"Das ganze Leben ist ja, als suchte man nach etwas Verlorenem, das es nie gegeben hat. Denn Mütter sind bloße Konstrukte!"

Foto: Der Standard/Genevieve Naylor

Die Tagesmutter

Was machen zwei Drittel der Mütter während des Tages? Sie arbeiten. Sind also Tagesrand-, Wochenend- und Nachtmütter. Tagesmutter ist wer anderer. Und wer das sein soll, das ist die große Frage. Tagesmütter gibt es in allen Varianten, routiniert oder engagiert, aus Liebe zu Kindern oder zum Geld, individuell oder organisiert. In einer Kindertagespflege, die mehr als acht Kinder betreut, muss mindestens eine Tagesmutter als pädagogische Fachkraft tätig sein. An so eine Person wird man sich besser erinnern als an die Spielgefährten. Sie war es, die das blutende Knie abgewaschen und einen getröstet hat - aber auch die, die einen hartnäckig dazu angehalten hat, mittags die ungeliebten Apfelnockerln zu verdrücken, was natürlich einen lebenslangen Widerwillen zur Folge hat, gegen beide, die Tante und die Nockerln.

Die Suche nach einer individuellen Ersatzmama ist ein Glücksspiel. Bekannte suchten per Anzeige, wonach alle suchen: im richtigen Alter, mit anderen, gar eigenen Kindern, erschwinglich und, no na, kinderlieb. Zur Vorstellung kamen unter anderen eine Dame, die sich gleich einmal eine anzündete und über Stundenbasis verhandelte; eine Studentin, der das lärmende Kind offensichtlich ein Problem war; eine beseelte Mutter, deren Kinder nicht mehr bei ihr wohnten und der alles recht war, Hauptsache bio. Mit Letzterer wären die Suchenden zufrieden gewesen, wenn diese nicht am anderen Ende der Stadt gewohnt und schwierige Zeitvorstellungen gehabt hätte.

Andererseits gibt es auch Glücksfälle wie den im Freundeskreis, wo zwei Berufstätige Tagesanschluss für ihren Einjährigen suchten: Schon die erste Antwort auf eine Anzeige kam von einer jungen Frau mit Tochter im gleichen Alter. Sie wohnten in der Nähe. Sie war ausgebildete Kindergärtnerin. In der Familie wurde weder geraucht noch getrunken, dafür biologisch gekocht. Es war zu gut, um wahr zu sein.

Nur mit der Religion gab es ein Problem. Die Familie gehörte einem seltenen, dafür umso intensiver gelebten christlichen Glaubensbekenntnis an und der Pflegesohn nicht. Er war auch nicht getauft, nicht katholisch, eigentlich gar nichts, und das bewusst von den Eltern so gehalten. Aber vielleicht, dachten sich die, tut etwas Frömmigkeit dem verlorenen Schaf ganz gut, wenigstens als Alternative zur staatstragenden Kirche. So kam es, dass die Tagesmutter dem Tageskind die Bibelgeschichten so gut vermittelte, dass der kleine Agnostiker später - er war noch immer bei der Familie - im Religionsunterricht in der Volksschule, den er freiwillig besuchte, zum Liebling der Lehrerin wurde. Getauft ist er zwar bis heute nicht, aber in Grundsätzen der Ethik hat er viel gelernt. Wer sich den ganzen Tag mit einem Kleinkind beschäftigt, macht eben einen größeren Eindruck, als sich manche Eltern träumen lassen. Wie in der Geschichte einer Familie, die in Not einen Freund als Tagsüber-Nanny für die Kleine angestellt hat. Der meldet eines Tages freudestrahlend: "Sie hat ihr erstes Wort zu mir gesagt: Mama!" "Das ist", quittiert der Vater, "immer ein bewegender Augenblick im Leben einer Familie." (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)

Die Rabenmutter

Als mein Vater starb, fragte sie: "Was? Wer?" - "Franz-Josef", sagte ich, "dein Ex-Mann, mein Vater." So lange lag das zurück, dass sie gar nicht begriff, von wem die Rede war. Dann aber stöhnte sie. Oh Gott, ihr würden die Knie weich, sie müsse sich setzen. Sie begann zu weinen und legte wortlos auf.

