Die Arbeiten des belgischen Künstlers Jan Fabre korrespondieren im Kunsthistorischen Museum mit berühmten alten Meistern: hier mit Peter Paul Rubens' "Haupt der Medusa"(1617/18).

Foto: Fischer

STANDARD: 2008 hatten Sie als erster lebender Künstler im Louvre eine Ausstellung. Dort zeigten Sie Arbeiten in verschiedenen Medien aus allen Schaffensperioden. Nun zeigen Sie in Wien nur Arbeiten der zwanzig Jahre alten Serie "Die blaue Stunde" . Warum?

Fabre: Ich wollte meine Ausstellung im Louvre nicht kopieren und traf für Wien sehr schnell die Entscheidung, Zeichnungen zu zeigen, denn in der (Kunst-)Geschichte wird sie noch immer hauptsächlich als Skizze, als Studie betrachtet. Aber ich betrachte meine Zeichnung als unabhängige Arbeiten. Die Zeichnung ist die Mutter jeder Kunst. Es geht in der Ausstellung um die Evolution des Mediums und die Frage: Was ist eine Zeichnung, was ist ihre Oberfläche? Ich arbeite mitunter gemeinsam mit 20 Assistenten an einer Zeichnung, die zu einer Skulptur mit Vor- und Rückseite wird. Unter all diesen Gemälden des KHM befinden sich Zeichnungen, aber sie wurden übermalt. Malerei kann man retuschieren, kann Dinge übermalen. Bei der Zeichnung sieht man jeden Strich. Aus diesem Grund wählte ich die Serie Die blaue Stunde, denn sie behandelt die Frage, was Zeichnung ausmacht. In wenigen Strichen suggeriert sie – ebenso wie die Malerei – Volumen, Form, Schatten. Ich habe diese Idee umgekehrt und 10.000 bis 100.000 Striche aufs Papier gesetzt, eine Art von Energiefeld hergestellt.

STANDARD: Könnte man sagen, dass Sie mit der Zeichnung malen, da Sie die Striche wie Farbe übereinanderschichten?

Fabre: Nicht ganz. Die Arbeiten haben eine beinahe vibrierende Oberfläche, eine irrationale Dimension. Die Farbe ist ein anderes Thema: Denn das Bic-Blau (Kugelschreiber der Marke Bic, Anm.) ist besonders, man kann es nicht reproduzieren. Wenn man ein Bild der Serie abdruckt, wird es flach, die Farbe eindimensional. Vor dem Original kann man je nach Blickwinkel sogar ein Violett im Werk erkennen, manchmal findet sich auch Grün im Blau. Es ist eine Chemikalie im Bic-Kugelschreiber, ein Geheimnis. Die Qualität verhindert auch nach 20 Jahren, dass sich die Farbe verändert.

STANDARD: Zeichnen Sie gar nicht mehr mit dem Bic-Blau?

Fabre: Nein. 1992 habe ich damit aufgehört. Alle Museen und Sammler wollten die Bic-Bilder, und daher habe ich damit aufgehört. Ich suche in meiner Arbeit nach Experimenten, und wenn sich Erfolge einstellen, höre ich auf. Man würde ansonsten sich selbst wiederholen. Genauso verhält es sich mit den Bienen-Skulpturen (Fabre verwendete verschiedene Insekten, etwa Skarabäen, für seine Arbeiten, Anm.): Vor fünf oder sechs Jahren hörte ich auch damit auf. Für einen Künstler ist es immer gut, Neues anzufangen.

STANDARD: Welchen Stellenwert hat die Zeichnung als Skizze, als Denkmodell in Ihrer Arbeit?

Fabre: Ich zeichne fast jede Nacht, es ist wie Atmen für mich, ein sehr natürlicher Vorgang. So wie jemand anderer ein Instrument spielt, schreibe oder zeichne ich.

STANDARD: Leben, Tod, Wiederauferstehung, Metamorphose sind zentrale Themen Ihrer künstlerischen Arbeit. Sind es auch Hauptthemen der "Blauen Stunde" ?

Fabre: Die Blaue Stunde beschreibt energetische Felder. Als kleiner Junge sah ich vor dem Einschlafen zur Decke hinauf: Die Risse im Plafond verwandelten sich in Monster und Tiere. So begreife ich diese Werke: als irrationale Energiefelder. Ich intensiviere die auftauchenden Dinge. Es ist fast immer ein Fabelwesen, etwas zwischen Tier und Mensch.

STANDARD: Es gibt da noch die Verbindungen zu Ihrem Großvater, Jean-Henri Fabre, einem bekannten Insektenforscher und Dichter ...

Fabre: Ja, den Begriff der "blauen Stunde" fand ich in seinen Manuskripten. Er beschrieb damit den poetischen Moment, wenn die Tiere der Nacht schlafen gehen und die Tiere des Tages aufwachen. Der Moment, wenn die Larvenhüllen aufkrachen.

STANDARD: ... eine Zeit der Veränderung

Fabre: ... eine Zeit mit erstaunlichen Veränderungen, mit Unerklärlichem, wofür man weder Bilder noch Worte findet. Mit den Bildern dieser Serie verbindet sich für mich ein freier Geist, eine anarchistische Grenzenlosigkeit.

STANDARD: Sie sind in Antwerpen aufgewachsen, mit Gemälden von Breughel und Rubens im Königlichen Museum der Schönen Künste, wo Sie 2006 ebenfalls ausstellten. Auf welche Meister des Kunsthistorischen Museums haben Sie sich besonders gefreut?

Fabre: Als ich 1991 für die Wiener Festwochen produzierte (Sweet Temptations), war ich während der vierwöchigen Proben fast jeden Tag im KHM, um die flämischen Meister zu bewundern. Ich mag das Museum sehr. Es wurde für die Kunst gebaut. Das Louvre ist hingegen ein ehemaliger Königspalast, eine Glorifikation weltlicher Macht. (Anne Katrin Feßler/DER STANDARD, Printausgabe, 4.5. 2011)

--> Vibrierende Striche zwischen pastoser Farbe

Vibrierende Striche zwischen pastoser Farbe

Wien - Es ist eine obsessive, meditative Tätigkeit, Leinwände verschiedener Größe mit Kugelschreiberstrichen zu übersäen. Bei den 14 mal neun und 17 mal sieben Meter großen Leinwänden aus Seide vibrieren nicht allein die Striche des belgischen Künsters Jan Fabre. Vielmehr haben Familie und Freunde an den beiden großen Arbeiten mitgewirkt, die im Saal VI und XIV des KHM zu sehen sind.Eine Werkstattproduktion, wie so viele alte Meister es vor ihm taten.

Fabre wurde vom Museum eingeladen (Kurator: Jasper Sharp), einen Dialog mit Arbeiten aus der Gemäldegalerie zu führen. Der Kollateralschaden der Kommunikation - zwei Wände mit Gemälden sind für den Zeitraum der Intervention verdeckt - ist verschmerzlich: Es wird ein baldiges Wiedersehen geben.

Selbsterklärend sind die Dialoge freilich nicht, aber interessanter Anknüpfungspunkt für Kunstvermittler. Profitieren können sowohl Fabre als auch das Museum:der Zeitgenosse von prominenter Nachbarschaft und aufgeladener Atmosphäre, das KHM vom Signal, dass heutige Künstler sich noch intensiv mit den alten Meistern beschäftigen: es sind also keine"verstaubten" , sondern zeitlose Gemälde. (kafe/DER STANDARD, Printausgabe, 4.5. 2011)