dass der von der Familie eingeschaltete Anwalt Wang Zhenyu verwaltungssrechtlich gegen das harsche Urteil Protest einlegen wolle. Es sei unbegründet, weil der Künstler weder "auf einem öffentlichen Platz" auftrat noch zum "öffentlichen Ärgernis" wurde.

Bitte um Stellungnahmen

Er führte sein Happening "zu einer festgelegten Zeit, an einem festgelegten Ort vor einem festgelegten Publikum" auf. Der Anwalt will nun bekannte Künstler und Juristen um Stellungnahmen bitten, wo die Unterschiede zwischen Kunst und öffentlicher Unzucht liegen. Cheng Li lebt seit 1998 im Pekinger Künstlerdorf Song Zhuang. In der Szene sei er als Aktionskünstler anerkannt, schrieb die Webseite "Chinas Moderne Kunstdokumente".

Für Cheng Li verwandte sich in der Beijing News auch der renommierte Jurist He Bing von der Pekinger Zhengfa-Hochschule für Politik und Recht. Das Urteil sei unverhältnismäßig. Nach Polizeirecht werde unzüchtiges öffentliches Verhalten mit fünf bis zehn Tagen Ordnungshaft und in schweren Fällen mit zehn bis 15 Tagen bestraft. Der Rechtsexperte Wang Dawei von der Gongan-Polizeihochschule nannte den Vorfall hingegen schwerwiegend. Durch die Verbreitung der Fotos im Internet sei er zum öffentlichen Ärgernis geworden. Cheng Li hätte die "rote Linie" überschritten.

Polizeistrafen gegen Happeningkünstler wegen Störung der öffentlichen Ordnung oder Unzucht fielen bislang glimpflich aus. So wurde 1989 die Künstlerin Xiao Lu für einen spektakulären Pistolenschuss auf eines ihrer Objekte mit ihrem Partner zu jeweils fünf Tagen Haft verurteilt. Auf politisch motivierte Happenings reagiert Peking aber mit Härte. (Johnny Erling aus Peking/DER STANDARD, Printausgabe, 11. 5. 2011)