ANTON MERES

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Anschläge in Marokko

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Grafik: APA

Nach den verheerenden Bombenanschlägen in Casablanca haben die marokkanischen Behörden Ermittlungen aufgenommen. Bei den mittlerweile mehr als 60 Verhafteten in Casablanca sollen Dokumente und Sprengstoff gefunden worden sein.

Innerhalb weniger Minuten waren am Freitagabend kurz nach 22 Uhr (Mitternacht MESZ) fünf Sprengsätze in der marokkanischen Wirtschaftsmetropole explodiert. Ein spanisches Restaurant, ein Luxushotel in der Altstadt, zwei jüdische Einrichtungen und das belgische Konsulat waren die Ziele der Anschläge. Bilanz: 41 Tote und über 100 zum Teil Schwerverletzte. Unter den Toten befinden sich nach Angaben der Behörden zehn Selbstmordattentäter.

Selbstmordattentat

19 Tote sind alleine im privaten spanischen Restaurant und Kulturzentrum Casa de España zu beklagen, das vor allem von Geschäftsleuten und Diplomaten besucht wird. Die drei Täter hatten sich Zugang verschafft, indem sie den Türsteher mit einem Messer enthaupteten. Danach sprengten sich zwei der Angreifer im Restaurant in die Luft.

Der Anschlag auf das Luxushotel Safir Farah sollte ähnlich ablaufen. Anders als im Casa de España scheiterten die Täter aber beim Versuch, das Wachpersonal zu überwältigen. Sie zündeten ihren Sprengsatz deshalb vor dem Hotel. Mindestens acht Menschen sollen dabei getötet worden sein. Vor dem jüdischen Friedhof in Casablanca riss ein anderer Selbstmordattentäter drei Menschen in den Tod. Vor dem jüdischen Gemeindezentrum starb ein Wächter, vor dem belgischen Konsulat zwei.

Schlimmste Anschlagserie in Marokko

Die marokkanischen Behörden sind von der schlimmsten Anschlagsserie, die es im nordafrikanischen Land je gab, völlig überfordert. Überall in Casablanca strömten völlig verunsicherte Menschen auf die Straßen, auf der Suche nach einer Erklärung für die nächtlichen Explosionen. Weder Radio noch Fernsehen berichteten, was geschehen war. Als Innenminister Mostapha Sahel erst zwölf Stunden später vor die Kameras trat, klang es wie ein verzweifelter Aufruf, Ruhe zu bewahren: "Wir haben alles eingeleitet, um im ganzen Land die Sicherheit zu gewährleisten."

Marokkanische Attentäter Gleichzeitig wusste der Innenminister zu berichten, dass "internationale Terroristen Demokratie und Fortschritt in Marokko aufhalten wollen". Und dann kam, was die Bevölkerung am meisten beunruhigen dürfte: "Bei den zehn toten Attentätern handelt es sich um Marokkaner."

Sahel ließ Grenzen schließen

Sahel ließ die Grenzen Richtung Ceuta und Melilla - die beiden spanischen Enklaven an Nordafrikas Küste - schließen, während die Polizei in Casablanca gezielt Jagd auf die Anhänger der radikalen Gruppe Salafistischer Heiliger Krieg (Djihad Salafist) macht. Die Gruppe war bisher zwar durch radikale Propaganda und durch "Strafaktionen" gegen Alkoholkonsumenten und andere "schlechte Muslime" aufgefallen, doch stuften die Behörden sie nicht als terroristische Gruppe ein.

Der Führer des Djihad Salafist, Abu Seif al-Islam, hatte ausgerechnet am Tag vor den Anschlägen durch ein Interview in der saudi-arabischen Wochenzeitschrift Al-Majallah auf sich aufmerksam gemacht. "Nach dem 11. September ist der Heilige Krieg überall", erklärte er dort. "Diese Schlacht ist eine globale. Ich denke, wenn die Situation günstig ist, wird die Organisation Al-Kaida auch in Marokko zuschlagen." Keine 24 Stunden nach den Erklärungen explodierten die Bomben.

"Befreiungs-Gesuch"

Marokko steht schon länger auf der Liste der Länder, das die Al-Kaida "befreien" will. Es sei wie Saudi-Arabien auch "von einem gottlosen, von Amerika bezahlten Regime regiert", bekräftigte Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden in seiner letzten Ansprache.

Marokko galt bisher als tolerantes und sicheres Land für Europäer und auch für die jüdische Gemeinde. Es ist das einzige Land im Maghreb, in dem die jüdische Religion nach wie vor ihren Platz hat. Der Bankier André Azoulay, einer der wichtigsten Berater des verstorbenen Königs Hassan II. und dessen jetzt regierendem Sohn Mohammed VI., gehört dieser Minderheit an. Ihm ist es zu verdanken, dass Marokko immer wieder zwischen Israel und der arabischen Welt vermittelte. (Reiner Wandler aus Madrid/DER STANDARD, Printausgabe, 19.5.2003)