Wang Hao, die Nummer eins der Weltrangliste, war auch in Schwechat immer und hauptsächlich auf den Ball fokussiert.

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Das chinesische Damen-Nationalteam beim Aufwärmen in Schwechat. Bis zu sechs Stunden täglich übten sie hernach an den Tischtennis-Tischen.

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Schwechat - Eine Standeskontrolle führt Liu Guoliang keine durch. Aber wenn der 35-jährige Cheftrainer des Herren-Nationalteams die Halle betritt, formieren sich Spielerinnen und Spieler, egal ob hochdekorierte Olympiasiegerinnen oder Weltmeister, so schnell, dass sich Rekruten ein Beispiel nehmen könnten.

Zur Befehlsausgabe schreitet Liu die Reihen wie ein Offizier ab. Die Hände seiner Athleten sind vorn oder am Rücken verschränkt, die Blicke starr nach vorn gerichtet. Liu spricht leise, aber bestimmt. Als er zu reden aufhört, kehren die Spielerinnen und Spieler wortlos an die zwölf für sie reservierten Tische zurück. Und knallen sich die kleinen Bälle fortan mit Wahnsinnsgeschwindigkeit um die Ohren. Drei Stunden am Vormittag, drei Stunden am Nachmittag. "Da ist das Krafttraining noch nicht mitgerechnet", erzählt Martin Sörös, der Geschäftsführer der Werner Schlager Academy in Schwechat. 2000 Bälle wurden dem chinesischen Team zur Verfügung gestellt. "Selbst haben sie noch einmal 2000 Bälle mitgenommen."

Sechs Tage lang, bis einschließlich Donnerstag, bereiteten sich die besten Tischtennisspieler Chinas in Niederösterreich auf die WM in Rotterdam vor, die heute, Montag, mit dem Mixed-Bewerb anhebt. Die Rutsche hat Österreichs Damen-Coach Liu Yan Jun gelegt, der regelmäßig mit der Tischtennis-Elite Chinas in Kontakt steht.

Dabei waren die Einheiten nahe Wien nicht mehr als ein lockeres Warm-up für das Großereignis. Schon zwei Monate davor waren die 24 Tischtennis-Stars, die von einem zwölfköpfigen Betreuerstab begleitet wurden, in einem chinesischen Trainingscamp kaserniert worden.

Die Professionalität, die Unterordnung ins Teamgefüge und die fast militärische Präzision ihres Auftretens stellten sie selbst in Details auch beim sportlichen Relaxen in Schwechat zur Schau. Der dreifache Einzel-Weltmeister Wang Liqin ist der Teamleader, obwohl der 32-Jährige nur noch die Nummer neun der Weltrangliste ist. "Dennoch wagt es niemand der Spieler, ihn beim Einlaufen zu überholen", sagt Sörös.

Der Respekt vor den Trainern ist sowieso unübertroffen. 2006 wagte es etwa Hao Shuai im Rahmen einer Teamzusammenkunft in der südchinesischen Stadt Sanya, bei Tisch zu telefonieren. Liu Guoliang, schon damals Cheftrainer, maßregelte ihn mit Ohrfeigen links und rechts und nahm ihm das Handy ab. Die Szene wurde auf Video festgehalten, war quasi ein Hit auf Youtube. "Geschlagen ist ein hartes Wort", sagte Liu, damals darauf angesprochen. "Ich habe ihn nur darauf hingewiesen, den Trainern und Teamkollegen Respekt entgegenzubringen." Bei der WM in Rotterdam hat Hao Shuai im Einzel kein Leiberl, der Weltranglisten-17. tritt nur im Mixed-Doppel an. Die Entscheidung der Trainer hat sportliche Gründe, schließlich trainierten in Schwechat neben der Nummer eins Wang Hao auch die Nummern drei bis sechs der Welt.

Die Übermacht der Chinesen im Tischtennis ist beeindruckend wie erdrückend. Bei der Einzel-WM 2009 in Yokohama gingen alle fünf vergebenen Titel an chinesische Athleten, im Finale geschlagen wurden zumeist Teamkameraden. 2007, 2005, 2001 und 1999 waren keine Ausnahmen. Nur 2003 bei der WM in Paris funkte Werner Schlager dazwischen. Der 38-jährige Wiener Neustädter musste für Rotterdam wegen einer hartnäckigen Nackenverletzung absagen.

Ohne großes Aufsehen

Wang Hao, Titelverteidiger im Einzel und im Doppel, gilt auch in den Niederlanden als Topfavorit. "Wir waren schon zweimal zur WM-Vorbereitung in Österreich. Wir fühlen uns wohl hier", sagt er zum Standard. Außerdem konnte man in Schwechat bei perfekten Rahmenbedingungen ohne großes Aufsehen trainieren. "Die Ruhe ist ein Vorteil. Wir fühlen uns deswegen nicht missachtet", sagte der Team-Olympiasieger von 2008.

Chen Weixing, der seit elf Jahren für Österreich antritt, durfte als einer von nur wenigen ausgewählten Sparringpartnern mit den Weltstars an den Tisch. Der 38-Jährige wird in seinem Herkunftsland nach wie vor für seine Defensiv-Künste geschätzt, obwohl er als Nachwuchsspieler den Durchbruch nicht schaffte. 2008, im Vorfeld der Olympischen Spiele in Peking, wurde er als einziger "Ausländer" nach China eingeladen, um mit den Stars zu trainieren. Die Kontakte hat er sich erhalten. "Mein früherer Coach ist heute Sportminister", erzählt er.

Neben Chen Weixing wurde am Donnerstag auch den ÖTTV-Spielern Stefan Fegerl und Daniel Habesohn die Ehre eines Schnuppertrainings zuteil. "Wenn du nicht exakt retournierst, kommt sofort eine Granate, und vorbei ist es", sagte Fegerl, der sich für Rotterdam nach den Lehreinheiten mit den Chinesen chancenlos, aber dafür gut gerüstet sieht. "Egal, wer als Gegner kommt, er kann nur schlechter sein."

Neben fünf Herren nimmt mit Li Qiangbing, die seit 2003 für Österreich spielt, eine einzige Dame die WM in Angriff. Die 26-Jährige ist die Tochter von Li Xiaodong, mittlerweile als Sportdirektor einer der höchsten Tischtennis-Funktionäre Chinas. Er hatte für Li Qiangbing einst keine Chance in Chinas Damen-Team gesehen - und sie dem österreichischen Verband empfohlen.(DER STANDARD Printausgabe, 9.5.2011)