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"Working Poor" sind auch beim Maiaufmarsch in Taipei Thema. Hierzulande ging es vor allem den Parteien darum, ihr Profil zu schärfen.

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Roland Verwiebe und Nina-Sophie Fritsch haben sich Österreich angeschaut. Von 2004 bis 2008 hat sich das Armutsrisiko für Arbeitende in der Landwirtschaft und bei Banken deutlich erhöht. "Bei den Banken ist der Zuwachs auf den starken Ausbau von gering entlohnten Tätigkeiten im Kredit- und Versicherungswesen zurückzuführen".

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Wenig erfreulich ist die Situation auch im Bereich der "personenbezogenen Dienstleistungen" - also in Wäschereien, Reinigungen, im Frisör- und Kosmetikbereich.

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Migranten sind deutlich stärker von Armut bedroht als österreichische Arbeitnehmer. Das Risiko bei dieser Gruppe ist zwischen 2004 und 2008 deutlich gestiegen - nicht gerade integrationsfördernd steht zu befürchten.

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Den jüngst begangenen Tag der Arbeit haben die Parteien genutzt, um ihre Positionen zu bekräftigen. Die SPÖ pochte beim traditionellen Mai-Aufmarsch auf "soziale Gerechtigkeit" und die ÖVP bei ihrer Arbeitssitzung auf den Leistungsgedanken. Die neue ÖVP-Regierungsriege richtet ihren Fokus bekanntlich ganz auf die "Working Rich" oder die Leistungsträger. Auch in Sachen Arbeitslosenquote gab es einmal mehr Positives zu vermelden. Ein willkommener Anlass, wieder einmal die Kehrseite der Arbeitswelt, die "Working Poor" ins Gedächtnis zu rufen. Die werden laut unterschiedlichen Einschätzungen nämlich mehr.

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"Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen." August Bebel (geb. 1840), Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, bezog sich mit den geflügelten Worten großzügig auf die Bibel. Bei der Adaptierung der Paulus-Warnung an die Thessaloniker, sich nicht dem Müßiggang hinzugeben, fiel ein nicht unerhebliches Detail unter den Tisch: "Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Wir hören aber, dass einige von euch ein unordentliches Leben führen und alles Mögliche treiben, nur nicht arbeiten." Adolf Hitler setzte der sozialdemokratischen Version noch eins drauf: "Wer nicht arbeitet, soll nicht essen. Und wer nicht um sein Leben kämpft, soll nicht auf dieser Erde leben. Nur dem Starken, dem Fleißigen und dem Mutigen gebührt ein Sitz hinieden." 

Von Jörg Haider - Gott hab ihn selig - ist die Aussage überliefert, "Wer nicht arbeitet, wird sich wieder ans Arbeiten gewöhnen müssen. Weiters ist dieses System auch ein Signal an die Jugend ... und an alle Sozialschmarotzer, denen man sagen muss: ‚Der Fasching ist aus und jetzt wird wieder in die Hände gespuckt." Und dem deutschen SPD-Politiker Franz Müntefering zum Thema Folgendes eingefallen sein: "Wer arbeitet, soll etwas zu essen haben, wer nicht arbeitet, braucht nichts!"

Auch wer arbeitet, kann oft nicht essen

Eine ganz aktuelle Abwandlung der biblischen Worte harrt allerdings noch ihrer Geburt: "Auch wer arbeitet, kann nicht essen." Passen würde diese Version heute auf die so genannten Working Poor. Auf die Menschen, die sich ihr Leben trotz aller Arbeit nicht leisten können. Rund sieben Prozent der Erwerbstätigen zählen im europäischen Durchschnitt dazu. In Österreich zählte der Gewerkschaftsbund im Oktober vergangenen Jahres 350.000

Der Begriff war vor zwanzig Jahren quasi unbekannt, gegeben hat es ihn allerdings schon lange zuvor, ruft Historiker Wolfgang Maderthaner im Gespräch mit derStandard.at in Erinnerung. "Working Poor spielten im sozialreformerischen Diskurs Mitte des 19. Jahrhunderts eine große Rolle. Friedrich Engels, klassischer Bourgeois und Firmenbesitzer, war wohl der Bekannteste, der seine Stimme erhob und kundtat, dass dieses Elend nicht mehr vertretbar sei." Damals, im "Manchesterkapitalismus" stand eine für ihre fachlichen Fertigkeiten relativ gut bezahlte Arbeiteraristokratie einer großen Masse (rund 80 Prozent) an schlecht bezahlten Arbeitssklaven gegenüber. Die aufblühende Industrie saugte sie in Unmengen aus dem ländlichen Raum förmlich auf und dann an den Maschinen mehr oder weniger aus. Arbeiten, um zu leben, war mit den Hungerlöhnen in dieser Zeit nicht drin. Die Geschichte nahm mit den bekannten Sozialreformen ihren Lauf.

