Abraham Foxman, Chef der US-amerikanischen Anti-Defamation-League. Dokumentarfilmer Yoav Shamir spricht mit ihm für den Film "Defamation" in Auschwitz.

Foto: Arte/Yoav Shamir

Wien - "Ich bin israelischer Jude - und habe selbst noch nie Antisemitismus erlebt", sagt der 41-jährige Filmemacher Yoav Shamir und macht sich auf die Suche. Der Weg führt ihn von Israel hinaus in die Welt - weit hinaus, denn in Israel reden zwar alle von Antisemitismus, aber ob mehr als 70 Jahre nach dem Holocaust Juden noch immer Hass ausgesetzt sind, ist nicht so einfach zu beantworten.

Vorfälle in den USA

Shamirs Recherchen im Dokumentarfilm "Defamation" (Freitag, 22.40 Uhr, Arte) beginnen bei der amerikanischen Anti-Defamation-League (ADL), der größten Organisation gegen Antisemitismus. Die ADL verfügt über ein Jahresbudget von 70 Millionen Dollar, ihr Präsident Abraham Foxman verzeichnet jährlich 1500 antisemitische Vorfälle in den USA. Foxman stammt aus der Generation, die den Holocaust noch selber erlebt hat. Er war im KZ, und der Holocaust ist für ihn allgegenwärtig. "Wie eine Warnung, was passieren könnte, wenn man sich den Dingen nicht früh genug entgegenstellt." Shamir würde gern einen der Fälle dokumentieren, richtig fündig wird er nicht. Meistens geht es um nicht erlaubte freie Tage für jüdische Feiertage.

Dann reist er mit israelischen Studierenden nach Auschwitz. Wie sie sich vor der Abreise fühlen: "Keiner kann uns leiden, damit wachsen wir auf." - "Wir wissen, dass wir gehasst werden." - "Alle hassen uns Juden, damit wachsen wir auf." Auschwitz ist ein Schock, Trauer, Tränen, sie stehen im Kreis, halten einander und weinen haltlos.

Antisemitismus "ist überall", sagt der jüdische Journalist Noah Klinger. Vor ihm steht der Bildschirm, auf seiner Hand sieht man die KZ-Nummer eintätowiert. "Frankreich ist antisemitisch, Deutschland auch, Südamerika ist immer noch rassistisch und natürlich die muslimischen Länder. Eigentlich alle."

So wie Angst könne auch Antisemitismus identitätsstiftend sein, vermutet Shamir: Nicht nur für Antisemiten, sondern auch für Juden selbst. Shamir definiert die Thematik als Generationenproblem. Er diskutiert die Vergangenheit nicht weg, stellt aber Nutzen und Zweck der Opferrolle in der heutigen Zeit infrage. Er vermutet, dass die Betonung auf "unserer Vergangenheit uns hindert, vorwärtszugehen".

"Hier unser Leiden"

"Leiden als Totschlagargument", nennt das der Israelkritiker Norman Finkelstein und leitet auf den Konflikt mit den Palästinensern über: "Hier unser Leiden, jetzt jagen wir euer Haus in die Luft."

In der schwarzen Community New Yorks stößt Shamir tatsächlich auf Antisemitismus. Die Protokolle der Weisen von Zion solle Shamir lesen, empfehlen ihm junge Männer. Das Buch ist antisemitisch. Ohnmachtsfantasien kochen hoch, wahllose Schuldige werden gesucht: Neben Juden beherrscht die Uno die Welt. Das sind schließlich wieder die alten, abscheulichen Argumente. (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 6.5.2011)