Der Auslöser für die jüngste Diskussion über eine mögliche Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen EU-Staaten hat nach Ansicht von Ulrike Lunacek ganz klar Namen und Adresse: Roberto Maroni, Italiens Innenminister.

"Sie dürfen nicht vergessen, dieser Mann ist von der Lega Nord. Der will keine menschenwürdige Asylpolitik, und auch keine europäischen Lösungen für Migrantenströme", empört sich die grüne EU-Abgeordnete. Genau das aber wäre dringend nötig, vor allem aktuell beim Umgang mit den tausenden Menschen, die aus Nordafrika nach Italien und Europa strömen.

Leute wie Maroni jedoch nähmen dies als Vorwand, setzten auf Renationalisierung, indem sie die Grundfreiheiten - wie die Reisefreiheit - als solches wieder infrage stellten, letztlich auch für EU-Bürger, "und das ist wirklich gefährlich", erklärt Lunacek.

Die Sache hat ein paar Haken

Ihr Befund trifft die Sache im Kern. Seit Wochen wird nun europaweit diskutiert und berichtet, dass es schon bald zu einer Änderung des Schengen-Vertrages kommen könnte, nachdem Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi sich darauf geeinigt und von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso dafür auch schon eine Zusage bekommen hätten.

Tenor: Dafür würden einfach die Ausnahmebestimmungen im Abkommen erweitert, sodass ein EU-Land im Falle einer "schwerwiegenden Bedrohung der inneren Sicherheit" - etwa wenn tausende Tunesier mit italienischen Reisevisa nach Frankreich strömten - sofort seine Grenzen schließen kann.

Die Sache hat nur ein paar Haken: Sie wird so, wie es die Erfinder ausgedacht haben, wohl nicht funktionieren. Die zuständige Innenkommissarin Cecilia Malmström zeigt sich zwar verhandlungsbereit, will aber ein "Europa ohne Grenzen" erhalten.

Starker parlamentarischer Konsens für offene Grenzen

Tatsächlich hatte Malmström in einer Mitteilung vergangene Woche "nur sehr schwammig", wie ein Diplomat und Innenexperte findet, erklärt: Weitere Ausnahmebestimmungen für neue Grenzkontrollen könne es geben, aber nur wenn diese "auf europäischer Ebene" kontrolliert werden, wenn die Staaten sich also der Aufsicht der Kommission unterwerfen. Das bedeutete mehr Integration.

Vor allem aber sagt das Europäische Parlament in großer Mehrheit aus allen wichtigen Fraktionen strikt Nein zur Idee, die Grenzen wieder dichtzumachen, je nach nationalem Bedarf. Es gibt dazu einen starken Konsens, bestätigt der geschäftsführende Fraktionschef der Sozialdemokraten, Hannes Swoboda. Und seit Inkrafttreten des EU-Vertrages von Lissabon geht ohne Zustimmung der EU-Abgeordneten im Bereich der Inneren Sicherheit, unter die das ursprünglich zwischenstaatlich abgeschlossene Schengen-Abkommen fällt, nichts mehr.

Derzeit versucht der EU-Ministerrat zwar, einen Weg zur Änderung der Rechtsgrundlage in dieser Angelegenheit zu sondieren, um das EU-Parlament auszutricksen und ihm nur Konsultations-charakter zu gewähren. Aber Experten räumen diesem Versuch wenig Chance ein: Der Europäische Gerichtshof würde das vermutlich am Ende des Tages für vertragswidrig erklären.

Temporäre Grenzkontrollen ohnehin möglich

Ehe im derzeit offenen Schengenraum von derzeit 25 Ländern wieder verschärfte Grenzkontrollen eingeführt werden, müssen die beteiligten EU-Institutionen noch einen weiten Weg zurücklegen. Die Innenminister der Union wollen am Donnerstag dieser Woche jedenfalls eine erste "Aussprache" zur Mitteilung von Malmström abhalten.

Beschlüsse werde es dabei keine geben, sagt ein mit der Sache befasster Diplomat voraus, bestenfalls Ankündigungen. Experten in Brüssel wundern sich ohnehin, warum die Ankündigung neuer Möglichkeiten von Grenzkontrollen so viel Staub aufwirbelt: "Diese Option gibt es schon ganz klar in Artikel 25 des Schengen-Vertrages. Bei einer schwerwiegenden Bedrohung kann jeder Staat sofort Kontrollen einführen. Er muss die anderen nur informieren. Diese Option wurde aber seit 1995 noch nie angewendet." Die in der Öffentlichkeit oft genannten temporären Grenzkontrollen, etwa bei Fußballmeisterschaften, sei auch schon geregelt. Man frage sich eigentlich, welche zusätzliche Maßnahmen man brauchen solle.

Das einzig wirklich Neue wäre es, wenn man im Schengen-Abkommen eine zusätzliche europäische, also übernationale Ebene einführt, die über Grenzkontrollen entscheiden soll, erklärt der Experte. Das liefe dann aber auf eine Europäisierung der inneren Sicherheit, auch der Asyl- und Migrationsproblematik hinaus, jenseits der Nationalstaaten. "Die Debatte um die Grenzkontrollen ist in Wahrheit eine Stellvertreterdebatte zum Thema Migration".

Aufnehmen und Übernehmen

Womit man unweigerlich wieder beim Namen Maroni landet. In der Tat war es der italienische Innenminister, der mit dem Ankommen der ersten Flüchtlinge aus Nordafrika in Lampedusa im Kreis seiner Ministerkollegen in Brüssel laut Alarm schlug. Zehntausende, ja eine Million Nordafrikaner seien zu erwarten, sagte er beim Rat Anfang des Jahres. Von den EU-Partnern forderte er einerseits Geld für die Versorgung der Flüchtlinge. Andererseits drängte er darauf, dass die EU-Partner freiwillig gewisse Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen sollten.

Dazu waren die aber nicht bereit. Deutschland "übernahm" 100 Flüchtlinge aus Malta, Italien aber sei groß genug, um allein mit der Lage fertig zu werden, erklärte der neue deutsche Innenminister Friedrich damals. Wenig später wurde bekannt, dass Italien die Tunesier mit Visa ausgestattet und nach Frankreich reisen lässt. (Thomas Mayer, DER STANDARD, Printausgabe, 10.5.2011)