Wiederaufbau und Wohlstand

In der Wiederaufbauphase nach dem zweiten Weltkrieg gab es bekanntlich alle Hände voll zu tun. Auch wenn viele damals von der Hand in den Mund lebten und sich wohl manch einer die Butter aufs Brot bei weitem nicht leisten konnte, Working Poor gab es im öffentlichen Diskurs nicht. Erst in der jüngeren Vergangenheit schleicht sich das Phänomen wieder von den Rändern in die Mitte ein. "Globalisierung, Verlagerung von Arbeitsplätzen, das Outsourcing von Beschäftigung in Niedriglohnbereichen, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen... bedeuten eine Rückkehr sozialer Unsicherheit ... ins Zentrum der Gesellschaft", schreibt der Soziologe Manfred Krenn im sozialdemokratischen Organ "Die Zukunft". Den zunehmenden Niedriglohnsektor nannte die deutsche Hans-Böckler-Stiftung jüngst in einer umfangreichen Analyse und kam zu dem Schluss, dass "die Zahl der arbeitenden Armen zunehmen wird, weil Geringverdiener immer öfter Haupt- statt Nebenverdiener sind."

Schlecht bezahlt, Teilzeit oder Minijobs

Von den Früchten seiner Arbeit kann heute vielfach nicht leben, wer Teilzeit oder geringfügig arbeitet, Leiharbeiter, schlicht schlecht bezahlt ist oder sich mit diversen Minijobs über Wasser hält. Auch wer sich als "Ich-AG" versucht, oder mit einem Mittelklassejob eine Familie ernähren muss, hat oft keine guten Karten.  Armut ist heute kein Problem des "unteren Randes" der Gesellschaft, sondern ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, schreiben Roland Verwiebe und Nina-Sophie Fritsch in einer aktuellen Studie in der Sozialwissenschaftlichen Rundschau. Erwerbsarbeit schütze nicht mehr vor Verarmung, auch ein Vollzeitjob bringe immer häufiger nicht genug Geld, um abgesichert leben zu können. Und: "Österreich reiht sich in die Gruppe jener Länder ein, die mit wachsender sozialer Ungleichheit konfrontiert sind."

Junge, Migranten und Frauen

In den so genannten atypischen Beschäftigungsverhältnissen landen gern vor allem Migranten, junge Menschen und Frauen. Maderthaner hält es vom volkswirtschaftlichen Standpunkt widersinnig, dass gerade die jungen gut ausgebildeten als "Working Poor" ins Arbeitsleben starten. Immerhin haben die oft als Langzeitpraktikanten eingesetzten Billigarbeitskräfte greifbare Aussichten auf besser bezahlte Jobs. Schlechter schaut es naturgemäß für die in Teilzeit feststeckenden Mütter mit geringer Qualifizierung aus. Die kommen aus der Abwärtsspirale kaum heraus. Mag sein, dass das dem Interesse so mancher eher entgegen kommt.

"Marktgerechtes Segment"

Potenzielle Argumente dafür finden sich beim Soziologen Manfred Krenn, der auf die starke Segmentierung nach Geschlecht und ethnischer Herkunft am heimischen Arbeitsmarkt verweist, die mit hohen Lohn- und Einkommensdifferenzen zwischen den Branchen einhergeht. 2007 war der durchschnittliche Bruttolohn in der Energiebranche fünfmal so hoch wie im Hotel- und Gastgewerbe. "Diese traditionelle Lohnspreizung wurde durch ökonomische Restrukturierung, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Sozialstaatsreformen noch weiter verstärkt, was sich an den in den letzten Jahren höheren Einkommenszuwächsen der Hochlohnbranchen zeigt. Gleichzeitig ist in den letzten zwanzig Jahren zunehmend ein flexibles Arbeitsmarktsegment entstanden, das sich v.a. aus Saisonarbeit, Teilzeitbeschäftigung und anderen prekären Beschäftigungsformen speist. Die sind quasi marktgerecht."

"Marktorientierte Arbeitsmarktpolitik"

Auch die zunehmende Veränderung der heimischen Arbeitsmarktpolitik in Richtung "marktorientierter, auf kurzfristige Arbeitsmarktintegration ausgerichtete Dienstleistung" führt Krenn ins Treffen. "Zum einen kann man eine zunehmend restriktivere Ausrichtung beobachten, die sich in einer Reduktion der Leistungsansprüche, einer Verschärfung der Zumutbarkeitsbestimmungen und einer Zunahme der Sanktionsmöglichkeiten niedergeschlagen haben. So haben sich die Sanktionen gegenüber Arbeitslosen von 1990 bis 2005 verfünffacht." Dahinter verortet Krenn das Credo, dass "jede Arbeit besser als keine Arbeit sei."

Verschiebung bei den Betroffenen

Ganz so pessimistisch schätzt Historiker Maderthaner die Lage nicht ein. Schon aus ökonomischem Interesse gelte es zu bedenken, dass die Menschen einfach produktiver wären, wenn sie nicht nehmen müssen, was sie kriegen. Das Segment der Working Poor sieht er - wenn auch im Rahmen - anwachsen. "Die Umstrukturierung auf den Arbeitsmärkten ist nicht abgeschlossen." Möglich sei auch jederzeit eine Verschiebung bei den Betroffenen. "Dass Akademiker zu den Working Poor zählen, war vor zehn Jahren noch undenkbar." Zu übertriebenem Pessimismus sieht er allerdings keinen Anlass: "Die Lehren aus den 30er-Jahren wurden gezogen, da bin ich mir sicher."

Sollte Maderthaner sich diesbezüglich irren, bleibt immer noch die Hoffnung auf die Milde der "Working Rich". Diese so genannten Leistungsträger will die derzeitige Regierung ja mit heftiger Zuneigung und Zuwendung bedenken. Die lebensrettenden Brosamen für die armen Arbeitenden dürften damit wohl gerettet sein. (Regina Bruckner, derStandard.at, 5.5.2011)