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Eigentlich sollte sich Deutschland mit seinem riesigen Exportüberschuss in Zurückhaltung üben, doch im ersten Quartal stiegen die Ausfuhren neuerlich um ein Viertel. Heuer wird der Rekord von einer Billion Euro geknackt.

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Berlin/Wien - Deutschland hat seine herausragende Stellung im Welthandel untermauert. Im ersten Quartal 2011 legten die Ausfuhren um 19,9 Prozent zu. Die Einfuhren im wegen der hohen Exportüberschüsse oft getadelten Landes stiegen mit einem Plus von 22,4 Prozent zwar noch stärker, allerdings vergrößerte sich der Saldo wegen des weit höheren Basiswertes der Ausfuhren dennoch: Die Handelsbilanz war nach drei Monaten mit 41 Mrd. Euro positiv.

Die meisten Experten gehen davon aus, dass der Export-Rekord auch im Gesamtjahr hält. "Die Billionen-Marke wird erstmals geknackt", erklärte der Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Volker Treier, der Nachrichtenagentur Reuters. Auffällig erscheint dabei die geografische Verteilung des Wachstums. In den nicht gerade von übermäßigem Wachstum gesegneten EU-Ländern war die Zunahme der Ausfuhren im ersten Quartal gleich groß wie außerhalb der Union.

Die Entwicklung lässt darauf schließen, dass Deutschland vor allem innerhalb der EU weiterhin für große Ungleichgewichte sorgten wird. Eurostat hat zwar bisher erst die Außenhandelsdaten für Jänner publiziert, doch scheinen diese Angaben die These zu bestätigen. Vor allem die anderen großen Wirtschaftsmächte Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien haben zu Jahresbeginn ihre Handelsbilanzdefizite massiv gesteigert. Geringfügige Verbesserungen konnten hingegen die angeschlagenen Staaten Griechenland und Portugal verzeichnen, deren negative Außenhandelsbilanz als Ausdruck schwacher Wettbewerbsfähigkeit gewertet wird.

Der Druck auf Deutschland, seine Exportüberschüsse abzubauen, dürfte dennoch zunehmen. Sowohl auf Ebene der EU als auch der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G-20) werden von Berlin eine Belebung der Investitionen und der Binnennachfrage verlangt, um die Exportlastigkeit auszugleichen. Das müsste letztlich mit stärkeren Lohnerhöhungen oder Steuersenkungen einhergehen, die beide den Konsum beleben würden. Allerdings gilt gerade die Lohnzurückhaltung der letzten Jahrzehnte - im Verbund mit Reformen am Arbeitsmarkt - als Grund für die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit des Landes.

Wifo-Chef Karl Aiginger hält diese Frage für nicht so leicht lösbar, wie das am grünen Tisch diskutiert wird. "Die Frage ist, wer von einer Zurückhaltung Deutschlands im Export profitiert. Wahrscheinlich China und nicht Griechenland oder Portugal", meint er im Gespräch mit dem Standard. Die Frage der Wettbewerbsfähigkeit sei auch in anderer Hinsicht komplexer als gedacht. So sei in Südosteuropa zwar viel in Straßen, Hotels oder Telefonnetze investiert worden, aber zu wenig in die Produktion. "Der Prozess wurde versäumt." Jetzt sollten in Griechenland alle Anstrengungen auf die Verbesserung der Wirtschaftsstrukturen konzentriert werden. Nach einem Schuldenerlass seien dafür "billigste Kredite" notwendig.

Die derzeitige Diskussion zum Abbau der Ungleichgewichte gehe zwar in die richtige Richtung, werde aber länger dauern, ist der Wifo-Chef überzeugt. De facto hat die EU auf alle Sanktionen bei mangelnder Wettbewerbsfähigkeit verzichtet. Die G-20 haben auf Initiative der USA fixe Obergrenzen für Exportüberschüsse diskutiert, aber verworfen. In einer breiteren Analyse sollen jetzt Faktoren wie Verschuldung des Staates und der Haushalte, Außenhandel und Investitionsströme untersucht werden. (as, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.5.2011)