Man kann von Müttern nicht erwarten, dass sie keine Raben sind. Meine ist einer, der schönste Rabe unter der Sonne, der wegflog, weit weg und uns sitzen ließ ohne Nest. Sie musste, sie flog nicht ohne Grund. Mütter gehen nie ohne Grund, nie ohne diese absolute Verwundbarkeit unterm schwarz gefiederten Panzer.

Sie war die Schönste. Bei Romy Schneider denke ich an sie und bei Catherine Deneuve - und unnahbar, wie diese Schauspielerinnen, haben wir sie kaum nackt gesehen, nie ihren Körper, ihr Fleisch. Fleisch hatten nur wir, die Würmchen. Wohl wahr, sie hat ihre Fittiche um uns gelegt, manchmal. Es waren Fittiche, die für sie selbst kaum zum Fliegen reichten, wie dann zum Wärmen? Und dass die Federn beim Berühren kratzten, dass sie in der Andeutung von Streicheln auch stachen, vielleicht hat sie es gewusst und ein bisschen eine Freude daran gehabt.

Sie war nicht glücklich, selbst ein geschlagenes Kind, musste sie ihre verhasste Mutter in sich ausmerzen. Das geht nur über die Leichen des Nachwuchses. Ich kann verstehen, dass sie gegangen ist, wir haben sie ja auch nicht ausgehalten. Rabenkinder, Unglücksrabenkinder, stoßen ihre Mütter weg, wenn die nicht nähren können. Natur ist grausam nach allen Seiten hin. Vom Schock des Weggangs aber erholt sich keiner mehr. Sie ist nie zurückgekommen. Vielleicht aus Scham und Schuld, vielleicht auch, weil es sehr gut ohne Kinder geht.

Das Medium meiner Mutter ist Distanz. Damals durften wir nicht ins Badezimmer kommen, solange sie sorgfältig ihre lange Morgentoilette ausführte. Ich erinnere mich, wie ich gebannt vom Bett aus auf die Tür starrte, hinter der meine Mutter war. Vielleicht, denke ich heute, wenn ich mich trauen würde, die magische Tür zu öffnen, wäre niemand dahinter. Das ganze Leben ist ja, als suchte man nach etwas Verlorenem, das es nie gegeben hat. Denn Mütter sind bloße Konstrukte.

Eigenartig ist, dass die alt gewordene Stimme meiner Mutter nun wirklich einem Krächzen gleicht. Ich glaube keines ihrer Worte. Zwischen uns ist dieser Knoten aus verstaubter Wut und Kränkung und Trauer und Verlust, der sich unentwirrbar zu einem großen Nichts verschlingt. Was wehtut, ist, dass es nicht wirklich wehtut, oder dass ich nicht weiß, wie weh es tun könnte. Die Leere, die eine verschwundene Mutter hinterlässt, hat etwas von einer eiskalten Leichtigkeit. Es bleibt nur diese Verwirrung über die Verlässlichkeit der Gefühle. Über das rechte Maß von Nähe und Distanz, über die Tragfähigkeit des eigenen Gefieders.

"Was? Wer?" Ich fürchte, ich werde es fragen, wenn irgendwer mich einst anrufen und sagen wird: "Deine Mutter ist tot." Und ich werde nicht wissen, ob die Tränen, die mir dann kommen, echt sind oder ein Fake. (Max Erkelenz/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)

