"Die Hochschullandschaft wird zu einer Fachhochschullandschaft umgebaut", bemängelt der Fotophysiker Niyazi Serdar Sariçiftçi.

Foto: JKU

Karin Krichmayr sprach mit ihm über Zukunftsvisionen und Uni-Politik.

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STANDARD: Die Linzer JohannesKepler-Uni (JKU) ist in intensiven Verhandlungen mit Stadt, Land und Wissenschaftsministerium, weil sie fürchtet, dass Sie ins Ausland wechseln könnten, sollte nicht mehr Geld für Ihre Institute aufgetrieben werden. Was bieten denn andere Unis?

Sariçiftçi: Das Thema erneuerbare Energien hat eine neue Relevanz bekommen, leider aus einem traurigen Anlass. Seit der Atomkatastrophe in Japan ist in vielen Ländern sowohl psychologisch als auch politisch ein Umdenken zu beobachten. Berufungen habe ich schon viel früher bekommen, aber jetzt zeigt sich, dass das Thema, an dem wir forschen, sehr aktuell ist. Viele Unis wollen Forschung in diesem Gebiet aufbauen. Dadurch gibt es eine Art Wettrennen um qualifizierte Leute.

STANDARD: Sie haben also ganz konkrete Angebote?

Sariçiftçi: Natürlich. Ich bin sicher nicht jemand, der ohne Anlass irgendeine Aktion startet.

STANDARD: Warum haben Sie nicht gleich angenommen?

Sariçiftçi: Das ist im Prinzip die Art, wie man in der Academia vorgeht. Man bekommt Angebote, die legt man vor und startet Gegenverhandlungen. Ich arbeite seit 15 Jahren in Linz. Wenn ich ohne irgendeinen Muckser den Koffer packe und Auf Wiedersehen sage, ist das unfair und fast sittenwidrig. Ich mache meine Arbeit sehr gern, und ich werde sie mit großer Freude weitermachen - wenn nicht hier, dann woanders.

STANDARD: Wovon hängt das ab?

Sariçiftçi: Ich denke, dass die Universität, das Land oder Österreich an sich eine strategische Entscheidung treffen sollten, ob man in Forschung zu erneuerbaren Energien investiert. Für mich persönlich ist das eine einfache Entscheidung. Wenn ein Fußballer bei einem Verein ist, der sich entscheidet, Basketball anstatt von Fußball zu fördern, dann wird er auch den Verein wechseln.

STANDARD: Mit Nobelpreisträger Alan Heeger waren Sie Pionier bei der Entwicklung von Plastiksolarzellen, jetzt wollen Sie mithilfe von Sonnenenergie und CO2 Treibstoff produzieren. Wie weit sind Sie bei der Lösung der Energieprobleme?

Sariçiftçi: Es geht um verschiedene Arten, die Sonnenenergie in nutzbare Energie umzuwandeln. Eine der ältesten ist, sie in Wärme umzuwandeln. Den zweiten Ansatz, Sonnenenergie mittels Fotovoltaik direkt in elektrische Energie umwandeln, gibt es seit den 50er-Jahren. Wir haben unseren Beitrag geleistet, indem wir Fotovoltaik in organischen Kunststoffen entdeckt haben. Mittlerweile sind organische Solarzellen ein kommerzielles Produkt. Die intelligenteste Form der Umwandlung hat die Natur selbst erfunden, nämlich die Sonnenenergie in chemische Energie umzuwandeln, in eine Substanz, die Energieträger ist. Das wird in der natürlichen Fotosynthese seit dreieinhalb Milliarden Jahren praktiziert.

STANDARD: Sie wollen also die Fotosynthese künstlich nachahmen?

Sariçiftçi: Das ist die "next frontier", das nächste große Ziel. Wenn wir das schaffen, werden wir sowohl die gesamte Speicherproblematik der erneuerbaren Energien als auch die CO2-Problematik lösen. Überschüssige Sonnen- und Windenergie kann dazu verwendet werden, um durch Elektrolyse Wasserstoff zu produzieren. In einer chemischen Reaktion mit CO2 werden Kohlenwasserstoffe daraus. Man kann also CO2 in Gas oder Benzin umwandeln, das bei der Verbrennung CO2-neutral bleibt. Und der überschüssige Ökostrom kann als synthetisches Erdgas in den weltumspannenden Pipelines gespeichert werden.

STANDARD: Wo hakt es noch?

Sariçiftçi: Die einfachste Methode haben wir schon in der Spin-off-Firma Solarfuel in Stuttgart realisiert. In deren Anlagen wird Methan erzeugt, das der Hauptbestandteil von Erdgas ist. Es gibt aber schier unendliche viele Substanzen, die Energieträger sind. Die wichtigste Herausforderung ist, die richtigen zu fin-den. Mein Traum wäre, so etwas wie Dodekan oder Oktan, also sauberen Treibstoff herzustellen, den man mit der jetzigen Infrastruktur fahren kann. Das wird noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern.

STANDARD: Wird man in Zukunft die Energiewende ganz ohne Atomenergie schaffen?

Sariçiftçi: Stellen wir uns das Jahr 2250 vor: Bis dann wird es auch in Europa Atomunfälle gegeben haben, weil rein statistisch jedes 15. bis 20. Jahr irgendwo ein GAU entsteht. Niemand wird ernsthaft weiter Atomkraft betreiben wollen. Das wenige Erdöl, das es noch geben wird, wird man für pharmazeutische Produkte verwenden. Wir werden massive CO2-Probleme haben, denn eine Lösung wird sein, dass man verstärkt auf Kohle umsteigt - was ich auch für sehr bedenklich halte. Es bleibt also nichts übrig, als auf erneuerbare Energien zurückzugreifen. Ich sehe es als meine Aufgabe, die Instrumente dafür zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht meine Aufgabe, politisch zu entscheiden.

STANDARD: Sie waren selbst von 2003 bis 2009 im Linzer Gemeinderat. Sollten sich Wissenschafter mehr politisch engagieren?

Sariçiftçi: Ich sehe das als mein Recht und auch als meine Pflicht in einer Demokratie, aktiv meine politische Meinung zu äußern, ansonsten landen wir in einer Spezialisten- und Marionettengesellschaft. Wenn jeder Intellektuelle und Topausgebildete zumindest eine Periode in der Lokalpolitik in seinem Umfeld dienen würde, hätte das Land sicher viel davon.

STANDARD: Die Politik kürzt derzeit der Forschung das Geld weg ...

Sariçiftçi: Es ist leider in Öster-reich eine Tendenz zu beobachten, dass man die gesamte Hochschullandschaft zu einer Fachhochschullandschaft umbaut und die Universitäten abbaut. Fachhochschulen sind auf sehr enge, industrietaugliche Themen spezialisiert. Universitäten sollen, wie der Name sagt, Gesamtprobleme der Zukunft beobachten. Wenn man die Fachhochschulstrategie auf die Unis stülpt, dann werden wir keine großen wissenschaftlichen Sprünge machen können. Die Leute, die an guten Unis studieren wollen, werden großteils ins Ausland gehen müssen. Das ist eine bedenkliche Entwicklung. (DER STANDARD, Printausgabe, 04.05.2011)