Heinz Oberhummer mit seinen atheistischen Mitstreitern vor dem Parlament.

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Politik und Experten: Philosoph Liessman, die Minister Töchterle und Schmied, Theologe Paul M. Zulehner.

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Wissenschaftsminister Töchterle: Ethik als Ergänzung zum Religionsunterricht.

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Ungewohnter Anblick im Plenum des Nationalrats: Kardinal Christoph Schönborn sitzt unter Atheisten, Orthodoxen, Juden und Moslems.

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Liessmann sagte, Ethikunterricht sei kein Ersatz für Religionsstunden, Ethik müsse von der Frage der Religion abgekoppelt betrachtet werden.

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Konfessionsloser Oberhummer: "Keine Zwangsmissionierung unter dem Deckmantel der Werteerziehung."

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Wien - Heinz Oberhummer kam ohne Gott, aber auch nicht alleine. Vier Atheisten begleiteten den streitbaren Professor, als er das Wiener Parlament betrat, um über den Ethikunterricht zu diskutieren. "Ich bin heute der einzige Ketzer im Parlament. Früher hat man die angezündet", scherzte Oberhummer. "Ich habe ein paar meiner Studenten gebeten, Feuerlöscher mitzunehmen."

Dann posierten die Atheisten in ausgelassener Stimmung fürs Gruppenfoto. Doch das Thema der Enquete war ernst, das verriet schon der Titel: "Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft". Es geht um die Zukunft des Unterrichtsfachs Ethik, das schon seit 14 Jahren und an mittlerweile 200 Schulen als Schulversuch läuft. Dass man dabei nicht an der Religion vorbeikommen würde, verriet auch die Gästeliste: je zwei Vertreter aller anerkannten Religionsgesellschaften. Wo sonst die Abgeordneten tagen, saßen am Mittwochnachmittag also Bischöfe, Imame und Rabbis. Und der katholische Kardinal Christoph Schönborn lauschte ganz bescheiden auf einer der hinteren Bänke.

Ethik birgt politischen Zündstoff

"Was darf unser weltanschaulich neutraler Staat an Werthaltungen überhaupt vorgeben?", stellte Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SPÖ) in der Eröffnungsrede gleich eine zentrale Frage in den Raum. Mit ihrem Nachredner, dem Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle (ÖVP), war man dann schon mitten in der teilweise hitzig geführten Debatte. Denn der Tiroler Ex-Rektor plädierte für Ethikunterricht als sinnvolle Ergänzung zum Religionsunterricht. So könnten beide Fächer existieren und Werte vermitteln.

Das sahen freilich nicht alle Redner so. Wie der Ethikunterricht gesetzlich geregelt werden soll, was in dieser Schulstunde genau gelehrt werden soll, oder wer als Lehrer für Ethik-Lektionen in Österreichs Klassenräume darf - die Parteien und die Kirchen haben verschiedene Meinungen. Ob Ethik besser ein Ersatzfach für den Religionsunterricht werde oder ein Gegenstand, den alle Schüler von 14 bis 18 verpflichtend besuchen müssen, ist politisch noch keineswegs entschieden.

Oberhummer: Religion durch die Hintertür

Im Grunde entzündet sich der Konflikt an nichts weniger als der Frage: Welche Ethik will der Staat seine Bürger lehren? Die beantworteten die Redner auf mannigfaltige Weise. Kulturkämpfende FPÖ-Politiker kamen da ebenso zu Wort wie glühende Moslems; der religionskritische Philosoph Konrad Paul Liessmann genauso wie die Zeugen Jehovas. Natürlich auch Schuldirektoren und Pädagogen, die aus der Praxis erzählten. Und Professor Oberhummer, der einzige dezidierte Atheist im Plenum.

"Wir benötigen keine Zwangsmissionierungen unter dem Deckmantel der Werteerziehung", stellte der pensionierte Physiker klar. Die offenbar geplante österreichweite Einrichtung eines verpflichtenden Ethikunterrichts mache ihm Sorgen. "Ein kritischer Blick auf Leute, die das propagieren, lässt eine überwiegend religiös geprägte Interpretation erahnen", beklagte er. Seine atheistischen Mitstreiter schickten zur selben Zeit eine Presseaussendung: Die Zahl jener, die religiöse Unterweisungen ablehnen, werde immer größer, "doch Kirchen und ÖVP ist diese Entwicklung seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge". Ethikunterricht als Religionsunterricht durch die Hintertür, als "Maßregelung für Abtrünnige", fürchtet der Professor, der überhaupt nur über Einladung der Grünen-Fraktion im Parlament sprechen durfte. "Warum ich keine Einladung bekam, engeht meinem demokratischen Hausverstand", schmetterte der 69-Jährige dann noch den Parlamentariern entgegen.

Streitpunkt: Ersatz oder Zusatz

Das Kontra auf Oberhummer folgte prompt. Karl Schiefermair, Geistlicher Oberkirchenrat der evangelischen Kirche wies Oberhummer darauf hin, dass der an diesem Nachmittag vielfach zitierte evangelische Theologe Karl Schweitzer unter Ethik zum Beispiel etwas ganz anderes verstehe als der anwesende Philosoph Liessmann. "Das ist der Hintergrund, warum sich die Religionen so sehr dafür interessieren, was hier unter Ethik verkauft werden soll."

So konnte und wollte keiner der zahlreichen Redner sein weltanschauliches Kleid ablegen. "Die Frage des Ethikunterrichts muss von jener des Religionsunterrichts abgekoppelt werden", befürwortete Liessmann einen Ethikunterricht für alle Kinder, auch solche, die konfessionelle Religionsstunden besuchen. Das sah auch die Grüne Alev Korun so, während der FPÖ-Abgeordnete Andreas Karlsböck  am Status-Quo des Religionsunterrichts festhielt: "Wenn alle Konfessionen gleichwertig im Ethikunterricht vorkommen, heißt das, alles ist gleich und alles erlaubt." Dann herrsche Gleichgültigkeit statt christlicher Werte. Anton Bucher, Theologe an der Uni Salzburg und profunder Kenner des Schulversuchs Ethik, hatte in seiner Impulsrede nämlich die Vision beschrieben, dass"Ethik und Religion" als gemeinsames Fach für alle unterrichtet werden sollte.

Kirchen gegen Ethikunterricht für alle

Dies stieß nicht nur der FPÖ, sondern auch Anas Schakfeh, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, sauer auf. "Das bedeutet die Abschaffung des konfessionellen Religionsunterrichts, und das wollen wir nicht." Schakfeh widersprach auch Liessmann: "Wir sind für den Ethikunterricht als Zusatz, aber gegen den Ethikunterricht für alle." Dies argumentierte er mit den Kosten, die ein zusätzliches Schulfach verursache.

Österreichs größte Religionsgemeinschaft, die katholische Kirche, will sich einem Ethikunterricht nicht verschließen, will diesen aber ausschließlich als Ersatz für jene Kinder, die keinen Religionsunterricht besuchen, also ohne Bekenntnis sind oder sich abgemeldet haben. "Selbstverständlich" sollen auch Religionslehrer diesen Ethikunterricht erteilen dürfen, sagt Erich Leitenberger, Sprecher der Erzdiözese Wien, zu derStandard.at. "Diese haben schließlich auch eine philosophische Ausbildung."

Nur einer von vielen strittigen Punkten der Enquete-Teilnehmer im Parlament. So fiel der Vorhang. Und alle Fragen offen. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 4.5.2011)