Die Pflegemutter

Sieben Jahre hat sie zum Muttertag von der Stadt Wien 40 Euro bekommen. Jetzt nicht mehr, aber das ist eine gute Nachricht. Bis Juni 2010 war Nora (33) Martins Pflegemutter, seit gut einem Jahr ist sie Adoptivmutter und darf den Achtjährigen, um den sie und ihr Mann sich seit sieben Jahren kümmern, ihren Sohn nennen. Elena, die elfjährige leibliche Tochter der beiden, hat jetzt einen Bruder. Martin trägt den gleichen Familiennamen und freut sich, dass er in der Schule früher aufgerufen wird. "Er ist ohnehin ungeduldig", erzählt die Adoptivmutter, Logopädin in der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Tulln. Das Kinderbeobachten ist ihre Profession. Daher weiß sie, dass Martin sich mit Älteren schwertut, ein Springginkerl ist, ein bisschen mehr Aufmerksamkeit braucht. Um ihn macht sie sich mehr Sorgen als um ihre leibliche Tochter und wünscht sich, dass Martins schwierige erste zehn Lebensmonate keine Spuren hinterlassen werden. Unterernährt, winzig und durchsichtig kam er 2003 in die Familie. Seine Eltern hatten acht Kinder und es nicht mehr geschafft, sich um den Kleinsten zu kümmern. Eineinhalb Jahre weinte er nachts bitterlich im Schlaf. Er wurde gestreichelt und gekost, in Schichtarbeit.

Darauf werden Pflegemütter vorbereitet, in einem halbjährigen Kurs. "Da geht jede romantische Vorstellung verloren, aber das ist gut", sagt Nora. Stattdessen erfahren die Eltern, was psychologisch betrachtet wichtig im Umgang mit den nicht eigenen Kindern ist. Martin weiß, dass er nie in Noras Bauch war, dass seine Eltern ihn liebgehabt, aber es nicht mehr schafften, sich um ihn zu kümmern. Er findet es toll, zweimal im Jahr Geburtstag zu haben. Den "normalen" im April und "den Tag, als er zu uns gekommen ist".

Das Kennenlernen von Martin, der damals schon bei der Krisenpflegemutter war, gestaltete sich schwierig: zu viele Leute, zu viele Eindrücke. "Erst als ich und Martin eine Stunde allein miteinander waren, war alles gut", sagt Nora. Dann ging sie nach Hause und erzählte ihrer Tochter vom Plan, Martin in die Familie zu holen. Die freute sich, weil sie endlich nicht mehr allein hinten im Auto sitzen musste. Dreimal wollten ihn seine leiblichen Eltern seither treffen. Viermal im Jahr besucht Martin seine beiden älteren Brüder im SOS Kinderdorf, darin wird sich trotz Adoption nichts ändern, weil Martin seine Brüder mag. Nora weiß, dass Martins leiblichem Vater die Unterschrift zur Adoptionsfreigabe schwergefallen ist. In einem Brief hat sie versprochen, dass er seine Eltern kennenlernen darf, wenn er das eines Tages will. Warum man so etwas macht? "Weil es viele Kinder gibt, die wenig Glück im Leben hatten. Fürs Kinderhaben muss man nicht immer seine Gene weitergeben." Martin hatte Glück, und Nora auch. (Karin Pollack/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)

Die Großmutter

Du bis ja leichenblaß! Und schluchzt zum Herzerbarmen! Was hat sie dir schon wieder angetan? Nichts, Oma. Ich bin nur so traurig, dass ich nicht bei der Mutti bleiben darf ... Und sie hat gar nichts Böses zu dir gesagt? Sie hat gesagt, ich bin ein Verräter. Was ist ein Verräter? Weil du mir von ihren Herren Verehrern erzählt hast, armes Kind, deshalb! Wahrscheinlich hat sie dich auch wieder angeschrien, ja, sicher hat sie das, diese Wahnsinnige! Nein, ich kann dich nicht mehr zu ihr lassen, sie zerrüttet dein Nervensystem. Schau nur, wie du dich in Weinkrämpfen windest! Ich halt es nicht aus, ohne die Mutti!

Ich habe euch beide aufgenommen. Sie hatte nichts, nichts außer das Kind von meinem wunderbaren Sohn. Eine Deutsche! Ich als Beschützerin einer Deutschen nach dem Krieg! Mein armes Herz! Meine Karriere habe ich aufs Spiel gesetzt! Wer gibt einer Deutschnationalen noch Rollen in Österreich? Immer muss ich die Opfer bringen, immer ich, ich, ich! Dein Vater wollte Arier sein. Er wollte auch meine Karriere retten. Er war ein Heiliger und ein Held. Sag der Gauleitung, ich bin von deinem ersten Mann, hat er gesagt, ich verlange das von dir. Ich werde kämpfen gehen und beweisen, dass ich ein Arier bin. Dann ist er gefallen. Nur das Herz einer Mutter weiß, was das bedeutet. So hör doch zum Heulen auf. Frau Marie! Bitte den Baldrian!

Mutti, Mutti!!!

Sie hat dich wieder völlig verwirrt und seelisch vergiftet, dankbar solltest du sein, nicht so wie deine Mutter! Ich habe euch beide durchgefüttert, und nur weil ich wollte, dass sie mir dafür ein bisschen hilft, mit dem Haushalt und auch mit den Sachen, die ich beim Drehen brauche, hat sie mich zu hassen begonnen und ist arbeiten gegangen, dorthin, wo die Männer sind! Die Witwe meines göttlichen Sohnes! Sogar mit einem russischen Offizier hat sie sich schon eingelassen, von einer Armee, die ihn getötet hat! Ein loses Frauenzimmer!

Oma, ich will zur Mutti! ... zur Mutti!!! Sie hat dich verlassen! Sie will dich nicht! Du bist ihr im Weg bei ihren Amouren. Sie hat dich nicht lieb! Doch, Oma, sie ist die liebste Mutti auf der Welt! Ja, so lieb ist sie, dass sie die Frau, die dich wirklich liebt, hasst! Hasst! Eine Frau, die mit ihren Mutterrollen die Menschen beglückt, weil sie ein Herz hat, ein österreichisches Herz, nicht ein kaltes, norddeutsches, liederliches!

Oma, bitte, hör auf! Hör auf!!! Ach, ich soll aufhören, während sie mich bei dir und der ganzen Stadt schlechtmachen darf. Wie niederträchtig sie alles verdreht! Deshalb habe ich ihr mit meinem Anwalt die Vormundschaft entziehen müssen. Ich musste dich vor ihr retten.

Oma, was ist Vormundschaft? Liebe, mein Kind, Liebe zu einem armen, unschuldigen, vierjährigen Kind. (Wolfgang Rosar/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)

Die Schwiegermutter

"Ein Mann kommt in die Apotheke und verlangt ein Pfund Rattengift. Da sagt der Apotheker: ,Das kann ich nur gegen Rezept abgeben!' Der Mann zeigt ein Bild seiner Schwiegermutter. Darauf sagt der Apotheker: ,Das lasse ich gelten!'" Schenkelklopfer wie diesen findet man auch noch im Jahr 2011 zuhauf im Internet. Ich neige allerdings zur Ansicht, dass es sich beim Schwiegermutterwitz um übriggebliebenes Schwemmgut aus glücklicherweise vergangenen Zeiten handelt. In Wahrheit ist die Gattung so mausetot wie psychedelische Poster oder Hula-Hoop-Reifen.

Die Basis des Schwiegermutterwitzes ist die eng gewirkte Kleinfamilie, und die ist nur noch ein Modell des Zusammenlebens unter vielen. 1,4 Millionen Singles leben in Österreich, allein dies ein Umstand, der die Institution des Schwiegermuttertums gewaltig ausgedünnt hat. Dazu kommt die Patchworkfamilie mit ihren komplizierten Rollenverteilungen, bei der meist mehrere Schwiegermütter und Ex-Schwiegermütter im Spiel sind, sodass allfällige Problemschwiegermütter nicht mehr so ins Gewicht fallen.

Es ist nicht auszuschließen, dass es hin und wieder auch bitterböse Schwiegermutter gibt. Die Gebrüder Grimm berichten in ihrem Märchenfragment Die Schwiegermutter von folgendem Fall: Ein König muss ins Feld ziehen, und seine Schwiegermutter nutzt seine Abwesenheit, um ihre eigene Tochter, die Königin, und deren zwei Söhne (also ihre Enkel) in ein Verlies zu sperren. Außerdem bekommt die Schwiegermutter große Lust, die Enkel zu essen (einen in brauner Soße, einen in weißer), was nur dadurch verhindert werden kann, dass man ihr ein Ragout von Spanferkeln als angebliches Enkel-Ragout unterschiebt. Auf solche Schwiegermütter kann man verzichten.

Damit zu meiner eigenen Schwiegermutter. Meine Schwiegermutter ist freundlich und nett. Nie hat sie versucht, meine Töchter aufzuessen. Das hat im Lauf der Zeit ein Vertrauensverhältnis zwischen uns geschaffen. Wir leben in unterschiedlichen Welten, aber wir respektieren dies. Ich zeige mich dafür auch erkenntlich: Auf die Idee, einen Schwiegermutterwitz zu erzählen, käme ich nie und nimmer. Eher würde ich ein Pfund Rattengift verzehren. (Christoph Winder/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)

Die Landesmutter

Die Heilige Hemma von Gurk, die Heilige Waltraut Klasnic von Steiermark, die Heilige Gabi von Salzburgstaller. Landesmütter allesamt. Sobald eine Frau bei uns in den obersten Landessessel klettert, wird sie zur Heiligen, zur Mutter aller Mütter, zur Mutter des Landes, zur Landesmutter. Das Klettern einer Frau in den Polsterdrehsessel eines Mannes, eines Hauptmannes, eines Landeshauptmannes ist ein dermaßen seltenes Ereignis, dass dafür Begrifflichkeiten bemüht werden, die aus dem Mystisch-Sakralen kommen. Viele werden Mütter, wenige werden Landesmütter. Das hat weniger mit Mutterschaft als mit Macht zu tun. Lady Di, eine anorektische Kindergärtnerin, war so hübsch wie machtlos. Sie blieb eine Lady und wurde maximal zur Mutter der Herzen. Mutter des Landes wurde Diana Spencer nie.

Aber Macht ist noch nicht Mutter. Nicht in den Nebelschwaden des Mystischen. Nie würde die Chefin der, sagen wir einmal, Nationalbank, als Nationalbankmutter apostrophiert werden, oder die Elektrokonzernchefin als Elektrokonzernmutter. Nie. Die Mutterschaft als heiligmäßiger Machttitel bleibt der Hauptfrau vorbehalten. Der Landeshauptfrau. Der Frau Landeshauptfrau. Der Frau Landeshauptmann, wie es auch schon hieß.

Waltraut Klasnic legte enormen Wert darauf, mit "Frau Landeshauptmann" angesprochen zu werden. Gabi Burgstaller, eine Gabi und keine Gabriele, noch im Amt und nicht abgesägt, verfolgt ein anderes Selbstverständnis ihrer Melange aus Frau und Regierungschefin. Sie nennt sich in ihrer Funktion Landeshauptfrau. Frau Landeshauptfrau. Schon eine Frau auf einem Landeshauptmannsessel, selbst wenn dieser gerade als Landeshauptfrausessel in Erscheinung tritt, verwirrt die Landeseinzelne, verwirrt den Landeseinzelnen.

Worin besteht das Mysterium der Landesmutter? Die Landesmutter sitzt wie eine Termitenkönigin im weitverzweigten Landesbau und legt in großer Fleißigkeit Landeier. Projekte und Projekterln. Fleißig nährt die Landesmutter Projekte und Projekterln mit Subventionsnektar aus ihrem mächtigen und prallgefüllten Landesmutterleib. Bestellt Wächter und Boten, Ausrufer und Verkünder, Aktenblätterer und Bestempler, Projektstreichler und Nektar-umrührer. Dazwischen tätschelt die Landesmutter die Köpfe der Landeskindergartenkinder, durchsticht Landestunnels, sichert die Ränder eingestürzter Pingen, beschreitet Landesstraßen, klatscht auf Landesbühnen, staunt in Landesmuseen und lässt das Wasser ein in großen und sauberen Landesschwimmbädern. Und manchmal legt die Landesmutter die Stirne in Falten und richtet den Gesinnungsgenossen in der Bundeshauptstadt ihre Position zu diesem und jenem mit. Mit kritischem Gestus und ernstem Ton. Manchmal und bisweilen. Je nachdem. Den Damen und Herren im Bund. Wo es keine Mutter gibt. Keine Bundesmutter. Nur Maria Theresia selig. (Andrea Maria Dusl/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)

Die Stiefmutter

Angela Merkel ist eine, Camilla Parker-Bowles oder auch Carla Bruni, was wiederum klarmacht, warum Stiefmutter ausgerechnet auf Französisch "la belle mère" ("die schöne Mutter") heißt. Ich habe auch eine (nicht nur eine). Irgendwann war sie da. Später. Sie war ja nicht der Grund für die Scheidung meiner Eltern. Trotzdem brachte sie etwas mit, das kleine Mädchen gar nicht gerne haben: ein noch kleineres Mädchen, das gleich "Papa" sagte - zu meinem Papa. Das mochte ich gar nicht. Haltloses Kinder-Schluchzen hat den Standesbeamten zwar einigermaßen aus der Routine gebracht, abgehalten hat es ihn nicht, mir eine Stiefmutter zu bescheren. Der verwöhnte Satansbraten war jetzt offiziell meine Stiefschwester. Böse? Oh ja! Wie im Märchen vom armen Aschenputtel.

Ich hatte feste Vorsätze, und meine Stiefmutter machte mir das Leben nicht leicht. Es war wirklich schwer, sie nicht zu mögen. Die Frau war eine Primadonna, ohne eine zu sein. Sie trug Pelzjacken, aber liebte (als gebürtige Texanerin) McDonald's. Ihr Kolleratursopran-Lacher war mitreißend. Sie konnte sich gleichzeitig schminken, einsingen und Operntexte lernen, und das alles bei 160 Sachen auf der Autobahn. Sie hinter dem Steuer, versteht sich. Sie verlor niemals die Nerven, auch nicht, als ich ihr fünf Minuten vor Liederabendbeginn ein Brandloch in die Abendrobe bügelte.

Ich erinnere mich an ein bemüht beschauliches Weihnachtsfest der Liebe, was - im Nach- hinein betrachtet - für keinen von uns super war, nicht für mich, nicht für meine Mutter, Stief- mutter, Stiefschwester, meinen Stiefvater oder Vater. Aber wenn man aus unterschiedlichen Nöten eine gemeinsame Tugend macht, heißt das in der Regel Patchworkfamilie, ein Flickengewebe, dessen Nähte Narben sind - und bleiben.

Als sie offiziell nicht mehr meine Stiefmutter war, lebte ich ein Jahr bei ihr in den Staaten. Weil sie Stief- und nicht Mutter war, konnte sie meine spätpubertären Ausritte in Richtung Adoleszenz gelassen nehmen. Meine Mutter übrigens war dem texanischen Lacher so erlegen wie ich. Legendär ihr Satz, sie fahre jetzt "zur Ex-Frau ihres Ex-Mannes", um mich zu besuchen. Spätestens da wusste ich, dass so ein Flickenwerk auch sein Gutes hat - über Jahre und Entfernungen hinweg. Das texanische Urgestein lebt heute wieder in Houston und übersteht dort gelassen jeden Tornado. Auch in mir. Sie bleibt die Mutter aller Stiefmütter. Bis heute. (Mia Eidlhuber/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. Mai 2011)